Ein Kongress in Karlsruhe. Es geht um Ideen, wie Menschen und Güter künftig von einem Ort zum anderen kommen, um die „Mobilität von morgen“: Car-Sharing, selbstfahrende Busse, Minitaxis und Dreiräder, die Päckchen ausliefern. In den Vorträgen der Zukunftsforscher sind die Fahrzeuge natürlich alle elektrisch unterwegs.
Je länger Martin Reiter zuhört, desto unruhiger wird er. Dass keiner von den 20 Rednern auch nur ein Wort darüber verliert, wie der Strom die vielen neuen E-Fahrzeuge erreichen soll, das kann er nicht begreifen: „Niemand plant das.“
Reiter ist Geschäftsführer eines städtischen Stromversorgers. Er heißt eigentlich anders, will aber seinen Namen nicht mehr in der Zeitung lesen. Reiter ist dafür zuständig, dass die Einwohner in seiner süddeutschen Großstadt exakt die Strommengen bekommen, die sie gerade benötigen. Er leitet einen von 880 Verteilnetz-Betreibern, die die Energie auf die letzte Meile bringen, vom Trafo bis zum Hausanschluss. „Wir wissen derzeit weder wann noch wo wir demnächst viel Strom für die E-Mobilität benötigen“, sagt Reiter: „Wir wissen nur, dass wir viel Strom brauchen.“
Technische Hintergründe zu Akkus
Eine Batterie hat die Aufgabe, beim Aufladen möglichst viele Elektronen aufzunehmen und diese mit möglichst wenigen Verlusten zu speichern. Beim Entladen gibt sie die Elektronen dann wieder ab, um mit diesem Strom zum Beispiel einen Elektromotor oder ein Handy zu betreiben.
Im Akku übernehmen die sogenannten Lithium-Ionen diese Speicheraufgabe: Diesen Atomen fehlt ein Elektron. Daher sind sie elektrisch positiv geladen. Beim Aufladen strömen negativ geladene Elektronen in den Akku und sammeln sich in einem dichten Geflecht aus dem leitfähigen Kohlenstoff Graphit. Dorthin wandern dann auch die positiv geladenen Lithium-Ionen. Jedes von ihnen bindet ein Elektron – man könnte auch sagen, dass jedes Ion ein Elektron festhält, um die Ladungsneutralität zu gewährleisten. Beim Entladen des Akkus verlassen die Elektronen das Graphit nach und nach wieder. Damit wandern auch die positiv geladenen Lithium-Ionen aus dem Graphit-Netzwerk heraus. Später kann der Ladezyklus dann von neuem beginnen.
Je mehr Lithium-Ionen in einen Akku hineinpassen, umso mehr Elektronen und damit Energie können auf gleichem Raum gespeichert werden. Daher arbeitet Bosch schon länger unter anderem daran, den Graphit-Anteil zu reduzieren oder ganz auf das Graphit zu verzichten. Dies würde die Energiedichte des Akkus deutlich steigern. Das scheint jetzt dem Start-up Seeo, das Bosch gekauft hat, gelungen zu sein.
Dass die Elektromobilität Fahrt aufnimmt und sich langfristig durchsetzen wird – daran zweifelt fast niemand mehr. Die Autoindustrie hat sich der E-Moderne lange verweigert. Doch GM, Ford, Renault-Nissan, aber auch VW und Daimler – sie alle bereiten sich mit Elektroplattformen auf die Massenfertigung vor. Die neuen Modelle werden größere Reichweiten haben, erschwinglicher sein – und dem auch politisch diskreditierten Diesel den Rang ablaufen. Selbst der ADAC rät seinen Mitgliedern inzwischen vom Kauf neuer Diesel ab. 2025 rechnen Studien mit drei Millionen E-Autos in Deutschland. 2040 könnten es 20 Millionen sein – jeder zweite Pkw.
Das Problem ist die letzte Meile
Gibt es aber überhaupt genügend Strom für all diese E-Autos? Und vor allem: Bekommt man den Strom mit ausreichend Leistung immer und rechtzeitig dahin geliefert, wo er gerade benötigt wird? Mit dieser Frage hat sich in den deutschen Behörden noch kaum jemand beschäftigt. Ausgerechnet im Land der Planungsfanatiker fehlt es an einem Fahrplan für die Ladeinfrastruktur und deren Stromversorgung. Bleibt es bei diesem Zögern und Zaudern, droht es teuer zu werden mit dem Ausbau der E-Mobilität.
