Automatische Notbremse, Spurhalter oder Autobahn-Assistent – moderne Autos haben viele automatisierte Fahrfunktionen, die alle mehr oder weniger Vorstufen zum autonomen Fahren sind. Doch bis der Computer wirklich dauerhaft komplett das Steuer übernimmt, vergehen noch viele Jahre; die höchste Automatisierungsstufe kommt vielleicht nie.
Denn ein Auto, das nach der Definition der Ingenieurs-Organisation SAE auf Level 5 fahren kann, müsste immer und überall ohne menschlichen Eingriff unterwegs sein, in China genauso wie in Schweden, bei Starkregen ebenso wie im Nebel, auf der Autobahn wie in der überfüllten Innenstadt. Lenkrad und Pedalerie sind bei solch einem Robo-Taxi weder nötig noch vorhanden, ein menschlicher Eingriff im Fahrzeug weder möglich noch vorgesehen.
Zwar ist ein Level-5-Auto technisch durchaus möglich; doch die Kosten für Entwicklung und Absicherung gegen Fehlfunktionen wären so hoch, dass sie sich durch die Vermarktung schwer wieder einspielen könnten. Denn, wenn der Mensch nicht mehr steuert, geht die Verantwortung für Unfälle auf den Hersteller der Technik über.
Schneller schlau: Die fünf Stufen des autonomen Fahrens
Das „assistierte Fahren“ ist bereits in unterschiedlicher Ausprägung bis in untere Fahrzeugsegmente verbreitet. Wie der Name schon sagt, helfen Assistenten beim Fahren. Sie warnen beispielsweise vor Fahrzeugen im toten Winkel, beim Verlassen der Fahrspur oder halten den eingestellten Abstand zum Vordermann. Die Helfer assistieren nur, fahren muss immer noch der Mensch hinter dem Steuer.
Beim „teilautomatisierten Fahren“ kann der Wagen bereits einzelne Fahraufgaben selbst übernehmen, muss dabei aber immer vom Fahrer überwacht werden. Dieses Stadium haben die meisten Autohersteller aktuell erreicht. Beispiel dafür ist ein Stau-Assistent, der im Stop-and-Go-Verkehr lenkt, abbremst und selbstständig wieder anfährt. Der Fahrer muss dabei zwar nicht aktiv lenken, darf die Hände aber nicht vom Steuer nehmen. Tut er das doch, wird er nach wenigen Sekunden vom Auto aufgefordert, das Lenkrad zu greifen. Zuletzt hat sich eine Ausbaustufe der Technik etabliert, die als „Level 2 Plus“ oder „Level 2 Hands Free“ bezeichnet wird und das Loslassen des Steuers explizit erlaubt und auch für längere Zeit toleriert.
Das Auto übernimmt beim „hochautomatisierten Fahren“ in bestimmten Verkehrssituationen diverse Funktionen, kann zum Beispiel längere Autobahnstrecken vollständig allein bewältigen. Der Fahrer muss aber das Steuer nach einer Aufforderung durch das Auto wieder übernehmen können. Theoretisch beherrschen bereits mehrere Pkw-Modelle diese Technik, legal nutzen dürfen sie aktuell aber nur wenige, darunter die Mercedes S-Klasse und der BMW 5er. Einschränkungen gibt es etwa bei Geschwindigkeit und Straßenart – so ist Level-3-Fahren in Deutschland nur auf geeigneten Autobahnabschnitten und mit maximal Tempo 130 erlaubt.
Ist das Fahrzeug „voll automatisiert“, kann das Auto spezifische Anwendungsfälle komplett allein meistern – von der Autobahnfahrt bis zu hochkomplexen urbanen Verkehrssituationen. Der Fahrer kann derweil zum Beispiel schlafen und haftet bei Schäden oder Verkehrsverstößen nicht mehr. Hier verlassen wir den Bereich, den Privat-Pkw heute noch beherrschen. Vollautomatisiert fahren aktuell unter anderem die Robotaxis oder -Shuttle von Mobilitätsdienstleistern, die in lokal begrenzten Gebieten unterwegs sind. Ein weiteres Beispiel ist das auch in Deutschland angebotene „Automated Valet Parking“ von Bosch und Mercedes, bei dem sich Pkw in speziell ausgerüsteten Parkhäusern selbstständig ihren Stellplatz suchen.
Beim „autonomen Fahren“ werden die Insassen vollständig zu Passagieren, nicht mal mehr ein Lenkrad oder Pedale sind notwendig. Das Auto kann alle Fahraufgaben alleine bewältigen. Auf jeder Straße, bei jedem Wetter und in komplexesten Verkehrssituationen. Noch Anfang des Jahrzehnts hofften Ingenieure, die oberste Stufe noch Mitte der 2020er-Jahre erreichen zu können. Das wird nicht passieren. Einige Branchenvertreter zweifeln, ob es jemals so weit kommt. Nicht zuletzt, weil die Kosten wohl so hoch wären, dass sich der Einsatz kaum lohnen würde. Bosch-Experte Lanwer kennt ein weiteres Problem: „So ist es beispielsweise sehr schwierig ein autonomes Fahrzeug auf eine Hebebühne zu bekommen, wenn man es nicht steuern kann.“ Es sieht Level 5 erst mal nicht im Markt, weil es im Vergleich zu Level 4 derzeit keinen Vorteil bringt.
