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UhrenproduktionHandgemachte High Tech

Eine Industrie macht sich unabhängig: Wer kann, gründet eine Manufaktur. Der Wunsch nach Exklusivität und die Angst vor Lieferengpässen von Rohwerken beschleunigen die Entwicklung.Thorsten Firlus 29.11.2011 - 15:17 Uhr

Für die Uhrenmanufakturen wird es eng, die Konkurrenz wird größer

Foto: ZBSP

Es wird eng in Glashütte. Im ehemaligen Bahnhof werden Schrauben für Uhren der Marke Nomos gedreht und im Glaskubus nebenan Firmengäste empfangen. In die ehemalige Sternwarte über dem Dorf fahren morgens die Mitarbeiter von Wempe die 20 Prozent starke Steigung hinauf. Am Fuße dieses Hangs gegenüber vom Bahnhof schmiegt sich ein Neubau, hier möchte die neue Marke Moritz Grossmann vom kommenden Jahr an Werkplatinen schneiden, Schrauben färben und Uhren montieren.
Am Ortsausgang führt in fünfter Generation Thilo Mühle die Geschicke des Unternehmens Nautische Instrumente Mühle. Die beiden Großen der örtlichen Uhrenindustrie, A. Lange und Söhne und Glashütte Original, dominieren mit ihren historischen Gebäuden wie den Neubauten die Hauptstraße des Nests. Die Familie Delecate aus Ganderkesee 20 Kilometer östlich von Bremen kann also von Glück sagen, dass sie noch die ehemalige
Bahnmeisterei erwerben konnte für ihr Unternehmen Tutima. Umgeben von Hauptstraße, Bahngleisen, Busbahnhof und Parkplatz, hat die Familie seit 2008 den einst maroden Bau in eine todschicke Uhrenproduktion
verwandelt, mit Glasboden im Foyer, der den Blick auf eine telefonzellengroße CNC-Maschine im Keller freigibt.

Carl F. Bucherer

Der Schweizer Juwelier Bucherer verkauft auch Uhren aus der hauseigenen Uhrenproduktion. Die Top-Modelle tragen im Gehäuse ein Manufakturwerk. Die abgebildete Patravi EvoTec Power Reserve zeigt in Rot, Gelb und Grün an, wie viel Federkraft noch in ihr steckt, bevor sie aufgezogen werden muss. Zusätzlich werden Datum und Wochentag angezeigt – zum Preis von 25.200 Euro.

Foto: Pressebild

Maurice Lacroix

Seit 2006, als das erste Uhrwerk aus eigener Produktion vorgestellt wurde, nennt sich das 1975 gegründete Unternehmen Manufaktur. Die Masterpiece Double Rétrograde gibt mit springenden Zeigern Auskunft über die Uhrzeit in zwei Zeitzonen – für 5950 Euro.

Foto: Pressebild

Moritz Grossmann

Drei Zeiger, schlichte Form – das ist die erste Uhr der neuen Manufaktur Moritz Grossmann aus Glashütte, das Modell Benu, von dem 100 Stück zum Preis von 16.800 Euro gebaut werden. Der Name stammt aus der altägyptischen Mythologie: Der göttliche Reiher namens Benu fliegt abends zu seinem Nest und verbrennt dort. Er hinterlässt ein Ei, aus dem am nächsten Morgen wieder ein Benu schlüpft.

Foto: Pressebild

Armin Strom

16 Mitarbeiter beschäftigt die AG, der Namensgeber und Gründer verabschiedete sich im September vom Uhrmachertisch. In den vergangenen Jahren lancierte er noch zwei neue Uhrwerke. Hier zu sehen in einer Version für Segler für 21.000 Euro.

Foto: Pressebild

Sie fräst unter einem dicken Ölstrahl aus Messingblöcken runde Platten für die Uhrwerke. Eine Treppe aus Stahl, Holz und Glas führt ins erste Geschoss, dort schleifen die Uhrmacher Metallflächen, bringen beim Anglieren Kanten zum Glänzen oder montieren Uhrwerke zur Kontrolle zusammen und wieder auseinander. Ein Haus für ein Modell. Nicht mehr als 25 Stück werden gebaut, 20 in Roségold, fünf in Platin. 168 000 Euro kostet die Uhr in Roségold, 179.000 Euro im optisch dezenteren Platin. Es ist eine Minutenrepetition. Eine Uhr, die auf Knopfdruck die Kraft einer Feder loslässt, die zwei Hämmerchen gegen Klangfedern schlagen lässt.

Wer sauber mitzählt, kann so hören, wie spät es ist. Noch experimentieren die Uhrmacher unter der Leitung von Uhrmachermeister und Entwickler Rolf Lang an den Federn, um den schönsten Ton zu erhalten. Noch ist die Uhr nicht fertig, doch die ersten Interessenten haben schon eine bestellt. Dass die Tutima Hommage Minutenrepetition sich vor allem bei Sammlern gut verkaufen wird, da ist sich Alexander Philipp, der Vertriebs- und Marketingleiter von Tutima und Chef am Standort Glashütte, sicher. In ihr tickt ein Werk, das ersonnen, entwickelt und erschaffen wurde unter einem Dach. In einer Manufaktur.

