Tracking der Energiewende #21 Stoppt die Abhängigkeit von China den Solarboom?

Ein Solarboom ohne ausreichend Solarzellen aus China ist nicht machbar. Quelle: imago images

Der Ausbau der Solarenergie läuft derzeit nach Plan. Doch nun warnen viele, die Abhängigkeit vom chinesischen Markt könne die Energiewende gefährden. Ein führender Unternehmer berichtet, wie ernst die Lage wirklich ist.

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Nichts spricht dafür, dass Mario Kohle derzeit schlechte Laune haben könnte. Kohle ist Gründer und Chef des Solaranlagenbauers Enpal, das Start-up aus Berlin zählt zu den bestfinanzierten und meist umjubelten des Landes. Es bietet zudem eine Dienstleistung, die derzeit so gut in die Zeit passt wie keine zweite. Enpal verkauft und vermietet Solaranlagen an Privatleute, „die Nachfrage war im vergangenen Jahr schon stark, seit der Krieg in der Ukraine begonnen hat, gibt es kein Halten mehr“, sagt Kohle. Mehr als 8000 Menschen fragen derzeit an manchen Tagen bei Enpal an, weil sie auch gerne ein Modul auf dem Dach hätten.

Und trotzdem: Kohle ist aufgebracht, manchmal schlafe er sogar schlecht. „Während wir Nordstream 2 gebaut haben, hat China Solarfabriken gebaut“, sagt er. „Ohne unsere chinesischen Lieferanten könnte der Ausbau schon bald zum Erliegen kommen.“

Immer mehr westliche Länder steigen aus

Kohles Sorge teilen inzwischen einige in der Branche, konkret liest sich das Szenario ungefähr so: Nachdem sich schon vor einigen Jahren Deutschland aus der Herstellung von Solarzellen verabschiedet hat, sind inzwischen auch viele Unternehmen aus anderen westlich orientierten Ländern, etwa den USA, Japan oder Südkorea, ausgestiegen. Immer stärker konzentriert sich die Branche in China. Und immer öfter heißt das: Deutsche Kunden warten erfolglos auf ihre Solarmodule. Wer sie doch bekommt, ist der Preisgestaltung der chinesischen Marktführer ausgeliefert. Und in den kommenden Jahren dürfte sich die Lage sogar noch weiter zuspitzen, was bedeuten könnte: Selbst, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen stimmen und das Kapital vorhanden ist, stoppt der Ausbau der Solarenergie, weil es schlicht keine Zellen mehr gibt.



Noch sei es bei Enpal nicht so weit, sagt Kohle, „wer bei uns heute Module bestellt, bekommt sie in sechs bis acht Wochen montiert.“ Das liege daran, dass Enpal frühzeitig viel geordert habe, über einige besonders belastbare Zulieferer verfüge. „Wir haben uns auf die steigende Nachfrage eingestellt und rechtzeitig vorgesorgt.“ Aber: „Ich weiß, dass es bei vielen Unternehmen ganz anders aussieht, da wartet man zum Teil ein Jahr lang auf seine Module, wenn man sie überhaupt bekommt.“ Beim Leipziger Start-up Priwatt, das Kunden mit Solarmodulen zum Selbstanschließen versorgt, sind einige Artikel ausverkauft. Manche Installateure im Land wendeten sich gar ihrerseits an Enpal, berichtet Kohle. „Handwerksbetriebe fragen bei uns an, ob sie uns beim Bau helfen können, weil ihnen selbst das Material ausgegangen ist und sie nun ohne Ware dasitzen.“

Was Kohle da schildert, ist wohl tatsächlich eine der großen, bislang unterschätzten Hürden für die deutsche Energiewende. Anders als bei der Windkraft läuft der Ausbau der Solarenergie derzeit gut, die Planziele der Bundesregierung scheinen erreichbar, auch die gesetzlichen Hürden wurden im Osterpaket größtenteils behoben. Zwar leiden viele Installationsbetriebe unter dem Mangel an Fachkräften, doch ansonsten scheint viel für einen stetig anschwellenden Solarboom zu sprechen.

Wären da nur nicht die Module selbst. Dass die zum Großteil aus China stammen, ist kein Geheimnis. Wie sehr sich die Abhängigkeit in den vergangenen Jahren verschärft hat, das hat jenseits der Branche dennoch kaum einer mitbekommen. Inzwischen stammen 80 Prozent aller für die Herstellung von Solaranlagen notwendigen Teile aus China. Die Internationale Energieagentur IEA prognostiziert gar, diese Abhängigkeit werde bald auf 95 Prozent steigen. Gerade erst hat sich mit LG aus Südkorea ein weiterer nicht-chinesischer Konzern aus der Herstellung der Module zurückgezogen.






Noch spielt das hessische Unternehmen SMA Solar bei der Herstellung von Wechselrichtern eine kleine Rolle, das bayerische Chemieunternehmen Wacker gehört zu den global bedeutendsten Herstellern des Rohstoffs Polysilizium. Doch die Position bröckelt. Vor ein paar Jahren war Wacker noch die Nummer zwei im Markt, kamen nur rund 30 Prozent des Polysiliziums aus China. Inzwischen gibt es schon vier chinesische Konzerne, die mehr produzieren als Wacker, insgesamt stammen knapp 80 Prozent des Materials aus dem Reich der Mitte. Und so könnte auch Wacker bald aus dem Geschäft aussteigen, Marktbeobachter spekulieren schon, der Konzern werde sich zunehmend auf das Geschäft mit Silizium für die Chipfertigung konzentrieren.

Niedrigere Herstellungskosten in China

Wenig spricht derzeit dafür, dass dieser Trend gestoppt werden kann, zu deutlich sind die Kostenunterschiede. Für die Herstellung der Module fallen in China derzeit rund 20 Prozent weniger an als in den USA und 35 weniger als in Europa, wichtigster Einflussfaktor sind dabei die Energiekosten.

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All das ist solange kein Problem, wie die chinesischen Konzerne zuverlässig liefern, was derzeit noch größtenteils der Fall ist. Doch die Lage dürfte sich ändern, selbst wenn die angespannte politische Weltlage sich nicht noch weiter zuspitzen sollte. Denn in China werden nicht nur viele Solarzellen gebaut, sie werden dort auch in immer größerer Zahl ans Netz angeschlossen. Während in Deutschland in diesem Jahr zwischen sechs und sieben Gigawatt Solarenergie ans Netz angeschlossen werden dürften, könnten es in China zwischen 80 und 90 Gigawatt werden.

Lesen Sie auch: Das Tracking der Energiewende zeigt Deutschlands große Aufholjagd beim Ausbau der erneuerbaren Energien – aktueller Stand, Probleme und Ziele auf einen Blick.

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