Wirtschaft von oben #180 – Katar Stadien, Hotels, LNG-Exportzentrum: Das sind Katars Insignien der Macht – und des neuen Einflusses

Das eigens für die Fußball-WM errichtete Al-Bayt-Stadion ist Austragungsort des Eröffnungsspiels am 20. November. Nach dem Spektakel soll die Arena in ein Luxushotel umgebaut werden. Quelle: LiveEO/Kompsat3A

In wenigen Wochen beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Exklusive Satellitenbilder zeigen, in welcher Geschwindigkeit der Wüstenstaat seine Stadien und Luxushotels errichtet hat – und was den Reichtum des Landes erst möglich macht. Menschen- und Arbeitsrechte bleiben dabei auf der Strecke. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Die WM steht für Katar über allem. Ausländer, die kein Ticket haben, sind zwischen dem 1. November und Weihnachten nicht mehr willkommen, die Grenzen für sie geschlossen. Das erste Schulhalbjahr endet vorzeitig. Transportmittel und Infrastruktur sollen möglichst nur einem Zweck dienen: der WM-Show. Geht es nach Gianni Infantino, dem Präsidenten des Fußball-Weltverbandes Fifa, wird es die „beste WM“ und „die größte Show“ überhaupt.

Doch selten hatte der Interkontinentalwettbewerb – zumal zu dieser ungewöhnlichen Jahreszeit – so einen faden Beigeschmack. Katar und die WM stehen für unmenschliche Arbeitsbedingungen und Ausbeutung, einen fragwürdigen Umgang mit Kritikern – und unfassbaren Reichtum.

Exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen die Bauwerke, die als Symbole dienen für den sagenhaften Aufstieg eines kleinen Landes, der nur dank schlecht bezahlter und behandelter Gastarbeiter möglich war. Finanziert durch die Öl- und Gasressourcen, an denen westliche Nationen nun notgedrungen mehr Interesse zeigen, als ihnen lieb sein dürfte.


Lusail ist eine Retortenstadt nördlich von Doha. Vor wenigen Jahren war dort noch nichts als Wüste. Das Lusail Iconic Stadium ist mit 80.000 Plätzen das größte Stadion dieser WM und gilt als Aushängeschild für die technische Innovationskraft der Katarer. Ein ausgeklügeltes Kühlsystem soll das Stadion bei hohen Temperaturen klimatisieren können. Zur Bewässerung des Stadionrasens und der umliegenden Pflanzen wird recyceltes Wasser verwendet, um Frischwasser zu sparen und die Luftqualität zu verbessern.

Katar gibt sich als souveräner Gastgeber – und Hightechpartner zur Lösung globaler Probleme. Regierungsvertreter und Ingenieure haben auch durch das Al-Janoub-Stadion schon Dutzende Journalisten geführt, um zu demonstrieren, wie passgenau die Temperatur in der Arena geregelt wird und wie sauber die Luft ist.


Diese Führungen verdecken, von wem und unter welchen Umständen die Bauten in den vergangenen acht Jahren entstanden sind. Tausende von Gastarbeitern aus Bangladesch, Nepal oder Pakistan schufteten zu Niedriglöhnen. Beim Bau des Al-Janoub und anderer Stätten kamen mehrere Arbeiter ums Leben.

Menschenrechtler haben die Zustände auf den Baustellen und in den Baracken der Arbeiter immer wieder als moderne Form der Sklaverei angeprangert. Dafür sorgte das viele Jahre im Emirat praktizierte Kafala-System: Arbeitskräfte auch in anderen Branchen mussten ihren Reisepass abgeben und bekamen ihn erst nach Ablauf ihres Arbeitsvertrags wieder ausgehändigt – im günstigsten Falle. Ohne den Pass konnten sie das Land nicht verlassen.


Ende August 2020 verabschiedete Katar ein Gesetz zur Abschaffung dieses Systems, das gleichzeitig einen Mindestlohn einführte. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO und Gewerkschaften äußerten sich positiv dazu. Doch NGOs wie Human Rights Watch und Amnesty International stellten auch danach immer wieder Kafala-Strukturen fest. Medienrecherchen deckten auf, dass Arbeiter monatelang gar kein oder zu wenig Geld bekamen.