Wo Cartier drauf steht soll auch nur noch Cartier drin sein.

Foto: REUTERS


Diese Uhr ist ein Traum. Sie bleibt es sogar, wenn eines Tages 50 Käufer jeweils eines der limitierten Exemplare wirklich in die Hand nehmen. Sie ist ein Traum, weil sie etwas zu messen scheint, was der Mensch nur fühlt: Schöne Zeit rast, langweilige Zeit schleppt sich hin. "Key of time" heißt die uhrmacherische Antwort aus dem Hause Hublot auf dieses Phänomen; sie ist der humoristische Schlüssel zu einem Leben ohne Zeitdruck. Missfällt ihm der Vortrag in der Oper, drückt der Träger einen Knopf – und die Sekunden und Minuten werden schneller vergehen. Genießt er jede Sekunde der Lyrik-Lesung, dreht er am eigentlich unbeirrbaren Metrum der Welt – und sie vergeht viermal so langsam, die kostbare Zeit. Kein Bus wird verpasst, keine Zugfahrt dauert zu lang. Zeit ist das, was der Besitzer draus macht. 212 600 Euro und ein gehörig tolerantes Umfeld sind nötig, um diesen Traum wahr werden zu lassen. Jean-Claude Biver, der rastlose Chef von Hublot, hat das Go für dieses absurde Messinstrument gegeben und der Welt der mechanischen Spielereien eine Variante hinzugefügt. Andere Marken lassen den Stundentakt unberührt für ihre neuesten Entwürfe.

Foto: Pressebild

Wempe Zeitmeister

Quarzwerk-Chronograph im klassischen Design im goldenen Gehäuse. (1175 Euro)

Foto: Pressebild

Victorinox Alpnach

Das Design beruft sich auf die Optik des vierblättrigen Helikopters Cougar. Aber vor allem ist die Uhr schwarz und groß. 1825 Euro.

Foto: Pressebild

Swatch Touch

Mit dem Finger auf dem Fenster ändert der Träger die Zeitzone, Wecker oder Datum. 110 Euro

Foto: Pressebild

Rolex Cosmograph Daytona

Der Glanz der Lünette stammt von spezieller Keramik - absolut kratzfest. 21.600 Euro

Foto: Pressebild

Patek Philippe 5235 G

Dieser Jahreskalender zeigt die Minute auf dem großen Ring, eine Hommage an Standuhre. 40.400 Euro

Foto: Pressebild

Panerai Radiomir 3 Days

Weniger Anzeige geht nicht. Dafür ist das Gehäuse aus Platin. 29.900 Euro

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Oris Artelier

Skelettiertes Uhrwerk mit Diamanten im Zifferblatt. 2980 Euro

Foto: Pressebild

Meistersinger AM1011

Ein Zeiger für die Stunden und Minuten, ein rotes Dreieck in der Mitte für das Datum. 1649 Euro.

Foto: Pressebild

Junghans Aura

Stundenanzeiger aus Kristall, Gehäuse aus Keramik. Datumsanzeige per Display. 940 Euro

Foto: Pressebild

Jaermann & Stübi HO6

Die "Hole in One" zählt für Golfer auf dem Green die Zahl der Schläge mit. 9750 Euro

Foto: Pressebild

Hublot "Key of time"

Lässt den Träger entscheiden, ob die Zeit viermal schneller oder langsamer ticken soll. 212.600 Euro

Foto: Pressebild

Glashütte Original Panomatic Luna

Im weißen Gewand verbirgt sich eine Mondphasenanzeige

Foto: Pressebild

Girard-Perregaux Vintage 1945

Drei Brücken halten das Automatikwerk mit Tourbillon. 179.500 Euro

Foto: Pressebild

Vacheron Constantin Patrimony

Flach und mit 42 Millimeter großem Durchmesser. 46.200 Euro

Foto: Pressebild

Certina DS Multi8

Das Display gibt Auskunft über Datum, stoppt die Zeit. Die Zeiger zeigen die Uhrzeit. 760 Euro

