E-Mobilität Von Norwegen lernen heißt E-Auto fahren lernen

Quelle: Getty Images

Was es bedeutet, wenn künftig mehr als jeder zweite Pkw rein elektrisch fährt, kann man in Norwegen schon sehen. Welche Fehler die Deutschen besser nicht nachmachen sollten.

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Wer wissen will, wie es auf deutschen Straßen in zehn Jahren aussehen könnte, sollte nach Norwegen schauen. Das Land ist international seit Jahren Spitze beim Umstieg von Verbrennungsmotoren auf Elektroautos. Weder die langen Winter und ihre Kälte, noch Reichweitenangst oder Warten an der Ladesäule konnten den Aufschwung aufhalten: 2020 waren gar erstmals mehr als die Hälfte, genau genommen 54 Prozent, aller neu zugelassenen Pkw in Norwegen reine E-Autos. Inklusive Plug-in-Hybride waren es sogar 75 Prozent. Fuhren die zunächst vor allem im dichter besiedelten Süden und dort vorrangig im Großraum Oslo, so hat der Elektro-Boom inzwischen das gesamte Land erfasst. Was bedeutet das für die Autohersteller, für Ladeinfrastruktur und Konsumenten? Andere Länder, in denen, wie in Deutschland, die Elektromobilität gerade erst Fahrt aufnimmt, können einiges aus den Erfahrungen der Norweger lernen.

E-Auto Boom und kein Ende 

Allein im Dezember 2020 wurden 13.718 neue Elektro-Pkw in Norwegen zugelassen, annähernd doppelt so viele wie im November. Der Marktanteil der Elektroautos an den Pkw-Neuzulassungen lag damit bei genau zwei Dritteln (66,7 Prozent). Anders als in Deutschland, wo etwa jedes zweite neue E-Auto noch einen zusätzlichen Verbrennungsmotor hat (Plug-in-Hybrid), kaufen die Norweger dabei vor allem reinrassige E-Autos: Mehr als doppelt so viele reine E-Autos als Hybride bekamen 2020 erstmals ein norwegisches Nummernschild. 

Christina Bu, Chefin des norwegischen E-Auto-Verbands Norsk Elbilforingen mit 85.000 Mitgliedern, glaubt nicht, dass der Boom in ihrem Land noch umkehrbar ist: „Das kann man inzwischen ausschließen. 2018 war ein Rekordjahr, 2019 wieder, 2020 wieder ein Rekordjahr, und der Dezember 2020 war ein Rekordmonat innerhalb der Rekordjahre“, erläutert sie.

1. Anreize müssen planbar und verlässlich sein

Zweifellos geht ein großer Teil des norwegischen Elektrobooms auf die üppigen Kaufprämien zurück. Anders als etwa Kalifornien oder viele chinesische Provinzen, die ihre oft üppige E-Auto-Incentivierung meist genauso schnell wieder drosseln, wenn bestimmte Zielmarken erreicht sind, um den Markthochlauf zu managen, gibt Norwegen dabei konstant Vollgas. 2025 sollen alle neue zugelassenen Autos emissionsfrei sein, so das Ziel der Regierung in Oslo. Einer der wichtigsten Kaufanreize ist dabei der Wegfall der Mehrwertsteuer. Davon profitieren vor allem hochpreisige E-Autos wie die Tesla-Modelle S und X oder der Audi eTron. In Norwegen beträgt die Mehrwertsteuer 25 Prozent, auf Oberklasseautos ist zusätzlich eine Luxussteuer von bis zu 45 Prozent fällig, je nach Gewicht und Leistung der Verbrenner-Pkw; bei rein elektrischen Autos entfallen beide. „Man bekommt de facto einen elektrischen Luxuswagen wie ein Tesla Model S oder den Audi eTron zum Preis eines Mittelklassediesels“, sagt Bu. 

