Oldtimer-Rallye Roland Tichy unterwegs auf der Mille Miglia

WirtschaftsWoche-Chefredakteur Roland Tichy war in einem Porsche 356 unterwegs. Quer durch Italien auf der Mille Miglia. Lesen Sie seinen Reisebericht.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Roland Tichy auf der Mille Miglia
Chefredakteur Roland Tichy bereitet sich für die Mille Miglia vor. Die Sonne strahlt vom Himmel - fertig für die Anprobe!
Mit einem solchen Porsche 356 fährt Roland Tichy.
Ein 20er Bugatti. Die Brits fahren ihre Oldtimer quer durch Frankreich nach Brescia, Startpunkt der Mille Miglia. Man gönnt sich ja sonst nichts. Das gilt auch fùr das nächste Bild: ein Bentley, Jahrgang 29.   
Die Vorbereitungen für die Mille Miglia laufen. Auf dem Foto ein 29er Bentley. Das modernste daran ist die Schweizer Autobahnvignette. Da gibt es keine Gnade...
Mercedes
Der stolze Sieger vom "Carrera Panamericana" im Jahr 1955.
Hier noch einmal in all seiner Pracht. Sein Alter sieht man ihm wirklich nicht an.

++ Startvorbereitungen: Da ist er. Der Porsche 356, ich darf ihn fahren, den ersten, den seltenen, den vergötterten Ur-Porsche. 1000 Meilen auf der Mille Miglia, von Brescia nach Rom und zurück. Ok, nicht selber am Steuer, aber immerhin als Ko-Pilot werde ich Porsche-Pressechef Hans-Gerd Bode durch Italien leiten, über Geschwindigkeitsmessstrecken und nächtliche Landstraßen, Pappelalleen entlang und durch Ravenna und Sirmione und Padua und vielen anderen, die alle sorgfältig im Roadbook aufgeführt sind, rund 1000 Seiten Italien.

Er hat einen 1,5 Liter Motor mit immerhin 55 PS. Er  ist Baujahr 1954, ich 1955. Wir werden uns also gut verstehen. Da bin ich mir ganz sicher, denn – ich habe ich schon gefahren, viele, viele Meter. Zwischen Sofa und Wohnzimmerschrank. Mein Bruder hatte dieses Modell in den 60er Jahren zu Weihnachten als Schuco-Ausgabe erhalten – mit einem Batteriemotor und Fernsteuerungskabel, das sich bevorzugt um die Sesselbeine wickelte und die rasende Fahrt zu einem jähen Ende brachte. Denn der 356er wurde sofort ein begehrter Klassiker, bis 1965 wurden 77.766 Fahrzeuge diesen Typs gebaut. Und wer nicht ein Filmstar wie James Dean war, sondern neben dem Stahlwerk wohnte, der war auf die Fernsteuerungsausgabe von Schuco angewiesen. Aber das ist ja vorbei.

296 lautet die Startnummer von Roland Tichy und seinem Fahrer Hans-Gerd Bode.

Meine Kindheitsträume werden real. OK, er ist nur geliehen für die Mille Miglia. Aber den anderen, den kleineren Porsche durfte ich ja auch nur ausleihen, gelegentlich. Insofern hat sich also nichts geändert. Ich würde Sie gerne mitnehmen auf die Rundreise durch Italien – hier an dieser Stelle: Roland Tichys Reise im rasenden Porsche.

++ Ankunft Mittwochnachmittag: Brescia, der traditionelle Startpunkt der Mille Miglia. Ein unromantisches Best-Western-Hotel in Autobahnnähe der Stahlkocherstadt. Die üblichen Fiats und Alfas und VWs auf dem Parkplatz. Und dazwischen: Moosgrüne Bentleys und Bugattis. Britische Oldtimer-Gruppen treffen sich hier.