Foto: Pressebild


Manufaktur – das ist das Zauberwort, das derzeit die Hersteller von mechanischen Zeitmessern umtreibt. Das Wort, das sich aus den beiden lateinischen Begriffen für "Hand" und "Erschaffen" zusammensetzt. Mit dem Begriff sollen Kunden den Wunsch nach einem Produkt verbinden, das in möglichst viel Handarbeit zu einer exklusiven feinmechanischen Preziose geformt wird. Von den kleinsten Uhrmacherbetrieben bis zu den Großen der Branche rühmen sich die Marken ihrer "Manufakturwerke".
Ihre Produkte sollen sich absetzen von jenen, die Uhrwerke, Gehäuse und Bänder von Lieferanten einkaufen, sie zusammenfügen und mit einem eigenen Logo versehen. Richemonts Luxusmarke Cartier etwa begnügte sich lange Jahre damit, fremde Uhrwerke aufwendig zu verfeinern; in den vergangenen Jahren investierte die Tochter der Richemont-Gruppe in mehrere Produktionsstandorte für Uhrwerke. Wo Cartier draufsteht, soll auch immer öfter nur Cartier drin sein. Ganz freiwillig beschreiten einige Hersteller den teuren Weg in die eigene Produktionsstätte nicht.

Für die alteingesessenen Werke in Glashütte wird es eng.

Foto: AP

Das Gros der Uhrenmarken bezieht seine Rohuhrwerke von der schweizerischen ETA, einer Tochter der Swatch Group. Der Mutter, die eine monopolartige Stellung hat, gefällt es nicht, dass sie per Gesetz dazu gezwungen
wird, Rohuhrwerke zu liefern. Sie klagt derzeit dagegen bei der Schweizer Wettbewerbskommission: Zum einen benötigten die eigenen Marken der Swatch Group die Uhrwerke selbst – zum anderen ist dem von Nicolas Hayek gegründeten Unternehmen ein Dorn im Auge, dass mit ihren Werken die Mitbewerber ausgestattet werden. Bekommt die Swatch Group recht, darf sie in den kommenden Jahren die Anzahl an gelieferten Rohwerken sukzessive herunterfahren.
Gekniffen wären die, die keine eigenen Uhrwerke bauen. Die klassischen Manufakturen wie Patek Philippe, Rolex, Audemars Piguet oder Vacheron Constantin produzieren seit jeher eigene Werke, jüngere Marken wie Officine Panerai haben inzwischen eigene Werke für alle Kategorien ihrer beliebten großen Uhren, die peu à peu die zugekauften Rohwerke ablösen sollen. Für Sascha Moeri ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Er ist CEO der Bucherer Montres AG, einer Tochtergesellschaft der Bucherergruppe, die vor allem dank ihrer Juweliergeschäfte bekannt ist. Moeri weiß, dass auch die normalen Modelle mit zugekauften ETA-Werken vom Image profitieren, das die eigenen Entwicklungen ausstrahlen: "Wir entwickeln kontinuierlich neue Werke."

In Ste-Croix im hügeligen Hinterland von Lausanne belegt die eine Hälfte der Manufaktur zwei Etagen eines schmucklosen Gebäudes. Eine Werkhalle mit viel leerer Fläche ist Standort mehrerer CNC-Maschinen,
an denen sowohl Prototypen als auch später die Teile für die Serienproduktion der Uhrwerke entstehen sollen. Von Romantik keine Spur. Das klassische Klischee der Uhrmanufaktur wird erst in der zweiten Etage erfüllt, wo die Uhrmacher an den typisch hohen Bänken die Teile der hauseigenen Entwicklung CFB A1000 zusammenfügen.
Ein eigenes Uhrwerk hat Christine Hutter bereits, ihre Manufaktur mit 2500 Quadratmetern ist noch im Bau. Die ehemalige Managerin aus dem Uhrengewerbe konnte Schweizer Investoren für die Reanimation der Marke Moritz Grossmann gewinnen.100 Uhren des Modells Benu werden in den derzeitigen Ateliers und von 2012 an in den neuen Werkhallen gefertigt. Das Werk ist entwickelt, die Uhren im Prinzip schon verkauft. Mit Energie und Überzeugungskraft macht die Bayerin wett, was ihr an Tradition fehlt – denn bis auf den Markennamen, den sie sich vor einigen Jahren sicherte, hat sie keinen direkten Bezug zu Glashütte.


Das Unternehmen Tutima hat Tradition im sächsischen Uhrmacherdorf, aber die geriet nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Vergessenheit. Tutima wurde, zunächst unter dem Namen Urofa, 1926 von Ernst Kurtz in
Glashütte gegründet. Nach 1945 führte er, zunächst in Franken und von 1951 an in Ganderkesee, das Unternehmen weiter. Nun hat Tutima mit seiner Manufaktur wieder einen Fuß in das Uhrendorf gesetzt. Langfristig planen die Eigner mehr Produktion nach Glashütte zu holen. Im fünf Kilometer entfernten Schlottwitz sollen für eine Übergangszeit noch Räume hinzugemietet werden, bis andere Kapazitäten im Dorf frei werden.
Doch nur Uhren, die in Glashütte produziert werden, dürfen den Schriftzug "Made in Glashütte" tragen. "Schlottwitz ist Teil der Stadt Glashütte", erklärt Alexander Philipp das Ausweichmanöver. Es wird eng in Glashütte.

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