Verschiedene Autobauer haben die fünfte Stufe daher bereits gestrichen oder in ferne Zukunft geschoben. „Wann Level 5, also das vollständig fahrerlose Fahren auf allen Strecken und in allen Szenarien, kommen wird, lässt sich aktuell nicht vorhersagen“, sagt Sven Lanwer, der als Bereichsleiter Cross-Domain Computing Solutions beim Automobilzulieferer Bosch die Themen Fahrerassistenz und automatisiertes Fahren verantwortet. Neben technischen Fragen komme es auch darauf an, dass regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen werden – und Menschen der Technologie vertrauten.
Ohnehin ist nach dem Hype vor etwa einer Dekade, als Autohersteller auf jeder Messe Showcars ohne Lenkrad und Pedale präsentierten, Ernüchterung eingetreten, eingebremst von zahlreichen Herausforderungen. Jüngst hat der US-Autokonzern General Motors den Betrieb seiner Robotaxi-Firma Cruise landesweit eingestellt. Zuvor hatten die kalifornischen Behörden den autonom fahrenden Taxis die Fahrerlaubnis wegen Unfällen entzogen.
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„Das automatisierte Fahren ist eine der größten Herausforderungen für die Automobilindustrie – wenn wir nicht von Prototypen sprechen, sondern davon, validierte Systeme auf die Straße zu bringen“, sagt Bosch-Expert Lanwer. „Und dabei wurde der Aufwand sicherlich unterschätzt.“ Denn die Fahrzeuge müssen alles können, was auch ein menschlicher Fahrer kann und das noch besser und zuverlässiger. Ein Grund, warum das automatisierte Fahrer noch nicht so weit verbreitet ist, sind laut Lanwer die vielen Schritte in Sachen Entwicklung und Testung, die unternommen werden müssen, bevor solche Systeme auf den Markt kommen.
Aktuell bei Privat-Pkw am fortgeschrittensten ist die Technik in den Oberklasse-Limousinen Mercedes S-Klasse, EQS und ab Frühjahr auch BMW 7er und i7, die auf Level 3 hochautomatisiert fahren können: Auf ausgewählten Strecken (geeignete Autobahn-Abschnitte) und unter genau definierten Umständen (u.a. gute Sicht, bis Tempo 60) macht es die Elektronik möglich, die Hände dauerhaft vom Lenkrad zu nehmen: Das Kommando und die Hauptverantwortung geht auf den Computer über, der Mensch darf lesen, Filme schauen, muss nur das Steuer innerhalb kürzester Zeit übernehmen können.
Etabliert hat sich auch eine nicht offiziell definierte Zwischenstufe, die als Level 2+ oder auch Level 2-handsfree bezeichnet wird und eine optimierte Version der Level-2-Technik ist. Fahrer eines Ford Mustang Mach-e mit „Blue Cruise-System“ dürfen beispielsweise in sogenannten Blue Zones, die es in begrenzten Abschnitten zahlreicher Bundesautobahnen gibt, die Hände für längere Zeit vom Lenkrad nehmen. Auch Bosch arbeitet mit VW-Konzerntochter Cariad für Fahrzeuge des VW-Konzerns an Level 2-handsfree. Man wolle automatisierte Fahrfunktionen von Level 2 bis Level 3 „in allen Fahrzeugklassen und für jedermann“ verfügbar machen, heißt es. „Prognosen gehen davon aus, dass bereits Mitte des Jahrzehnts mehr als 60 Prozent aller weltweit verkauften Fahrzeuge über Level-2-Systeme oder höher, bis hin zu Autobahnpiloten nach SAE Level 3, verfügen werden“, sagt Bosch-Experte Lanwer.
Level 4 steht bereits in den Startlöchern: Dann sind Fahrzeuge ohne menschlichen Eingriff, aber nur unter klar definierten Rahmenbedingungen unterwegs; etwa in exakt kartographierten Innenstädten oder nur bei einigermaßen gutem Wetter. Ein Robo-Taxi oder ein Flughafen-Shuttle beispielsweise muss nicht überall auf der Welt fahren können.
Die Technik für Level-4-Autos ist nicht nur weniger komplex als für Level 5, sondern sie lässt sich auch leichter in der Praxis einsetzen und vermarkten. Im Privatfahrzeug zum Beispiel, wenn das Auto auf der Autobahn von Ausfahrt zu Ausfahrt komplett alleine fährt. Oder sich selbst einen Parkplatz sucht, wie aktuell am Flughafen Stuttgart schon möglich.
In Monheim oder Bad Birnbach sind People-Mover im Nahverkehr unterwegs (mit Sicherheitsperson an Bord), in San Franzisko fahren Robo-Shuttle von Waymo unter bestimmten Bedingungen fahrerlos. Konkrete Geschäftsmodelle sind erkennbar, so dass sich die aufwendige technische Entwicklung im Zweifel lohnt. Neben US-Unternehmen wie Waymo, Uber und Nutonomy oder Chinesen wie Baidu setzt auch VW mit dem Ridepooling-Dienst MOIA auf Level-4-Autonomie in Form von Mobilitätsdienstleistungen im Nahverkehr, geplant ist der Start ab 2025 in Hamburg.
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