"Meeresatlas": Leben im und am Meer immer stärker unter Druck
Das Leben im Meer ist immer bedroht.
Foto: dpaMeeresschildkröten: minus 96,5 Prozent. Rifffische: minus 89,4 Prozent. Haie: minus 87,6 Prozent. So stark haben sich die Populationen jeweils verringert, im Vergleich zu historischen Quellen. Im Meer war mal mehr Leben, berichtete der Sprecher des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“, Martin Visbeck vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, am Mittwoch in Berlin. Die stark dezimierten Meeresbewohner sind nur ein Aspekt, von dem Kieler Meereswissenschaftler im ersten „Meeresatlas“ der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung berichten. Die Bilanz: Die Weltmeere stehen unter wachsendem Druck, und die Probleme sind menschengemacht. Eine Auswahl:
Meeresspiegel
Er steigt und steigt - seit dem Jahr 1900 waren es im weltweiten Mittel 20 Zentimeter. Verursacht wird das einerseits durch schmelzendes Eis auf den Kontinenten, anderseits durch sich ausdehnendes Wasser im Zuge der Klimaerwärmung. Für die Zukunft wird ein weiterer Anstieg von etwa drei Millimetern im Jahr erwartet. Wie sich das regional auswirken wird, sei noch nicht abzusehen, berichten die Forscher. Visbeck warnt: „Man sollte sich nicht sicher wägen, dass schon nichts passieren wird.“ Klar ist aber: Reiche Staaten wie die Niederlande dürften eher vorsorgen können als arme wie Bangladesch.
Fischerei
Die Weltbevölkerung wächst weiter - mehr Nahrung aus dem Meer wird sie aber kaum holen können: Knapp ein Drittel der weltweiten Fischbestände gelten laut Atlas bereits als überfischt oder gar zusammengebrochen. 58 Prozent der Bestände seien maximal ausgenutzt. Auch illegale Fischerei wird als Riesenproblem gesehen. Fisch aus Fischfarmen ist für die Forscher keine Lösung, ihr Fazit lautet: Der Hunger nach billigem Fisch muss weniger werden.
Plastik
Fisch raus, Müll rein: Etwa acht Millionen Tonnen Plastik landen jährlich im Meer, zumeist aus Flüssen. Fast der gesamte Plastikmüll, ganze 99 Prozent, sinkt dem Bericht zufolge auf den Tiefseeboden ab, zerrieben zu Mini-Partikeln. Aus Mikroplastik bilde sich dort eine neue geologische Schicht, in der sich Schadstoffe anlagern können. Fische verwechseln die Stückchen mit Plankton, so landet der Müll wieder beim Menschen auf dem Teller. Nur ein Prozent des Plastiks ist an der Wasseroberfläche zu finden, etwa in Strudeln.
Todeszonen
So werden sauerstoffarme Zonen genannt, wo kaum mehr etwas oder nichts mehr lebt - weder Fische noch Muscheln noch Seegras. Diese Gebiete lägen oftmals in Flussmündungsgebieten, heißt es im Atlas. Das ist kein Zufall: Abwässer, die etwa große Mengen von Kunstdünger und Gülle aus der Landwirtschaft enthalten, lassen das Meer umkippen. Eine große Todeszone liegt laut Angaben im Golf von Mexiko vor dem Missisippi-Delta, aber auch in der Ostsee sei der Sauerstoffgehalt seit Jahrzehnten stark rückläufig.
Insgesamt betrug das Abfallaufkommen im letzten Jahr in Deutschland rund 343 Millionen Tonnen, 36,7 Millionen Tonnen davon waren Hausabfälle. Das entspricht also 456 Kilogramm Müll pro Einwohner. Seit dem Jahr 2002 ist das Abfallaufkommen zwar leicht gesunken, jedoch wird laut Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit immer noch zu viel Abfall erzeugt. Immerhin: 14 Prozent der Rohstoffe, die die deutsche Wirtschaft einsetzt, werden mittlerweile aus Abfällen gewonnen; entsprechend werden der Abbau von Rohstoffen und die damit verbundenen Umweltbelastungen reduziert.
Foto: dpaGrund ist die am 8. Mai 1991 beschlossene Verpackungsverordnung, die den Grundstein für die Mülltrennung in Deutschland legte. Von den 456 Kilogramm Müll pro Nase und Jahr sind 164 Kilogramm Restmüll, 113 Kilo Biomüll, und 148 Kilogramm getrennte Wertstoffe, also Papier und Pappe (72 Kilogramm), Glas (24 Kilogramm) und Holz (14 Kilogramm). Pro Einwohner fielen zusätzlich rund 30 Kilogramm Sperrmüll an.
Quelle: Statista
Foto: dpaDie Mülltrennung nutzt aber nicht nur der Umwelt und liefert billige Rohstoffe, sie schafft auch Arbeitsplätze: Fast 200.000 Beschäftigte arbeiten in rund 3.000 Abfallentsorgungs- oder Verarbeitungsbetrieben. Sie machen einen Umsatz von rund 40 Milliarden Euro jährlich.