Neben der Luxus- und der Mehrwertsteuer entfallen bei E-Autos und Brennstoffzellen-Pkw auch die Kosten für die vielen mautpflichtigen Brücken und Tunnel in Norwegen, viele Städte erlassen Citymaut und Parkgebühren, Tickets für Fähren und die Steuer auf Firmenwagen sind um 50 bis 60 Prozent reduziert. E-Autos dürfen in den Städten die Busspuren nutzen. 

Neben den positiven Kaufanreizen setzt die Regierung zudem auch auf eindeutige Verbote: So dürfen etwa im Großraum Oslo von 2023 an überhaupt keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr als Taxis zugelassen werden. Staatliche Fuhrparks müssen gar ein Jahr früher rein elektrisch sein. Neubauten müssen die entsprechenden Stromanschlüsse verpflichtend vorhalten. Mieter können sich eine Ladestation im Haus in Norwegen sogar einklagen.

Solche praktischen Anreize bewirken viel in Norwegen. So schnellte in einem Dorf in Nordnorwegen die E-Auto-Quote plötzlich von nahe Null auf 50 Prozent, als der Mautbetreiber die Tunnelmaut für Stromer erließ; das Dorf liegt genau hinter dem Tunnel und ist ohne ihn nur über immense Umwege erreichbar.

2. Mundpropaganda wirkt am besten 

Laut Umfragen würden 94 Prozent der E-Auto Fahrer in Norwegen sich kein anderes Auto mehr kaufen. „Von den restlichen sechs Prozent wollen kaum welche zurück zum Verbrenner; einige überlegen stattdessen, sich gar kein privates Auto mehr zu kaufen“, sagt Bu. Und sie tragen diese Einstellung weiter: 66 Prozent der Norweger gaben in einer Umfrage im Sommer an, schon einen Bekannten, Kollegen, Nachbarn oder ein Familienmitglied zum erstmaligen Kauf eines E-Autos angeregt zu haben. „Anschauung aus erster Hand“ sei der wohl wichtigste Treiber der Massenmarktadaption überhaupt, vermutet Bu. „Das ersetzt kein Förderprogramm und keine Werbekampagne“, sagt sie.

Weitere Erkenntnisse aus regelmäßigen Umfragen: „Von vermeintlichen Problemen wie fehlender Wintertauglichkeit oder Reichweitenangst reden nur Leute, die es selbst nicht nutzen und kaum kennen.“ Bei den E-Auto-Nutzern fokussiere die Debatte dagegen auf „eher kleinteilige, praktische Alltagsprobleme“, so Bu. Etwa Ladesäulen, die das Navigationssystem des Autos anzeigt, die sich aber nicht freischalten lassen. Oder Diesel und Benziner, die freie Ladeplätze versehentlich zuparken – ein Ärgernis, das auch in Deutschland anekdotischen Berichten zufolge zuzunehmen scheint.

Die ideologisch aufgeheizte Grundsatzdebatte, ob Elektroautos überhaupt die beste Auto-Lösung für das Klimaproblem seien, gibt es so dagegen kaum in Norwegen. „Norweger sind die Elektrifizierung zuvor weitgehend fossil betriebener Lebensbereiche seit den 1990er Jahren gewohnt“, sagt Bu. So heizen die meisten Haushalte inzwischen mit Wärmepumpen und Infrarotstrahlern elektrisch. Norwegen hat zudem dank intensiver Wasserkraftnutzung einen der CO2-ärmsten Strommixe der Welt, so dass „selbst für Laien klar ist, dass auch indirekt kaum CO2-Emissionen durch das E-Auto entstehen“, sagt Stina Johansen von der skandinavischen Strombörse Nord Pool in Oslo, die Sorgen um eine Netzüberlastung nicht teilen kann: Gäbe es in zehn Jahren nur noch E-Autos bei den Neuzulassungen, würden rund 1,5 Millionen reine E-Autos in Norwegen fahren. Diese hätten einen gemeinsamen Strombedarf von vier Terawattstunden (TWh) pro Jahr. Der Gesamtbedarf des Landes liegt bei 130 TWh. Gerade mal 3,1 Prozent also. „Für das Netz ist dieser Zusatzbedarf im Großen und Ganzen kein Problem“, sagt Johansen.

