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E-FuelsKerosin aus Solarwärme: Macht dieser Solarturm Fliegen grün?

Ab 2025 müssen Flugzeuge in der EU Ökosprit beimischen, doch der ist rar. Nun produzieren Gründer in Jülich erstmals Treibstoffe aus Sonnenwärme. Kann die Technik Fliegen jetzt klimafreundlich machen?Andreas Menn 23.06.2024 - 13:30 Uhr

Das soll die weltweit erste industrielle Anlage sein, in der synthetisches Rohöl mit Solarwärme produziert wird

Foto: WirtschaftsWoche

Die Busfahrt durch das Rheinische Revier hat an diesem Vormittag im Juni etwas von einer Zeitreise. Zuerst geht es vorbei an einem riesigen Tagebau, der Energiequelle der Vergangenheit; dann an lauter Windrädern, der Gegenwart. Bis plötzlich zwischen Getreidefeldern ein hoher, weißer Turm auftaucht, davor am Boden hunderte Spiegel auf Stützen aus Stahl. Das ist, so hofft Philipp Furler, die Energie der Zukunft.

Der Mitgründer und CEO des Schweizer Start-ups Synhelion hat zusammen mit seinem Führungsteam zu einer Eröffnungsfeier eingeladen. Dutzende Gäste vor allem aus der Luftfahrtbranche haben sich in einem Festzelt am Rande des Spiegelfelds nahe der zwischen Köln und Aachen gelegenen Stadt Jülich versammelt. Eingeweiht werden soll die weltweit erste industrielle Anlage, in der synthetisches Rohöl mit Solarwärme produziert wird. „Daraus lässt sich Kerosin für Flugzeuge erzeugen, Diesel für Schiffe, Benzin für Autos“, erklärt Synhelion-Co-Chef Furler.

E-Fuels, wie die nachhaltigen Treibstoffe auch genannt werden, sind umstritten, wenn es um ihren Einsatz im Auto geht, weil Elektroautos als effizienter gelten. Bei großen Flugzeugen und Schiffen dagegen sehen Experten kaum Alternativen: Flüssigtreibstoffe haben eine vielfach höhere Energiedichte als etwa Batterien, die künftig immerhin auf kürzeren Strecken eine Rolle spielen könnten. „Das wichtigste Element für die Dekarbonisierung des Luftverkehrs ist die Entwicklung und Förderung synthetischer Flugkraftstoffe“, sagt Anthony Patt, Professor für Klimaschutz an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ).

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Das sieht offenbar auch die Europäische Union so: Sie hat Quoten für den Einsatz von Ökokerosin beschlossen. Ab 2025 müssen die Airlines zwei Prozent davon beimischen, ab 2030 sechs Prozent, 2035 sollen es dann schon 20 Prozent sein. In den USA wiederum werden die Anbieter von synthetischen Kraftstoffen für die Luftfahrt mit Subventionen und Steuernachlässen unterstützt. Einige Airlines haben sich bereits selbst Ziele für die Beimischung von klimaneutralem Kerosin gesetzt.

Doch aktuell sieht es danach aus, dass die EU-Vorgaben schwer zu erfüllen sein werden: „Es gibt nicht genug nachhaltigen Treibstoff, um die Quoten zu erfüllen“, warnte jüngst Stefan Schulte, Chef des Flughafenbetreibers Fraport, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Auch die Unternehmensberatung Roland Berger erwartet einen Engpass bei Ökosprit, in der Luftfahrtbranche Sustainable aviation fuel (SAF) genannt: 19 Millionen Tonnen werden ihren Berechnungen zufolge im Jahr 2030 die Nachfrage nach SAF betragen. Verfügbar sein dürften dann aber nur 15 Millionen Tonnen.

Bisher wird der grüne Sprit vor allem aus Abfällen wie alten Fetten hergestellt, etwa Resten der Lebensmittelindustrie. Diese Quellen dürften aber in ein paar Jahren die wachsende Nachfrage nicht mehr decken können, sagt Synhelion-Gründer Furler. Darum müsse die Produktion von synthetischen Treibstoffen jetzt ausgebaut werden. 300 Millionen Tonnen Sprit pro Jahr schlucke der Flugverkehr, Lastwagen tankten 760 Millionen Tonnen, Schiffe noch einmal 270 Millionen Tonnen. 

Hunderttausende Spiegel, 1500 Grad Hitze

In Jülich zeigt sich im Kleinen, wie sich dieser Sprit mit Solarenergie herstellen lässt. Die neue Anlage von Synhelion ähnelt einem Solarthermiekraftwerk, wie es etwa in der Mojave-Wüste nahe Las Vegas in Betrieb ist: Unzählige bewegliche Spiegel reflektieren das Sonnenlicht auf einen kleinen Bereich an der Spitze eines Turms. Dort wird die Hitze üblicherweise genutzt, um Dampf zu erzeugen und eine Stromturbine anzutreiben.