Nicht nur Reiter fürchtet, dass blauäugige Behörden den sauberen Verkehrsfluss im 21. Jahrhundert aufs Spiel setzen, nicht nur er fühlt sich allein gelassen. „Wenn ich wüsste, an welchen Stellen ich in zehn Jahren in meiner Stadt am besten 50.000 E-Autos versorgen kann, wäre die nötige Netzoptimierung beherrschbar und nicht sehr teuer“, sagt der Strommanager. Im Schnitt werde schließlich „alle fünf Jahre irgendwo etwas aufgebuddelt“.
Bei der nächsten Buddelei ein dickeres Kabel mit reinzulegen, verursache kaum Mehrkosten; die entstehen zu 90 Prozent durch die Grabearbeiten. Aber der Stadtwerkemanager hat buchstäblich keinen Plan. Weil Stadtplaner das Thema ignorierten. Weil Politiker entschiedene Schritte vermieden. Weil Verwaltungen sich vor verbindlichen Vorgaben drückten.
Dabei zeichnet sich bereits ab: Das heutige Stromnetz wird an manchen Stellen zu schwach sein. Auf die Betreiber kommen Milliardeninvestitionen für die Digitalisierung der Netze, neue Trafos, Spannungsregler und auch Leitungen zu – neben den grob 40 Milliarden Euro, die der Umbau der Netze für die Energiewende kosten wird.
Reicht der Strom?
Florian Samweber arbeitet bei der Forschungsstelle für Energiewirtschaft, FFE, an Themen wie Strombedarf und Netzstabilität. Er rechnet vor: Es gibt rund 45 Millionen Pkws in Deutschland, die im Schnitt rund 13.800 Kilometer pro Jahr fahren – macht insgesamt 621 Milliarden Kilometer.
Legt man die Energiemenge zugrunde, die ein durchschnittliches E-Auto heute unter realen Bedingungen braucht, lässt sich leicht errechnen, wie viel Strom vollständig e-mobile Deutsche verbrauchen würden: 105 Terawattstunden (TWh), rund 15 Prozent der heute produzierten Strommenge.
Kein Pappenstiel, gewiss; aber unter diesem Mehrbedarf „würde die Stromversorgung sicher nicht zusammenbrechen“, sagt Samweber. Fast die Hälfte der nötigen Energie wird heute schon erzeugt. Sie wird nur nicht gebraucht. Im vergangenen Jahr verkaufte Deutschland 48 TWh Strom ins Ausland.
Das Land verfügt zudem über Reserven, zum Beispiel in Form von Gaskraftwerken. Sie kommen derzeit kaum zum Einsatz, weil Ökostrom bei der Einspeisung ins Netz Vorrang hat, können aber jederzeit reaktiviert werden. Strom wäre, entgegen vieler Bedenken, also ausreichend vorhanden. Die Frage ist nur: Wie viel ist er den Autofahrern wert – und kommt er zur richtigen Zeit genau dorthin, wo er benötigt wird?
Und diese Frage treibt Reiter, den Mann aus der Praxis, ebenso um wie Samweber, den Forscher. Das Elektroauto zu Hause laden wäre für Verbraucher bequem. Anders als öffentliche Ladesäulen verschlingt die Aufrüstung eines Hausanschlusses nicht Tausende Euro. Auch für die Versorger wäre Zu-Hause-Laden die einfachste Lösung. Denn dort kann man die Akkus über Nacht langsam und mit geringer Leistung laden. Die Ladestation in der eigenen Garage hat jedoch einen Haken: „Wenn alle, die um 19 Uhr nach Hause kommen, sofort an ihre Station wollen, wird das nicht gehen“, sagt Samweber.