3. Tesla ist nicht uneinholbar

Die deutschen Hersteller fahren dem Technologieführer Tesla auch in punkto Verkaufszahlen in den meisten Märkten hinterher. Der Blick nach Norwegen aber dürfte sie aufheitern. Das meistverkaufte Modell in Norwegen im Jahr 2020 war mit über 9000 Stück der Audi eTron, es folgten Teslas Model 3 und der Volkswagen ID3 mit je rund 7700. Dahinter, deutlich abgeschlagen, einige asiatische Modelle wie der Nissan Leaf und der Hyndai Kona e.

Thilo Bubek lebt seit mehr als 15 Jahren im äußersten Norden von Norwegen. Der Ingenieur arbeitet im Fachbereich Informatik an der Arktischen Universität Tromsö und fährt im Alltag seit gut fünf Jahren Tesla. „Das geht problemlos auch in Nordnorwegen“, sagt der gebürtige Schwabe. Temperaturen von minus 30 Grad fürchtet Bubek ebenso wenig wie verschneite Straßen. Als er 2015 beschloss, auf ein reines Elektroauto umzusteigen, „war hier im Norden ein Tesla Model S die einzige alltagstaugliche Möglichkeit, inzwischen ist das nicht aber mehr so“, sagt Bubek.

In Deutschland hat sich Audi die Absatzrekorde für seinen Elektro-E-Tron 2020 teilweise mit extrem schlank gerechneten Leasingkonditionen erkauft. In Norwegen spielten die keine Rolle, sagt Funktionärin Bu. „Leasing ist in Norwegen generell weniger verbreitet.“ Insgesamt ist nur jeder neunte Pkw in Norwegen geleast, bei den reinen E-Autos gar unter fünf Prozent.

Für die jüngsten Erfolge von VW und Audi hat Tesla-Fahrer Bubek seine eigenen Erklärungsansätze. Einerseits sei es normal, dass nicht jeder, der auf ein E-Auto umsteige, sich zugleich für die Produkte eines einzigen Herstellers begeistern könne, sagt Bubek. „Das Tesla Model S etwa ist im Jahre acht nach seiner Markteinführung zwar immer noch technisch up-to-date, in vielen Bereichen sogar führend“, sagt er, „aber Tesla hat auch Schwächen, die den einen oder anderen Norweger in die Hände der deutschen Hersteller treiben dürften.“ So habe Tesla deutliche Probleme beim Service. Auf Ersatzteile oder Termine für eine Reparatur warte man oft Wochen. „Das geht bei Audi schneller, und nicht alle, die im dünn besiedelten Nord- oder Mittelnorwegen auf ihr Auto angewiesen sind, haben die nötige Geduld.“

Tesla, deren Service in den ersten Jahren durchaus „herausragend und familiär“ gewesen sei, habe seit der Einführung seines Massenmarkt-Modells Model 3 viele Kunden verärgert, sagt Bubek. Schlechte Verarbeitung, vor allem beim Lack, sei ein Dauerthema in Foren und Kantinengesprächen.  „Auch wenn wahrscheinlich 90 Prozent der Teslakunden zufrieden sind: Norwegen ist ein kleines Land. Praktisch jeder kennt jemanden, der einen Tesla fährt. Da sprechen sich Ärger-Geschichten sehr schnell herum und ein paar Hundert Leute mit Mängeln, die ihrem Unmut öffentlich Luft machen, reichen schon, um Käufer zu verjagen.“ Mundpropaganda wirkt eben auch negativ. 