Die ILO, die seit einigen Jahren ein eigenes Büro in Doha unterhält, hat dabei eine bemerkenswerte Rolle eingenommen. Sie versteht sich als Vermittler zwischen Regierung und Arbeitern und betont gerne die angeblichen Fortschritte, die der Staat in der Frage der Menschen- und Arbeitsrechte gemacht habe.

Lesen Sie auch das Interview mit Max Tuñón, der für die Internationale Arbeitsorganisation ILO an Reformen in Katar arbeitet.

Teilweise scheint die Nähe zum Königshaus jedoch schon sehr ausgeprägt zu sein. Auf die Frage der WirtschaftsWoche, ob die ILO Arbeitercamps lokalisieren könne, um sie auf Satellitenfotos zeigen zu können, verwies die Organisation auf das Pressebüro der katarischen Regierung.

Katar nutzt Sport, um Einfluss im Westen zu gewinnen

Julius Boykoff ist Politikwissenschaftler an der Pacific University in Oregon. In der ARD sagte er: „Sport ist Politik mit anderen Mitteln. Während das Turnier immer näherkommt, weiß ich nicht, wie irgendjemand sagen kann, dass diese WM nicht politisch ist.“ Das kleine Katar nutzt den Sport und auch die Wirtschaft seit Jahren, um in westlichen Ländern an Einfluss zu gewinnen. So hat es etwa über den Staats- und Investitionsfonds den Fußballklub Paris St. Germain und große Anteile an Dax-Konzernen wie der Deutschen Bank, Siemens und Volkswagen gekauft. Politische Beziehungen zu Konzern- und Regierungschefs könnten im Fall eines Angriffs widerstreitender, deutlich größerer Nachbarn im Mittleren Osten der eigenen Sicherheit dienen.

Diesem Ziel, sich politisch und wirtschaftlich möglichst eng an mächtige Staaten zu binden, kommt Katar gerade wegen des Ukrainekrieges viel schneller näher als wohl erhofft. Denn das Land verfügt über enorme Öl- und Gasvorkommen, die für lange von russischem Gas abhängige Staaten wie Deutschland interessanter sind denn je. Im vergangenen halben Jahr reisten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Kanzler Olaf Scholz (SPD) jeweils einmal persönlich ins Emirat, und Scholz empfing Scheich Tamim bin Hamad Al Thani in Berlin.


Gut 80 Kilometer nördlich von Doha liegt Ras Laffan, Katars bedeutendster Exporthafen für Gas und Öl, aus dem Öl, herkömmliches Gas und LNG in alle Welt verschifft wird. Schon bald vielleicht vermehrt nach Deutschland.

Das Unternehmen Qatar Energy, geleitet von Energieminister Saad al-Kaabi, handelt nach eigenen Angaben aktuell mit fünf bis zehn Millionen Tonnen LNG. „In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wir der mit Abstand größte LNG-Händler der Welt sein“, kündigte al-Kaabi Anfang Oktober an, der damit den britischen Konzern Shell überholen will. Schon jetzt ist Katar der weltweit führende LNG-Exporteur.


Die Öl- und Gasförderung betreiben die Katarer seit einigen Jahrzehnten. Der große Bauboom im Land setzte allerdings mit Verzögerung ein. Wie viele Städte in den umliegenden Wüstenemiraten ist auch Doha innerhalb kürzester Zeit mit Öl- und Gasmillionen in die Höhe und Breite gezogen worden.

Ein Gebäude, dem die Erfinder und die Katarer eine besondere Symbolkraft beimessen, ist der Katara-Wolkenkratzer. Darin befinden sich gleich zwei Luxushotels: das Raffles und das Fairmont. Das Design eines deutschen Planungsbüros integriert die Schwerter aus dem nationalen Siegel in die Architektur. Der Halbmond soll Gastfreundschaft symbolisieren.

132 Suiten, eine 335 Quadratmeter große Veranstaltungshalle und ein Chefkoch mit drei Michelin-Sternen bietet das Raffles. Im Fairmont, auch keine Low-Budget-Unterkunft, gibt es 362 Zimmer.


Den WM-Gästen soll es an nichts fehlen. Und frei nach dem Motto „Weltmeisterschaft first“ sind die Apartments zur Einweihung erst mal nur einer Gruppe vorbehalten: Menschen aus dem Fifa-Zirkel.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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