Kohlenstofffaser Sparwunder aus Karbon

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Megacity Vehicle BMW Quelle: Schulte Design

Denn die Herausforderungen, vor die der neue Werkstoff Ingenieure stellt, sind gewaltig. Lange, energieaufwendige Prozesse, hohe Kosten, dazu Probleme bei Reparatur und Recycling – für die Großserienfertigung eines Kleinwagens sind das denkbar schlechte Bedingungen. Trotzdem ist BMW entschlossen, das Elektromobil der neuen Art ab 2013 in CFK zu bauen. Intern haben die Ingenieure die Vorgabe, die Herstellungskosten auf ein Zehntel zu senken.

Erreichen wollen die Münchner das Ziel mithilfe der Experten von SGL Carbon. Das aus dem Chemieriesen Hoechst hervorgegangene Unternehmen ist derzeit der einzige Hersteller von Karbonfasern in Europa.

Strippenzieherin bei dem Bündnis war Susanne Klatten – Deutschlands reichste Frau, mit einem geschätzten Vermögen von gut acht Milliarden Euro. Klatten, geborene Quandt, ist am Automobilkonzern BMW ebenso beteiligt wie an SGL Carbon. Gemeinsam mit ihrer Mutter Johanna Quandt und ihrem Bruder Stefan Quandt hält sie 46,6 Prozent des stimmberechtigten BMW-Kapitals. An SGL Carbon hält sie aktuell 22 Prozent.

SGL-Carbon-Chef Robert Koehler erhofft sich viel von der Entwicklung: „In zehn Jahren könnte unser Gesamtumsatz mit Karbonfasern von derzeit 300 Millionen Euro pro Jahr auf bis zu drei Milliarden Euro steigen.“

Produziert werden die Kohlenfasern in einem nagelneuen Werk in Moses Lake, einer Kleinstadt mit 18 000 Einwohnern im Nordwesten der USA. Einer der größten Vorzüge des Paradieses für Jäger: Es gibt ausreichend Strom, der umweltfreundlich durch Wasserkraft hergestellt wird. Mit dem Einsatz regenerativer Energie hofft BMW die Diskussion über den enormen Stromhunger und die damit verbundene schlechte CO2-Bilanz der CFK-Herstellung ersticken zu können.

„Energetisch ist die Herstellung von Kohlenfaserteilen ein höchst aufwendiger Prozess“, sagt Kai Fischer, der Leiter der Abteilung faserverstärkte Kunststoffe am Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) der RWTH Aachen. Die Öfen, in denen die Kohlenfasergarne mit dem Epoxydharz verbacken werden, laufen bei Temperaturen zwischen 1500 und 2000 Grad, aus produktionstechnischen Gründen 24 Stunden lang und an sieben Tagen der Woche. Zahlen zur Gesamtenergiebilanz der Kohlenfaserherstellung hat SGL Carbon bisher nicht veröffentlicht. Fischer: „Das ist ein heißes Thema.“

Öfen laufen bei 2000 Grad

Verarbeitet werden soll das pechschwarze Wundergarn aus Moses Lake in Wackersdorf in der Oberpfalz. Dort, wo Brennstäbe von Atomkraftwerken aufbereitet werden sollten, entsteht gerade eine einzigartige Textilfabrik. Vier Wirkmaschinen, jede dieser Nähmaschinen so groß wie ein Schiffscontainer, weben hier Gelege, eine Art Matte, in industriellem Tempo. Zu Teppichen aufgerollt, gelangen die Karbongelege anschließend ins BMW-Werk Landshut, wo sie in einem automatisierten Prozess mit Harz getränkt und in Form gepresst werden. Nur sechs Minuten soll die Herstellung eines Bauteils dauern.

Das mutige Engagement von BMW in Sachen Leichtbau bringt Bewegung in die Autoindustrie. Daimler gründete kürzlich ein Joint Venture mit dem weltgrößten Hersteller von Karbonfaserstoffen, Toray aus Japan. In Esslingen sollen ab 2012 Bauteile wie Kofferraumhauben und Dächer aus CFK hergestellt werden. Und Audi verkündete vergangene Woche eine Entwicklungspartnerschaft mit dem württembergischen Maschinenbauer Voith zur Produktion von Leichtbauteilen aus CFK.

Hilfestellung bekommt Audi aus Italien: Konzernschwester Lamborghini arbeitet eng mit den Experten des Flugzeugherstellers Boeing aus Seattle zusammen. Wie weit man dabei gekommen ist, zeigt der neue Aventador: Die Karosse des Supersportwagens, der in wenigen Tagen auf dem Automobilsalon in Genf Weltpremiere feiert, besteht größtenteils aus Kohlenfaserverbundstoff.

Und auch der Mutterkonzern in Wolfsburg hält große Stücke auf den Wunderwerkstoff. Bereits 2002 war der heutige VW-Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch in einem zigarrenförmigen Ein-Liter-Auto mit Karbonkarosse von Wolfsburg nach Hamburg gerollt. Im Januar dieses Jahres legte VW nach und präsentierte im Wüstenemirat Katar ein serientaugliches Ein-Liter-Auto namens XL1. Firmenpatriarch Piëch war erkennbar angetan vom Fortschritt, insbesondere den sinkenden Produktionskosten: „Die Karbonkarosserie des Ein-Liter-Autos von 2002 kostete rund 35 000 Euro, die des XL1 noch 5000 Euro.“

Der Zweisitzer wiegt nur knapp 800 Kilogramm, obwohl er alle üblichen Komfort- und Sicherheitsausstattungen an Bord hat. Geplant ist, das Auto ab 2013 in einer Kleinserie von 100 Stück zu fertigen.

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