Das Synhelion-Kraftwerk nutzt die Wärme aber nun, um flüssigen Treibstoff zu produzieren. Wer eine Metalltreppe hinauf auf den 20 Meter hohen Turm klettert, sieht, wie das funktioniert: Im Dachgeschoss ist ein meterweiter, metallener Trichter an der Wand in Richtung des Spiegelfeldes montiert. „Das ist der Receiver, mit dem wir die Sonnenwärme auffangen“, sagt Aron Graf, Produktchef und Leiter des Jülicher Bauprojekts bei Synhelion.

Dazu müssen die Spiegel am Boden mit eigens entwickelten Antrieben hochpräzise dem Lauf der Sonne nachgeführt werden, so dass sie das Sonnenlicht jederzeit exakt auf den Receiver spiegeln. Allein das Kalibrieren der Anlage für jeden Sonnenstand über das Jahr hinweg ist eine komplizierte Aufgabe, die Synhelion mit Drohnen erheblich beschleunigt haben will und nachts erledigen kann, wenn die Sonne nicht scheint.

Foto: WirtschaftsWoche

Auch die Spiegel selbst, Heliostate genannt, sind eine Eigenkonstruktion, zusammengesetzt aus dreieckigen, biegsamen Spezialglasteilen. Je nach Entfernung zum Turm müssen die Heliostate etwas anders gewölbt sein, um das Sonnenlicht in der richtigen Weise zu reflektieren. 218 Spiegel sollen es in Jülich in voller Ausbaustufe werden – bei größeren Anlagen sollen es Hunderttausende sein. Zusammen erzeugen sie einen Brennfleck auf dem Receiver im Turm, der nur 40 Zentimeter breit ist. Laut Synhelion kann keine Solarturmanlage auf der Welt das Sonnenlicht so präzise fokussieren.

Dadurch entstehen im Receiver besonders hohe Temperaturen von bis zu 1500 Grad Celsius, mit denen heißer Wasserdampf erzeugt wird. Ein Teil davon wird in einem Wärmespeicher gebunkert, damit die Anlage nachts weiterlaufen kann. Der andere Teil erhitzt einen Reaktor, fünf Meter hoch, der sich über mehrere Stockwerke zieht. Oben strömt durch eine Leitung Biogas in den Reaktor, eine Mischung aus Methan und Kohlendioxid.



Im Reaktor entsteht bei hoher Hitze daraus so genanntes Syngas – ein Mix aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid. Der strömt dann hinab in einen Container am Fuße des Solarturms. Darin ist eine Anlage, die nach dem so genannten Fischer-Tropsch-Verfahren daraus flüssiges synthetisches Rohöl erzeugt. Künftig will Synhelion das Rohöl dann an herkömmliche Raffinerien liefern, die daraus Kerosin, Diesel oder Benzin herstellen.

Die Anlage in Jülich soll ab diesem Jahr zeigen, dass das Verfahren in industriellem Stil funktioniert. Im Jahr 2027 will Synhelion in Spanien dann eine größere Anlage in Betrieb nehmen, die 1000 Tonnen Treibstoff pro Jahr produziert. Zu Beginn der 2030er Jahre will das Start-up schon eine Million Tonnen herstellen, das entspreche zehn Prozent des deutschen Kerosinverbrauchs.

Interessierte Abnehmer haben die Gründer aus der Schweiz bereits ins Boot geholt: Die Fluglinien Lufthansa und Swiss sowie der Flughafen Zürich sind Partner des Unternehmens. „Wir können SAF mit herkömmlichem Kerosin mischen und die bestehende Treibstoff-Infrastruktur nutzen“, sagt Heike Birlenbach, Chief Commercial Officer der Swiss. Allerdings seien nachhaltige Treibstoffe heute noch drei bis fünf mal teurer als fossiles Kerosin. „Wir brauchen Lösungen, die kostengünstiger sind.“

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Mit der Massenproduktion per Solarturm will Synhelion seine Kosten drücken. In den 2030er Jahren will das Start-up bei den Produktionskosten etwa das Niveau von SAF aus altem Frittierfett erreichen. Besonders hilfreich könnten dabei auch Staatsgarantien sein, mit denen die Hersteller preiswertere Kredite für den Bau ihrer Anlagen bekommen könnten, sagt Mitgründer Furler. 