Elektroautos im Kostenvergleich
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
BMW i3 | Strom | 36.150 Euro | 598 Euro | 47,8 Cent |
Mini Cooper S | Super Plus | 26.600 Euro | 542 Euro | 43,4 Cent |
Mini Cooper SD | Diesel | 28.300 Euro | 519 Euro | 41,5 Cent |
Quelle: ADAC
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Citroën C-Zero | Strom | 19.800 Euro | 433 Euro | 34,6 Cent |
Citroën C1 Vti 68 | Super | 13.900 Euro | 388 Euro | 31,0 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Ford Focus Electric | Strom | 34.900 Euro | 665 Euro | 53,2 Cent |
Ford Focus 1.5 EcoBoost | Super | 25.500 Euro | 618 Euro | 49,4 Cent |
Ford Focus 2.0 TDCi | Diesel | 28.100 Euro | 623 Euro | 49,8 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Hyundai IONIQ Elektro | Strom | 33.300 Euro | 587 Euro | 47,0 Cent |
Hyundai i30 1.6 GDI | Super | 22.630 Euro | 562 Euro | 45,0 Cent |
Hyundai i30 1.6 CRDi blue | Diesel | 24.030 Euro | 548 Euro | 43,8 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Kia Soul EV | Strom | 28.890 Euro | 526 Euro | 42,1 Cent |
Kia Soul 1.6 GDI | Super | 19.990 Euro | 529 Euro | 42,3 Cent |
Kia Soul 1.6 CRDi | Diesel | 23.490 Euro | 539 Euro | 43,1 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Mercedes-Benz B250e | Strom | 39.151 Euro | 713 Euro | 57,0 Cent |
Mercedes-Benz B220 4Matic | Super | 34.076 Euro | 773 Euro | 61,8 Cent |
Mercedes-Benz B220d | Diesel | 36.521 Euro | 728 Euro | 58,2 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Nissan Leaf | Strom | 34.385 Euro | 632 Euro | 50,6 Cent |
Nissan Pulsar 1.2 DIG-T | Super | 22.290 Euro | 574 Euro | 45,9 Cent |
Nissan Pulsar 1.5 dCi | Diesel | 22.690 Euro | 535 Euro | 42,8 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Renault Zoë | Strom | 34.700 Euro | 580 Euro | 46,4 Cent |
Renault Clio TCe 90 | Super | 16.790 Euro | 433 Euro | 34,6 Cent |
Renault Clio dCi 90 | Diesel | 20.290 Euro | 454 Euro | 36,3 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Tesla Model S 60 | Strom | 71.020 Euro | 1206 Euro | 96,5 Cent |
Mercedes-Benz CLS 400 | Super | 63.427 Euro | 1198 Euro | 95,8 Cent |
Mercedes-Benz CLS 350d | Diesel | 62.178 Euro | 1156 Euro | 92,5 Cent |
Hinweis: Da Tesla selbst keine Autos mit Diesel- oder Benzinmotor verkauft, hat der ADAC zum Vergleich den Mercedes-Benz CLS herangezogen.
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
VW e-up! | Strom | 26.900 Euro | 472 Euro | 37,8 Cent |
VW up! 1.0 | Super | 14.255 Euro | 375 Euro | 30,0 Cent |
In Deutschland teilen sich 50 bis 200 Haushalte je einen Ortsnetztrafo. Diese verringern die Spannung von 10.000 oder 20.000 Volt im regionalen Verteilnetz (Mittelspannung) auf die 230 Volt, mit der der Strom dann aus der Steckdose kommt. Fast immer fließt dieser Strom heute auf der letzten Meile über Erdkabel in die Häuser. Die Strommenge, die diese Kabel transportieren können, ist begrenzt. So lange, wie heute, nur einige 1000 Tesla, Nissan Leaf und BMW i3 in der heimischen Garage laden, gibt es keine Probleme. Auf deutlich mehr Autos wäre das Niederspannungsnetz aber längst nicht überall ausgelegt.
Deshalb will Reiter nun möglichst schnell wissen, wo die E-Autos in seiner Stadt künftig Strom tanken. Er ist überzeugt davon, dass die Stadtwerke so manche Leitung und Ortsnetztrafos erneuern müssen. „Sonst werden partiell Ladeengpässe entstehen“, fürchtet er. Vor allem in Wohngegenden mit lockerer Bebauung, in denen viele E-Autos auf wenige Häuser kommen – und damit auf einen kleinen Trafo und dünne Erdkabel.
Gibt es alternative Lösungen?
Und so könnte sich bald rächen, dass die Deutschen das Thema E-Mobilität konsequent verschlafen. Viele Stadtwerke haben ihr Netz sogar abgerüstet. In Düsseldorf etwa wurde in den vergangenen 25 Jahren die Hälfte der 5000 kleinen Ortsnetztrafos demontiert, weil die privaten Haushalte immer weniger Strom verbrauchten. Niemand konnte sich vorstellen, dass sich das wieder ändern würde. In den Siebzigern heizten viele mit Nachtspeicheröfen und Durchlauferhitzern, die ähnlich viel Leistung zogen wie eine Autoladestation heute. Dann wurden Hausgeräte immer sparsamer, mit Strom heizte fast niemand mehr.