4. Ladeinfrastruktur ist entscheidend

Hohe Kaufprämien hin, mehr Auswahl an Modellen und Herstellern her - für Expertin Bu ist die Ladeinfrastruktur der wichtigste Faktor, wenn ein Land vollständig vom Verbrennungs- zum Elektromotor wechseln soll. „Vor allem in den nördlichen, ländlichen Regionen ist in den vergangenen zwei Jahren noch mal richtig viel passiert“, sagt sie. Dort sei es bisher recht dünn, gewesen. In der Finnmark etwa, die nördlichste Region mit nur 80.000 Einwohnern auf einer Fläche wie ganz Dänemark, gab es bis 2019 überhaupt keine schnellen Gleichstromlader für Überlandfahrten.

Zwar nutzen nur neun Prozent der Norweger regelmäßig solche Schnelllader an der Autobahn, die allermeisten laden ihre Autos zuhause oder an der Arbeitsstelle. „Aber die Erkenntnis hat sich durchgesetzt bei Ladeinfrastrukturbetreibern und Politikern, dass diese neun Prozent entscheidend sind.“ 3300 Schnelllader gibt es (Stand Ende 2020) inzwischen im Land, 850 mehr als vor einem Jahr. 2015 gab es rechnerisch eine Schnellladesäule in Norwegen je 160 E-Autos. Ende 2020 war es schon eine pro 104, obwohl die Zahl der Autos sich gegenüber 2015 versechsfacht hatte.

Nicht nur die Zahl, auch die Beschaffenheit der Ladestationen haben die Norweger aufgrund der Erfahrung der Jahre 2010 bis 2019 verändert: Früher war man vor allem darauf bedacht, möglichst große Regionen mit möglichst wenig Säulen abzudecken. „Inzwischen sorgt man für Redundanzen“, sagt Bu. „Früher waren es pro Standort meist zwei oder vier, in entlegenen Regionen schon mal nur eine Ladesäule. Heute bekommen neue Ladeparks immer 8, oft auch 16 oder gar 24 Säulen. „Berichte über lange Wartezeiten oder ausgefallene Säulen verbreiten sich wie Lauffeuer und schrecken viele potenzielle Umsteiger ab“, sagt Bu. „Und die Kosten für die Redundanzen halten sich im Rahmen, denn das Teuerste ist der Anschluss des Ladestandortes an die Mittelspannung; auf eine oder zwei Säulen mehr kommt es dann nicht so an.“

5. Was nichts kostet, taugt nichts

Die Erfolge geben ihr recht: 47 Prozent der Norweger gaben in landesweiten, repräsentativen Umfragen zuletzt an, im vergangenen Jahr einmal oder öfter an einer Ladesäule länger als drei Minuten gewartet zu haben. 2019 waren das noch 64 Prozent.  Auch Privatfahrer Bubek hat den Strategieschwenk bemerkt: „Es ist deutlich besser geworden, ich persönlich warte eigentlich nie mehr an einer Schnellladesäule.“ Und Bubek fährt von Tromsö in Nordnorwegen oft über 3400 Kilometer einfach, wenn er Freunde und Verwandte in Süddeutschland besucht.

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Noch etwas hat Vielfahrer Bubek bemerkt: „Früher gab es an jedem öffentlichen Gebäude und bei vielen Supermärkten kostenlose Lader, die aber meist nur 11 Kilowatt (kW) Strom abgaben und entsprechend langsam waren“, so Bubek. Ihm sei aufgefallen, dass diese Säulen in Deutschland immer noch die am weitesten verbreiteten seien. In Norwegen montiere man sie dagegen immer öfter ab und ersetze sie durch schnellere, dann aber kostenpflichtige Angebote. Für Bubek der richtige Weg: „Es bringt ja nix, wenn es nichts kostet, aber einfach zu lange dauert“, findet er. „Außerdem verleiten kostenlose Angebote immer zu Missbrauch, sprich: die Nachbarn blockieren diese Säulen, obwohl die wahrscheinlich 500 Meter weiter in der eigenen Garage laden könnten.“

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