++Donnerstag, 9 Uhr: Der Flügeltüren-Mercedes, in der Bildergalerie ist der Prototyp von 1952 zu sehen, ist eines der großen Kunstwerke der mobilen Ästhetik. Erwachsene Männer knien vor ihm und streicheln die Flügelmutter, mit der die Räder montiert sind. Einst waren die Flügeltürer Konkurrenten der ersten Porsches, die ja vom VW-Käfer fernabgeleitet waren. Anfangs fuhr der grandiose Mercedes mit seinem 3-Liter-Motor den kleinen Porsche Spider 550 mit ihren 1500ccm davon. Der Durchbruch kam 1954 bei der "Carrera Panamerica" in Mexiko - Hans Herrmann siegte auf Porsche. Das waren damals riesige PR-Veranstaltungen nicht nur für Sportwagen. Die Straßenrennen dienten der Popularisierung der damals riesigen und teuren Straßenbauprojekte - wie eben der Panamerica-Strecke von Alaska bis Feuerland, mit der die großen Wirtschaftsräume erst entstehen und verknüpft werden sollten. Übrig geblieben sind Namen wie "Panamera", der große Porsche, der an die Zeit der Straßenrennen erinnert. Hans Herrmann übrigens fuhr noch lange Jahre weiter Rennen, zunächst Formel 1 für Mercedes. 1970 holte er für Porsche den Gesamtsieg in LeMans - und überreichte im Zielbereich seiner Frau den Fahrerhelm - finito mit Rennen und Todesangst. Und heute also ohne Todesangst von Brescia bis Ferrara - eine Nostalgietour der Giganten von 1954.

++Donnerstag, 10 Uhr: Die Stadt soll mit Polizeiautos abgeriegelt sein, die Zufahrtsstraßen werden kontrolliert. Die Edelboutiquen in der Goethestraße haben die Fenster mit Sperrholzplatten vernagelt, sogar die Firmenschilder der Luxusmarken sind abgedeckt. Dies berichtet mir meine Familie aus Frankfurt, der von den Schlägertrupps der Occupy-Bewegung bedrohten Stadt. In Brescia werden dagegen alle Marken zelebriert, nicht nur Automobile. Aber es ist die Erinnerung an eine Zeit in der Fortschritt und Mobilität begrüßt wurden, und in der damals die Hälfte der Weltbevölkerung hinter dem eisernen Vorhang im real existierenden Sozialismus vegetierten. Der Traum von schnellem Blech war der Traum von Wohlstand und Freiheit. Die meisten Menschen träumen ihn immer noch, in der alten Welt gilt er als verachtenswert. Aber manchmal ist er auch wirklich furchtbar - wenn die alten Rennmotoren losdonnern und fauchen.

++Donnerstag, 14 Uhr: Es ist nicht der TÜV, der die Autos auseinandernimmt, sondern die viel strengere Technikprüfung, die kontrolliert, ob der Originalzustand erhalten oder allenfalls geringfügig modifiziert ist. Teilnehmen dürfen ohnehin nur Modelle, die an den klassischen Straßenrennen in den Jahren 1927 bis 1957 bereits teilgenommen haben. Diesmal sind vor allem italienische Oldtimer billig zu erhalten, die immer die Hälfte des Feldes ausmachen. Der Grund: Das italienische Finanzamt hält alle Italo-Oldies an, und verlangt die letzte Steuererklärung. Im Zuge der Staatsschuldenkrise ist eine Luxussteuer von 3500 Euro zu entrichten, plus Deklaration der Vermögensherkunft. Also: Der Tag vor dem Start ist der Tag der Kontrolle...

++Donnerstag, 16 Uhr: Kurz vor dem Beginn des Starts sehe ich mir den Stadtplatz von Brescia an. Ab 18.30 schiebt sich ein Feld von 3000 bis 4000 Autos (Teilnehmer, technische Unterstützung, Fans) gen Ferrara, im normalen Straßenverkehr, begleitet von Motorrad-Eskorten, die den Weg frei pfeifen. Gut, dass die Rallye mit einer Messe im Dom beginnt: Beten für wenig Gegenverkehr.

