
Ein Häufchen aus dünnen, gestapelten Alufolien. Zwischen ihnen wabert eine undefinierbare Flüssigkeit. Außenrum eine Abdichtung und ein paar Kabel: Das merkwürdige Etwas, an dem Forscherin Mareike Wolter am Fraunhofer-Institut IKTS in Dresden werkelt, könnte die globale Autoindustrie revolutionieren. Sogar die Bundeskanzlerin hat Wolter getroffen; Angela Merkel lobte die Erfindung in ihrem Video-Blog vor ein paar Wochen überschwänglich. Die Lithium-Bipolar-Batterie könnte „Elektroauto-Reichweiten von 1000 Kilometern ermöglichen“, sagte Merkel. Das „wäre natürlich schon ein sehr großer Fortschritt“, so die Kanzlerin weiter.
Das ist noch eine Untertreibung. Üblich in der Industrie sind derzeit Reichweiten von maximal 500 Kilometern – die Verdoppelung könnte dem E-Auto zum Durchbruch als Massenvehikel verhelfen. Und kämen die Stromspeicher für die automobile Revolution aus Sachsen statt wie bisher aus Tokio oder Seoul, wäre das für die deutsche Autoindustrie ein enorm wichtiger Durchbruch.
Wolter und Merkel – die Kanzlerin hat sich die ostdeutsche Erfindung herausgepickt, weil sie gut in ihren neuen Masterplan passt. Geht es nach Merkel, so sollen die deutschen Autobauer nicht mehr versuchen, die übermächtige Konkurrenz aus Asien bei der gängigen Lithium-Ionen-Batteriezellen-Technologie (LIB) einzuholen. Stattdessen sollen sie mit völlig neuen Akkugenerationen vorbeipreschen – etwa mit jener, an der die Dresdner Forscherin arbeitet. Denn Deutschland müsse mit „eigenen Erfindungen und eigener Zellproduktion“ am Start sein, so Merkel.
Technische Hintergründe zu Akkus
Eine Batterie hat die Aufgabe, beim Aufladen möglichst viele Elektronen aufzunehmen und diese mit möglichst wenigen Verlusten zu speichern. Beim Entladen gibt sie die Elektronen dann wieder ab, um mit diesem Strom zum Beispiel einen Elektromotor oder ein Handy zu betreiben.
Im Akku übernehmen die sogenannten Lithium-Ionen diese Speicheraufgabe: Diesen Atomen fehlt ein Elektron. Daher sind sie elektrisch positiv geladen. Beim Aufladen strömen negativ geladene Elektronen in den Akku und sammeln sich in einem dichten Geflecht aus dem leitfähigen Kohlenstoff Graphit. Dorthin wandern dann auch die positiv geladenen Lithium-Ionen. Jedes von ihnen bindet ein Elektron – man könnte auch sagen, dass jedes Ion ein Elektron festhält, um die Ladungsneutralität zu gewährleisten. Beim Entladen des Akkus verlassen die Elektronen das Graphit nach und nach wieder. Damit wandern auch die positiv geladenen Lithium-Ionen aus dem Graphit-Netzwerk heraus. Später kann der Ladezyklus dann von neuem beginnen.
Je mehr Lithium-Ionen in einen Akku hineinpassen, umso mehr Elektronen und damit Energie können auf gleichem Raum gespeichert werden. Daher arbeitet Bosch schon länger unter anderem daran, den Graphit-Anteil zu reduzieren oder ganz auf das Graphit zu verzichten. Dies würde die Energiedichte des Akkus deutlich steigern. Das scheint jetzt dem Start-up Seeo, das Bosch gekauft hat, gelungen zu sein.
Sich mit neuen Ideen an die Spitze setzen, statt mühsam hintendran ins Ziel zu kriechen – der neue Plan hat auch in der Autoindustrie viele Fans. Ob in Wolfsburg, Stuttgart oder München, überall vernimmt man ähnliche Kampfansagen. Der neue Vorwärtsdrang in Sachen E-Mobilität aber kollidiert mit der Realität. Er wird scheitern.
Eine Geschichte der verpassten Chancen
Deutschland auf der E-Überholspur, das ist ein Land, das unter Schizophrenie leidet: Selbst die mit Kanzlerinnen-Lob überschüttete Spitzenwissenschaftlerin Wolter hat die 15 Millionen Euro bisher nicht einsammeln können, die sie braucht, um bis zur Marktreife forschen zu können. „Die Autohersteller scheuen bei der Innovationsförderung oft das finanzielle Risiko“, sagt Wolter; die Konzerne könnten solche Summen aus der Portokasse zahlen. Für den gerade entstehenden globalen Milliardenmarkt mit abgasfreien Autos ist die Batterietechnik das Entscheidende; Deutschlands wichtigste Branche knausert und zögert.
Es ist eine Geschichte der verpassten Chancen, Arroganz und Tatenlosigkeit. Die erfolgsverwöhnte Autoindustrie verzettelt sich mit kleinen Batterie-Labormodellen und Elfenbeinturm-Projekten, während andere Milliarden investieren und uneinholbar wegfahren im Wettlauf um die Schlüsseltechnologie. Fraunhofer-Forscherin Wolter kann den Rummel um ihre Erfindung derzeit genießen, warnt aber vor übertriebenen Erwartungen. Neue Superakkus wie ihrer, so sie sich jemals als alltagstauglich herausstellen, benötigen schließlich noch etliche Jahre bis zur Marktreife.
Wolter selbst sagt, dass zwischen den winzigen Zellen in ihrem Labor und einer Hunderte Kilogramm schweren Batterie im Serienfahrzeug „im günstigsten Fall um die zehn Jahre Entwicklungsarbeit“ liegen – vorausgesetzt, die Forscherin findet noch eine solide Finanzierung.