Und – gibt es alternative Lösungen? „Spannend“ findet Andreas Rimkus, verkehrspolitischer Sprecher der SPD, die Idee einiger Start-ups, Elektroautos über Nacht an Straßenlaternen zu laden. Allerdings sind die Lampen dazu nicht überall in der Lage. Städte bauen ihre Straßenbeleuchtung seit Jahren auf LED um, die nur ein Zehntel so viel Strom ziehen wie herkömmliche Laternen vor 20 Jahren. Ein E-Auto dort zu laden würde mehrere Tage dauern. „Solche Konzepte können keine leistungsfähige Ladesäuleninfrastruktur in den Städten ersetzen“, sagt Rimkus, der früher als Elektromeister für die Düsseldorfer Stadtwerke die Niederspannungsnetze mit gebaut hat.
Wo sollen die Ladestationen stehen?
Dabei könnte man alleine durch die geschickte Standortwahl neuer Ladesäulen die Kosten für den Netzausbau immens drücken. Einer, der weiß, wo man Ladesäulen am besten baut, ist Volker Lazzaro, Geschäftsführer des größten deutschen Ladesäulenherstellers Mennekes. „Günstig sind Orte, an denen die Leute mehrere Stunden stehen müssen und wo bereits hohe Anschlussleitungen da sind“, sagt er. Zu Hotels etwa wurden bereits dicke Kabel verlegt, die Großküchen oder Aufzüge versorgen. Auf die Parkplätze der Hotels könnte man ohne großen Aufwand Ladesäulen stellen – ohne zu riskieren, dass das Netz unter der zusätzlichen Last schlapp macht. „Auch Park-&-Ride-Parkplätze wären ideal“, sagt Lazzaro. „Sie sind in der Nähe der S-Bahn, und die Bahn hat genügend Strom.“ Am besten allerdings ließe sich der Strom für die E-Autos auf den Mitarbeiterparkplätzen großer Firmen abzapfen. Dort gibt es dicke Leitungen und Trafos, und die Autos parken über viele Stunden. Sie können langsam und netzschonend laden.
Warum schläft der Gesetzgeber?
Eigentlich wäre für den nötigen Umbau der Stromnetze noch genügend Zeit. Doch wer sich in Deutschland umhört, bekommt den Eindruck, dass all diejenigen, deren Einsatz es nun für diesen Umbau bräuchte, diese Zeit einfach verstreichen lassen. Beispiel: Freiburg. Die Stadt wächst. An ihrem Westrand entsteht bald ein ganzes Wohnviertel: Dietenbach. Heute ist die Fläche zwischen Bundesstraße 31a und Naturschutzgebiet noch Ackerland, ab 2020 sollen die Bagger rollen, 2040 das letzte Haus stehen.
Fünf Jahre haben die Stadtentwickler geplant, gerechnet und Bürgerdialoge geführt. Sie haben an Stellplätze für die Autos gedacht, an die Verzahnung mit Bus und Bahn, an Car-Sharing. Nur an eines nicht: dass von den Autos der rund 13.000 Menschen, die nach Dietenbach ziehen, viele einen Elektroantrieb haben – und irgendwo laden müssen.
Doch die Elektromobilität taucht in den Planungsunterlagen mit keinem Wort auf. Nicht nur in Freiburg schlafen Kommunalpolitiker und Planer. Sie tun es bundesweit. Und es geht nicht nur um ein paar träge Lokalpolitiker. Es ist eine regelrechte Blockadehaltung. Und zwar ganz oben. Anstatt den Ausbau der benötigten Stromanschlüsse für Ladesäulen zu fördern, hintertreibt die Bundesregierung ihn sogar auf EU-Ebene. So macht sich die deutsche Regierung ausgerechnet jetzt in Brüssel gegen eine bessere Vorverkabelung von Wohnhäusern stark, wie der „Spiegel“ berichtet.