++Donnerstag, 20 Uhr: Aufmarsch der Autos mit Flügel: Daimler hat ein Dutzend Flügeltürer am Start, den SL 300, das klassische Rennfahrzeug auf der Mille und den Straßenrennen in den 50ern. Daimler-CEO Dieter Zetsche fährt einen noblen Schwarzen. Rund 150 Mitarbeiter stützen die Flotille. Für Daimler ist es eine gigantische Werbeveranstaltung für den neuen SL. Im Startfeld knubbeln sich die 380 Teilnehmer bunt durcheinander. Deutsche erkennt man daran, dass sie irgendwie versuchen ,die Reihenfolge der Startnummern zu organisieren, Italiener drängeln sich vor und blockieren, Engländer warten stoisch trotz Rückstand von 100 Nummern, bis sich das Feld klärt. Dann 20.23 Uhr, unsere Startzeit. Pilot Bode drückt den Stempel auf das Blech, ich die Knöpfchen für den Tripmaster, der Streckenzähler. Der 356er heult, die mechanische Uhr klappert. Los geht's durch eng gesäumte Strassen, die Menschen jubeln, schreien, wollen uns anfassen, durchs Fenster, werfen Kuchen hinein. Wir sind Helden der Rennstrecke, und stehen immer wieder im Stau.

++Donnerstag, 21 Uhr: Hans-Gerd nimmt den Mittelstreifen zwischen die Scheinwerfer, voll auf die 12. Wir brechen durch eine Gasse, überholen die ersten vor uns. Wir sind in einem Feld von Flügeltürern eingeklemmt. Die fahren im Team, blockieren die Straße, wir sind Einzelkämpfer. Sie haben rund 200, wir nur 50. 50! Markenidentität schießt ins Blut. Am Kreisel, der auf die 9 abbiegt, fahren wir linksrum. 3 Engel zeigen uns die Faust. Ich trommle auf die Blecharmatur. Wie geil ist das denn?

++Donnerstagabend: Im Auto greife ich nach rechts, ins Leere. Kein Gurt. Keine Kopfkissen. Rosshaar im Stuhl, rotes Leder, grober Cord um das Wegrutschen zu verhindern und der Asphalt nah, so nah. Und die Straßen so schmal, so schmal. Hans-Gerd überholt moderne Autos, die sich in Einfahrten verkrümeln, wenn die echten Motoren heulen, dröhnen, röhren. Gelegentlich zischt ein Spider 500 mit Uli Baur und Matthias Müller vorbei, selbe Basis wie wir, aber als Rennauto ausgelegt. Erstaunlich, wie komfortabel der 356er fährt, schnurrt, der Käfersound weckt Kindheitserinnerungen. Wir driften über den Schotter. Der Opel meines Vaters wäre nie auf 120 gekommen, immer überholen, wir ringen mit einem Ferrari, gewinnen über Bremse.

++Donnerstagnacht: Es ist Nacht, wir heulen durch Verona, Altstadt, die Arena. Überall jubeln die Menschen. In jeder Stadt fährt die Route auf eine Bühne, der Bürgermeister reicht Geschenke ins Auto, viel Glück. Du bist Held für Sekunden, Damen mit onduliertem Haar und Perlenkette applaudieren in die zarten Hände, Mädchen kreischen, Jungs laufen hinterher. Forza forza! Kann ich mir nicht vorstellen in Deutschland. Würde sicherlich die grünen Ortsvorsteher auf den Plan rufen, schließlich verpesten wir die Luft, Kat war 30 Jahre später, Spaß verboten. Hier fährst du durch einen Wald winkender Arme, hast Angst, dass sich eine vors Auto wirft. Die Polizei schickt Streifen auf BMWs, aber sie bremsen den Pulk nicht, sondern überholen den Feierabendverkehr, hauen den Fiats mit der Faust aufs Dach damit sie den Weg freimachen für die alten Boliden. Kein Zucken, wenn du bei Tempo 50 die policia stradale, die 80 fährt, mit röchelnden Hundert überholst, bei rot die Kreuzung schneidest.

++Am frühen Freitagmorgen: Zwischenstopp in der 1. Nacht. 350 fahrfähige Oldtimer, wir fühlen uns wie der vermutlich wertvollste Schrottplatz der Welt. Nachts schrauben die Servicemannschaften um die Wette. An Dieter Zetsches Flügeltürer wienern 6 Monteure herum.