Die Tesla-Chronik
Zwei Teams um den US-Ingenieur Martin Eberhard und den Milliardär Elon Musk entwerfen die Vision eines Elektrofahrzeugs, das mit Akkus angetrieben wird. Auf der Basis des Prototyps T-Zero. Neben Musk stecken auch die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page und der eBay-Gründer Jeff Skoll Geld in das Projekt.
Drei Jahre arbeitet Tesla am ersten Modell, im Juli 2006 stellt das Unternehmen den Roadster vor. Der zweisitzige Sportwagen auf der Basis des britischen Leichtgewicht-Roadster Lotus Elise verfügt über einen 215 kW (292 PS) starken Elektromotor, der seine Energie aus 6.831 Lithium-Ionen-Notebook-Akkus bezieht.
Im August 2007 tritt der damalige CEO Martin Eberhard zurück, im Dezember 2007 verlässt er das Unternehmen komplett. Am Ende landet der Streit der Gründer fast vor Gericht – bis eine außergerichtliche Einigung erzielt werden kann.
Musks finanzielle Mittel alleine reichen zum Wachstum nicht mehr aus. Mit Daimler und Toyota steigen zwei große Autokonzerne bei Tesla ein. Trotzdem schreibt das Unternehmen weiterhin Millionenverluste.
Lange war der Bau einer eigenen Limousine unter dem Codenamen „WhiteStar“ geplant. Auf der IAA in Frankfurt feiert das Model S, eine 5-sitzige Limousine die Premiere. Anfangs übernimmt Lotus die Fertigung. Ab 2011 wird das Modell in einer ehemaligen Toyota-Fabrik in Freemont gebaut. Pro Jahr werden zunächst 10.000 Modelle gefertigt.
Tesla erhält vom US-Energieministerium einen Kredit über 450 Millionen Dollar. Das Geld investiert das Unternehmen in den Aufbau einer eigenen Fertigung.
Musk wagt den Börsengang. Mit einem Ausgabepreis von 17 Dollar geht der Elektrohersteller in den Handel – und macht den Gründer wieder reich. Über Nacht erreicht erreichen die Anteile von Musk einen Wert von 650 Millionen Dollar, obwohl das Unternehmen bis zu diesem Zeitpunkt noch nie Gewinne gemacht hat.
Tesla veröffentlicht Pläne einen eigenen SUV an den Start zu bringen. Das Model X soll im Sommer 2015 erstmals ausgeliefert werden und die Modellpalette von Tesla erweitern. Am Ende verzögern sich die Pläne, die Produktion des Model X läuft erst im Herbst an – und das nur schleppend.
Endlich schreibt Tesla schwarze Zahlen. Auch den Millionenkredit des Staats zahlt das Unternehmen neun Jahre früher als es nötig gewesen wäre. Mit der Ausgabe neuer Aktien und Anleihen nimmt das Unternehmen rund eine Milliarde Dollar ein. Der Aktienkurs des Unternehmens beläuft sich mittlerweile auf 147 Dollar. Damit ist das Unternehmen an der Börse mehr wert als Fiat.
Im Mai haben die Bauarbeiten in Reno, Nevada, für die weltgrößte Batteriefabrik begonnen. Hier will Tesla nicht nur die Akkus für seine Elektroautos und auch sogenannte "Powerwalls" für den Hausgebrauch montieren, sondern auch die Batteriezellen selbst aus Rohstoffen herstellen. Das Investitionsvolumen beträgt fünf Milliarden Dollar, als Partner ist Panasonic mit im Boot.
Tesla gibt Pläne bekannt, mit dem Model 3 ein kompaktes Auto für den Massenmarkt auf den Markt bringen zu wollen. Der Wagen, der rudimentär erstmals im März 2016 gezeigt wurde, soll rund 35.000 Dollar kosten und soll über eine Reichweite von 320 Kilometern (200 Meilen) verfügen.
Nach der Vor-Premiere des Model 3 im März steht zur Jahresmitte ein weiterer Meilenstein an: In der Gigafactory werden die ersten Batteriezellen gefertigt. Diese sind zwar vorerst für die PowerWall-Heimakkus gedacht, bringen das Unternehmen aber einen Schritt näher an die Massenfertigung des Model 3.
Ende Juni 2017 übergibt Tesla die ersten 30 Model 3 an ihre Besitzer übergeben - allesamt sind Tesla-Beschäftigte. Die ersten 30 von mehr als einer halben Million Vorbestellungen, die Tesla erst einmal lange abarbeiten muss.
Tesla erreicht am 1. Juli das Produktionsziel für seinen Hoffnungsträger Model 3. In den sieben letzten Tagen des zweiten Quartals seien 5031 Fahrzeuge hergestellt worden, teilt der Konzern. Vom Erfolg der Serienfertigung beim Model 3 hängt ab, ob sich Tesla mit seinen 40.000 Beschäftigten vom unrentablen Nischenplayer zum profitablen Hersteller wandeln kann.
Innerhalb der kommenden zehn Jahre aber dürften, so die gängigen Prognosen, mindestens 25 Millionen E-Autos verkauft werden, manche rechnen auch mit 50 Millionen. Leider nur wird in keinem einzigen davon und auch in keinem Hybridauto, das E- und Verbrennungsmotor kombiniert, deutsche E-Zellentechnik stecken; der technologische Vorsprung der Asiaten vergrößert sich deshalb. „Ein Gutteil des für konkurrenzfähige Akkus benötigten Know-hows ist Prozess- und Fertigungswissen“, sagt Dirk Uwe Sauer, renommierter Professor für Elektrochemie und Speichertechnik an der RWTH Aachen, „das holt man nicht im Labor auf, sondern durch ständiges Optimieren in der laufenden Fabrik.“