SPD-Politiker und Elektromeister Rimkus fürchtet, dass der Ausbau der Stromnetze verschleppt und damit deutlich teurer wird: 45 Millionen E-Autos seien kein technisch unlösbares Problem für die Netze, sagt er. Aber: „Sie werden eines, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher.“
Einfach mal loslegen, „mit der Gießkanne investieren, das ist keine Option“, sagt Stadtwerkechef Reiter. „Ich kann nicht alle gut 1000 Trafos in meiner Stadt auf Verdacht austauschen oder aufrüsten; das wäre eine zweistellige Millioneninvestition.“
Reiter will aber irgendetwas tun. Also werden seine Leute in den kommenden Jahren für das Stadtgebiet eine Karte des Stromnetzes erstellen, in die Daten aus allen Ortsnetztrafos einfließen. Überlastete Trafos würden rot aufleuchten. Reiters Leute könnten auf der Karte sehen, wo und wann neue E-Autos deutlich mehr Strom verlangen. Permanent überlastete Gebiete könnten sie gezielt mit neuen Ortsnetztrafos, Spannungsreglern oder dickeren Leitungen optimieren. Dazu allerdings müssen die 1000 Trafos in der Stadt erst einmal mit Sensoren ausgestattet werden. Nur so können sie all die Daten senden, die Reiter für seine Karte braucht.
Auch hier wird Reiter torpediert von Politikern, die die E-Mobilität blockieren: So gibt es zwar ein Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende – und damit die Möglichkeit, die Stromnetze so smart zu machen, dass auch Reiter an die Informationen kommt, die er braucht. Doch auch in dessen jüngster Überarbeitung von August 2016 hat der Gesetzgeber die E-Mobilität nicht vorgesehen.
Was bringt die Digitalisierung?
Zwar schreibt das Gesetz in Neubauten intelligente Stromzähler vor, die Verbräuche minutengenau preisgeben – aber erst ab einem jährlichen Verbrauch von 6000 kWh. Auch mit einem E-Auto liegen die meisten Haushalte weit darunter. Bei ihnen wird weiterhin nicht erfasst, wie viel Strom sie zu welcher Zeit benötigen. Es wären genau jene Daten, die Reiter für seine Karte fehlen. Und damit für den sinnvollen Netzausbau.
Dass ein smartes Stromnetz technisch möglich und nicht einmal teuer ist, lässt sich in der Nähe von Augsburg schon beobachten. In Wertachau betreibt die Innogy-Tochter Lechwerke ein solches Netz: Hier ist jeder Haushalt mit einem intelligenten Stromzähler ausgestattet, der dem Versorger mitteilt, wann wer wie viel Strom zieht.
Kern des Systems ist der Smart Operator. Ein Kasten so groß wie ein DIN-A4-Blatt. Er steuert die intelligenten Stromzähler in jedem Haushalt an. Und darin arbeitet ein selbstlernender Algorithmus: Das Programm erfasst, welcher Haushalt wann wie viel Strom verbraucht und wer gerade Überschüsse produziert, etwa mit seiner Solaranlage auf dem Dach. Es errechnet auf der Basis wiederkehrender Muster Bedarfs- und Angebotsprognosen für die nächsten Tage. Der Algorithmus merkt sich, wenn Frau Meier ihren BMW i3 immer morgens um 9 Uhr laden will, Herr Müller seinen Tesla nur alle zwei Tage, aber immer ab 21 Uhr. Und er verteilt den Strom danach: Er meldet etwa an den Zähler der Familie Meier: „Es ist viel Strom da im Dorf: Lade dein E-Auto.“ Oder aber: „Es ist gerade viel Bedarf, beginne erst in zwei Stunden mit dem Ladevorgang.“
In diesem smarten Stromnetz, sagt Andreas Breuer, Leiter Neue Technologien bei Innogy, gehe es vor allem darum, „Verbrauch und Erzeugung lokal so gut in Deckung zu bringen, dass das Netz gar nicht erst durch Lastspitzen beansprucht wird“. Der Kunde selbst merke von den Steuervorgängen im Hintergrund nichts und habe keinerlei Beeinträchtigung. Wenn die Wertachauer insgesamt zu viel Strom verbrauchen, wird Energie über das Mittelspannungsnetz dazu geholt – oder eingespeist, wenn sie an sonnigen Tagen zu viel Strom produzieren. Zuvor tauschen sie Strom untereinander.
Das Projekt in Wertachau habe gezeigt, dass schon relativ geringe IT-Investitionen oft sehr viel größere in neue Trafos, Kabel und Erdarbeiten ersparen können, sagt Breuer. Bei einem ähnlichen Projekt in der Eifel konnte Innogy durch den Einsatz von IT für eine Million Euro den Bau einer neuen Stromleitung sparen, die das Zehnfache gekostet hätte. Software, das ist seine Botschaft, könne helfen, die Kosten für den Netzausbau in einem erträglichen Rahmen zu halten. „Die Verkehrswende steht und fällt mit der Digitalisierung der Stromnetze“, sagt Breuer.