Wirtschaft von oben #189 – Kolumbien Hier sitzt Deutschlands neuer Steinkohle-Lieferant

Quelle: LiveEO/Pleiades

Seit russische Kohle ein Tabu ist, müssen deutsche Energieversorger sich nach neuen Quellen umsehen. Aktuelle Satellitenaufnahmen von El Cerrejón in Kolumbien zeigen, wie einer der größten Steinkohletagebaue der Welt die massiv gestiegene Nachfrage stemmt. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Kolumbien steht kurz davor, Russland als Deutschlands wichtigste Quelle für Steinkohle abzulösen. Allein der Stromerzeuger EnBW kaufte im ersten Halbjahr 2022 mehr als doppelt so viel kolumbianische Kohle ein wie im Gesamtjahr 2021. Der Konzern besorgt sie für seine Kohlemeiler in Baden-Württemberg. Die Mine El Cerrejón, eine der größten der Welt, gleicht zurzeit die meisten Lieferungen aus, die aus Russland nicht mehr kommen dürfen oder sollen. Sorgt dafür, dass zahlreiche Häuser und Wohnungen in Deutschland warm bleiben.

In La Guajira in Nordkolumbien, wo die Arbeiter den Rohstoff aus dem Berg holen, herrschen gerade tropische 31 Grad. Die Kohle ist für die Menschen der Gegend, in der viele Indigene leben, eine wichtige Einnahmequelle, zugleich aber auch ein Gesundheits- und Umweltproblem. Nichtregierungsorganisationen und Anwohner beklagen immer wieder Umsiedlungen und Vertreibungen. 

Exklusive Satellitenaufnahmen von LiveEO zeigen nun, wie Cerrejón, eine Tochter des Schweizer Bergbaukonzerns Glencore, die gestiegene Nachfrage aus Europa stemmt. 

Das gesamte Cerrejón-Gebiet ist fast so groß wie Berlin. Es besteht aus drei riesigen Haupttagebauen – Albania, Barrancas und Hatonuevo – und erstreckt sich über knapp 35 Kilometer. Die längste Mine in Barrancas misst alleine rund elf Kilometer.


Anfangs, in den 80er-Jahren, war das Bergwerk noch in staatlicher Hand. Um die Jahrtausendwende wurde es privatisiert. Seit diesem Jahr gehört das Unternehmen offiziell zu Glencore

Anfang April rief Bundeskanzler Olaf Scholz bei Kolumbiens damaligem Präsidenten Iván Duque an. Laut Bundesregierung ging es um „die Zusammenarbeit bei Klimaschutz und Energiefragen“, mehr wollte man nicht sagen. Was auch immer Scholz' konkretes Anliegen war, die Zahlen sind eindeutig: Deutschland kommt die kolumbianische Kohle sehr gelegen.



Und auch den Kolumbianern. In den vergangenen Jahren war die Nachfrage deutlich zurückgegangen. Im besten Jahr produzierte das Land 34,3 Millionen Tonnen. Das ist lange her. 2012 war das. Ermordete Gewerkschafter, die Vertreibung von Menschen aus Dörfern sowie massive ökologische Probleme führten zu Kritik an den Kohlefirmen und ihren deutschen Geschäftspartnern. Letztere orientierten sich stärker nach Russland: Noch 2021 kamen mit 20 Millionen Tonnen jährlich mehr als die Hälfte der deutschen Steinkohleimporte aus dem Reich von Wladimir Putin. Doch jetzt, seit dem Ukrainekrieg und den sanktionierten Geschäften mit Russland, sind die Einfuhren aus Kolumbien wieder angezogen.

Von Februar auf März verdreifachten sich die Importe auf einen Schlag. Kolumbien überholte dabei die USA und Australien als wichtigste Herkunftsländer hinter Russland. Den aktuellsten Zahlen von August zufolge rückt Kolumbien Russland weiter auf die Pelle. 483.000 Tonnen kamen aus Kolumbien, 619.500 aus Russland.


Die meiste Kohle produzieren sie in Cerrejón. Fünf bis sechs Züge täglich bringen sie aus dem Landesinnern zum firmeneigenen Hafen am Atlantik. Die 150 Kilometer schafft ein Zug in vier Stunden. Am Hafen wird die Kohle entweder in großen Bunkern gelagert oder direkt aufs Schiff verladen.


Für Glencore ist das Geschäft mit den deutschen Energieunternehmen ein voller Erfolg. Die Einnahmen sind dank erhöhter Nachfrage und Preise gestiegen. Wie genau sich die Geschäftszahlen von Cerrejón entwickelt haben, wollte ein Glencore-Sprecher allerdings nicht sagen.

Die Abbaukonzerne nutzen die Not Deutschlands und anderer Länder für Preisaufschläge. Der Preis pro Tonne stieg zwischen Februar und August um das Dreifache auf 406 Euro. Während eine kolumbianische Tonne im Februar mit 154,30 Euro noch fast 100 Euro weniger kostete als im globalen Durchschnitt (242,40 Euro), war sie Ende des Sommers knapp 40 Euro teurer als der Schnitt (379,20).


Die Steag hat in den vergangenen Jahren nach eigenen Angaben bis zu 20 Prozent ihres Bedarfs an Steinkohle für inländische Kraftwerke durch Importe aus Kolumbien gedeckt. Die stammte fast ausschließlich von Cerrejón. Angesichts der gegenwärtigen Situation sei nicht ausgeschlossen, dass das Unternehmen „im Dienst der Versorgungssicherheit zumindest bis März 2024“ weiter kolumbianische Steinkohle importieren werde, heißt es. EnBW bezog im Gesamtjahr 2021 laut einer Sprecherin nur 210.000 Tonnen Kohle aus dem Land. Im ersten Halbjahr 2022 waren es schon 470.000. Das Unternehmen prüfe aber, den Bezug weiter zu diversifizieren, etwa mithilfe von Minen in Südafrika.


Nicht alle großen deutschen Energiekonzerne sind in Kolumbien aktiv. RWE teilte auf Anfrage mit, „keine direkten Lieferverträge mit kolumbianischen Steinkohleproduzenten“ zu haben. „Wir beziehen unsere Steinkohle auf dem Weltmarkt; bislang aus Russland bezogene Steinkohle wurde im Wesentlichen durch Lieferungen aus den USA und Südafrika ersetzt“, so ein Sprecher.

Ein anderes deutsches Unternehmen ist dafür indirekt sogar auf dem Cerrejón-Werksgelände aktiv. Falab, eine kolumbianische Tochter des Münchener Labordienstleisters Synlab, hat nach eigenen Angaben einen Vertrag mit Cerrejón. Am Tagebau Albania und nahe des Hafens hat Falab Büros und führt für Cerrejón Laboranalysen für allgemeine Gesundheitsdienstleistungen, die Arbeitsmedizin sowie Covid-19-Tests durch.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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