„Es ist denkbar, dass synthetische Kraftstoffe bis 2035 nur noch doppelt so viel kosten wie fossile“, sagt ETHZ-Experte Patt. Die Treibstoffkosten machten etwa 30 Prozent der Flugkosten aus. „Eine Verdopplung dieser Kosten würde also bedeuten, dass das Fliegen um 30 Prozent teurer würde als heute, wenn sich sonst nichts ändert.“ Doch Flugzeuge könnten auch effizienter werden. „Es ist also durchaus denkbar, dass der klimaneutrale Flugverkehr im Jahr 2040 oder 2050 nicht mehr kosten wird als der Flugverkehr heute.“

Die Branche braucht gigantische Solarkraftwerke

Bis dahin warten noch einige Herausforderungen. Kraftwerke in großem Stil müssen entwickelt, finanziert und gebaut werden. Mit Solarwärme, so Patts Berechnung, „bräuchte man zum Beispiel Sonnenkollektoren auf einer Fläche von etwa 40.000 Quadratkilometern, um den derzeitigen Bedarf an Flugkraftstoff zu decken.“ Eine Fläche von 200 mal 200 Kilometern also. „Das ist enorm“, sagt der Forscher, „wenn auch viel weniger als die Fläche, die benötigt wird, um den neuen Strombedarf für Heizung und Verkehr zu decken. 

Auch muss das Verfahren von Synhelion Quellen für Kohlenstoff erschließen. Das kann Biogas wie in Jülich sein – dann haben Pflanzen Kohlendioxid aus der Luft gefiltert, das später in der Flugzeugturbine wieder in die Luft gepustet wird. Pflanzen benötigen aber große Anbauflächen. Kompakter könnten so genannte Direct-Air-Capturing-Anlagen (DAC) sein, die CO2 technisch aus der Luft filtern. Doch die sind noch sehr teuer.

Laut einer Studie der Deutschen Energieagentur Dena müssen im Jahr 2050 DAC-Anlagen 90 Prozent des CO2-Bedarfs für E-Kerosin decken. In Europa wären das 161 bis 281 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Dafür seien 2000 Terawattstunden an Ökostrom nötig. Zum Vergleich. Im Jahr 2021 produzierte Europa laut Dena 1700 Terawattstunden an erneuerbarem Strom. Für grünes Kerosin werden also nicht nur riesige Solarwärmekraftwerke nötig sein, sondern auch große Fotovoltaik- und Windkraftwerke. Im Vergleich zu Sprit aus Biomasse dürfte der Flächenverbrauch dennoch um ein Vielfaches geringer sein, weil die Solarkraftwerke viel effizienter sind. 

Auch mit 100 Prozent synthetischen Kraftstoffen wäre der Flugverkehr noch nicht klimaneutral. Studien zufolge beruhen zwei Drittel der Klimawirkung der Luftfahrt nicht auf Kohlendioxid, sondern etwa Stickoxiden und Wasserdampf. Darum muss die Branche einen Weg finden, Kondensstreifen und andere so genannte Nicht-CO2-Effekte zu vermeiden.

Immerhin machen Flugversuche mit E-Kerosin Hoffnung: „Die besten Beweise deuten darauf hin, dass nachhaltige Flugtreibstoffe wahrscheinlich wesentlich geringere Nicht-CO2-Effekte haben als fossiler Flugtreibstoff“, sagt ETHZ-Experte Patt. Außerdem deuteten neue Studien darauf hin, dass sich die Nicht-CO2-Effekte der Luftfahrt möglicherweise zu 90 Prozent reduzieren ließen – etwa mit dem Wetter angepassten Flugrouten, auf denen keine Kondensstreifen entstehen.

Um die SAF-Ziele für 2050 zu erreichen, müsse die Herstellung jährlich mehr als zehn Prozent ausgebaut werden, sagt Patt. Doch die Industrie fordert bessere politische Rahmenbedingungen. Europa solle die SAF-Herstellung „nicht nur fordern, sondern fördern, wie die USA es tun“, sagt Marjan Rintel, Chefin der Fluglinie KLM, im Interview mit der WirtschaftsWoche. „So wie es jetzt läuft, hat Europa zu wenig SAF und die USA bald mehr als genug. Denn dank der Förderung gibt es in den Staaten viele Startups und Fertigungskapazitäten. Und wir in Europa verpassen eine Zukunftsindustrie.“

In Jülich verbreitet das Synhelion-Team erst einmal Aufbruchsstimmung. „Dawn“ heißt die frisch eingeweihte Solarturmanlage: Sonnenaufgang. Die größeren geplanten Anlagen in den nächsten Jahren sollen „Rise“ und „Shine“ heißen. Sonnige Aussichten, sofern die Technik sich bewährt – und Politik und Investoren auch für gutes Wetter sorgen.

Lesen Sie auch: Die Luftfahrt sucht nach CO-freien Antrieben und investiert nun stark in Wasserstoffantriebe. Der deutsche Pionier H2Fly baut jetzt sogar einen Flieger mit bis zu 40 Sitzen. Doch nicht nur Jets müssen umgerüstet werden.

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