Foto: dpaAnders als in vielen anderen Ländern landen unsere Abfälle eher selten auf Deponien zum Verrotten. Zuvor müssen sie in irgendeiner Art und Weise verwertet werden. Hausmülldeponien beispielsweise dürfen seit Mitte 2005 nur noch vorbehandelte Abfälle aufnehmen, bei denen organische Bestandteile nahezu völlig entfernt sind. Anders sieht es beispielsweise in Bulgarien, Rumänien, Griechenland oder Polen aus, wo mehr als 70 Prozent der Abfälle auf Deponien landen.
Ein großer Teil der Abfälle in Deutschland, nämlich 35 Prozent, werden deshalb in Müllverbrennungsanlagen verbrannt. Die Überreste landen dann auf der Deponie. Die Energie, die bei der Verbrennung entsteht, wird vielfach zur Erzeugung von Strom oder zum Heizen verwendet. Wir heizen also mit unserem Müll.
Foto: ZBImmerhin 18 Prozent unserer Abfälle kompostieren wir.
Foto: dpa47 Prozent der kommunalen Abfälle werden recycelt - damit ist Deutschland der Wiederverwertungskönig innerhalb der 28 EU-Staaten. In keinem anderen Land wird ein so großer Anteil der kommunalen Abfälle noch einmal verwendet.
Foto: APSo unglaublich es klingt, es gibt auch noch einen blühenden Schwarzmarkt für unseren Müll. In schwarzen Lastwagen mit dem weißen Symbol für Abfalltransporte wird wertvoller Schrott - meist Altmetall - durch ganz Europa kutschiert. "Was mit ihrem Müll passiert, interessiert viele Erzeuger nicht“, sagt Kriminalhauptkommissar Norbert Schmitz vom Landeskriminalamt (LKA) Rheinland-Pfalz bei einer Abfalltransportkontrolle an der A 3. Entsorgungsvorschriften würden teilweise bewusst umgangen, um Kosten zu sparen. Mit Kontrollen will das Bundesamt für Güterverkehr in Zusammenarbeit mit der Polizei und dem LKA den Schmuggel und die illegale Beseitigung des Mülls eindämmen.
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Grenzüberschreitende Abfalltransporte finden insbesondere zwischen Nachbarstaaten statt. Müll werde vor allem aus dem grenznahen Raum ausgeführt, etwa aus Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz nach Frankreich, Belgien oder in die Niederlande, sagt Joachim Wuttke vom Umweltbundesamt. 2012 seien rund 1,8 Millionen Tonnen notifizierungspflichtige Abfälle aus Deutschland exportiert und knapp 5,9 Millionen Tonnen importiert worden.
Foto: dpa„Bei der Entsorgung kann es um bis zu fünfstellige Summen für die Erzeuger gehen“, sagt Kriminalhauptkommissar Norbert Schmitz. Deshalb ist der Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) Rheinland-Pfalz gemeinsam mit Polizeikollegen auf der A 3 im Einsatz. Sie suchen Müll, der illegal entsorgt oder geschmuggelt wird.
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Säure
Heute versauern die Ozeane laut Angaben in „einer erdhistorisch wohl einmaligen Geschwindigkeit“, heißt es im Atlas. Die Meere hätten etwa ein Drittel des Kohlenstoffdioxids aufgenommen, das die Menschen seit der Industrialisierung in die Atmosphäre abgegeben haben. Die Auswirkungen sind noch nicht vorzusehen.
Bergbau
Bergbau in der Tiefsee beginnt laut Atlas in den nächsten Jahren. Dort schlummern etwa Mangan, Nickel, Thallium und Kobalt in größeren Vorkommen als an Land - und aus wissenschaftlicher Sicht eine Menge Risiken. So weit unter Wasser geschieht alles sehr, sehr langsam. „Ökologinnen und Ökologen warnen daher: Was hier zerstört wird, regeneriert sich lange nicht“, steht im Atlas. Visbeck sagte, er sehe keinen Grund für ein Einsteigen in den Tiefseebergbau. Es seien keine hohen Erträge zu erwarten, dafür aber erheblichen Schäden. Dennoch stehe etwa China in den Startlöchern. Ein Moratorium sei von Nöten, betonte Barbara Unmüßig vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.
Schutz
Als am wenigsten geschützte Gebiete der Welt bezeichnete Unmüßig die Meere. Der Schutz sei zerstückelt, mit unzähligen Regulierungslücken. Nur 1,6 Prozent der Flächen sind streng oder voll geschützt. Nach Forderungen von Umweltschützern und Wissenschaftlern sollten 20 bis 50 Prozent unter Schutz gestellt werden, damit sich die Gebiete wieder erholen können.