++ Freitag, 8 Uhr: Am Morgen geht's um 8.30 von Ferrara Richtung Ravenna, Adria und San Marino. Das Feld zieht auseinander. Es ist ein ganz anderes Fahren an einem Werktag. Plötzlich gibt es LKW zum überholen, LKWs im Gegenverkehr. Es wird eng. So eng. Außerdem stören die bulligen Servicewagen einer schwäbischen Großmarke. Die Dekadenz des Automobils vom flotten Flitzer bis hin zum Monster-SUV manifestiert sich.

++Freitagmittag: Es geht durch die dicht besiedelte Emilia Romagna, zwischen Lastern und Pendlern. Die Orientierung wird schwer in der von Straßen umgepflügten Landschaft. Von hinten schießt ein SL mit der niedrigen Startnummer 277 an uns vorbei: Es ist Daimler-CEO Zetsche. War er eine rauchen, dass er von hinten kommt? Er überholt gewagt in den Gegenverkehr, jeder Boss geht davon aus, dass man ihm ausweicht, und es klappt ja auch. Vor uns also - der SL schießt geradeaus in die Autobahnauffahrt, wir folgen der abknickenden Abfahrt und schreien vor Freude - und übersehen den Abknick im Kreisverkehr. Einmal Roundabout kostet uns acht Plätze. Und es wird langsam. Vor uns ein Daimler Service-SUV, das Winkelemente verteilt. Aha. Der Chef soll durch eine eigene Welt geführt werden. Und dann vorbei an Stuttgarter Sicherungswagen mit Blaulicht: alles wartet auf den Staatsratsvorsitzenden, den CEO der Welt. Da kommt er wieder, lächelnd, der Schnauzbart wippt. Er lässt es über die Bumper krachen, die wir vorsichtig anschleichen. Nun gut. Rallye ist ja nichts Ernstes; und doch bleibt die alte Rivalität der Rennbahn.

++Freitag, 15 Uhr: Steil geht es aus der Ebene zu den Felsen von San Marino hoch. Es stockt. Es riecht beißend nach verbranntem Gummi, nach heißer Kupplung. Serienweise stehen die wahren Oldies aus der Vorkriegszeit am Straßenrand.

++Samstag, 11 Uhr: Durch Rom mit der Lizenz, bei Rot über die Ampel zu fahren - und der Mittelstreifen rechts sieht anders aus. Schnell raus aus der Stadt, und in Viterbo schaffen wir es, das falsche Stadttor zu treffen, also wieder raus und zurück und von vorne. In der Toskana schubsen Polizeimotorräder den Gegenverkehr in die halbhohen Weizenfelder. Eng ist es trotzdem, Reissverschluss mit Normalos. Dazwischen störend: ängstliche Begleitkommandos wohl entführungsbedrohter italienischer Industrieller, auch der Panzer-Daimler mit Esslinger Nummer ist nicht für Dieter Zetsche, sondern eine Leihgabe. Nächste Etappe: Siena, freue mich auf das Forum.

++Sonntagmorgen: Zwei lange Tage und eine Nacht auf engem Raum, Heinz-Gerd Bode und ich als Team: Einer fährt, der andere navigiert im Wechsel quer durch Städte, Landschaften, gefühlte 1000 Kreisverkehre und zusammen 1600 Kilometer. Die Welt kann so groß sein, und Entfernungen waren so gewaltig ohne Autobahnen. Die Mille führt ausschließlich über Landstraßen; dazwischen jagen wir in Modena den kleinen Porsche über die Rennstrecke, in der sonst die Ferraris vom Werk nebenan die Reifen abradieren. Aber keine Stadt wird umfahren: Überall warten Tausende begeisterte Zuschauer, ihr Applaus und ihre Großzügigkeit vertreibt die Müdigkeit, wir sind Helden der Landstraße. Morgen beginnt wieder der nüchterne Büroalltag. Und Respekt vor einem genialen Konstrukteur, der vor 60 Jahren ein leichtes Auto gebaut hat, das sich komfortabel fährt und agil um die Kurven läuft; ohne Mucken und Zucken. Eher ein Vorbild für eine Zeit überdimensionierter, überkonformisierter schwerer Autos. Das letzte Bier auf Euch....

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%