Wirtschaft von oben #196 – Erdbeben in der Türkei: Satellitenbilder zeigen das Ausmaß der Zerstörung in der Türkei

Das Chaos im Hafen von Iskenderun ist am 7. Februar weithin sichtbar. Iskenderun ist ein wichtiges Industrie- und Handelszentrum in der Türkei.
Vier Tage ist es nun schon her, dass die Erde in der türkisch-syrischen Grenzregion gebebt hat. Doch die Tragödie geht weiter. Kälte und Hunger setzen jetzt Hunderttausenden zu, die obdachlos geworden sind. Und die Hoffnungen, Verschüttete lebendig zu bergen, schwinden minütlich. Zwar gibt es noch vereinzelt Berichte über die Rettung von Menschen. Doch zumeist bergen die Helfer Leichen, insgesamt könnte die Zahl der Todesopfer einem Forscher vom Geophysikalischen Institut am Karlsruher Institut für Technologie zufolge noch auf bis zu 67.000 steigen.
Hilfe kommt für viele auch deswegen zu spät, weil Straßen unpassierbar waren und mitunter noch immer sind. Weil Flughäfen und Häfen aufgrund von Schäden schließen mussten. Besonders tragisch für die Menschen in Syrien: Der Grenzübergang Bab Al-Hawa, die zuletzt einzige Möglichkeit, Hilfsgüter aus der Türkei nach Syrien zu schaffen, war wegen beschädigter Straßen in der Umgebung gesperrt, wie exklusive Satellitenaufnahmen von LiveEO zeigen.
Die zerstörerische Kraft des Bebens belegen auch die Bilder aus dem südwestlich vom Epizentrum liegenden Iskenderun, wo das heftigste Erdbeben vom Montag eine Stärke von 6 auf der Richterskala hatte. Iskenderun ist ein wichtiges Industrie- und Handelszentrum in der Türkei – und Endpunkt einer langen Ölpipeline aus dem Nordirak. Dort gerieten am Montag große Teile des Hafens in Brand. Die türkische Schifffahrtsbehörde nannte die Beben als Ursache.
Satellitenaufnahmen und Videos zeigen Hunderte umgekippte, brennende Container und dicke Rauchschwaden. Die Löscharbeiten dauerten mehrere Tage.
Noch am Mittwoch kippten Einsatzkräfte aus Flugzeugen Löschmittel auf das Hafengelände.

Ein Löschflugzeug fliegt über den Hafen von Iskenderun, um das nach dem Erdbeben ausgebrochene Feuer endgültig zu bändigen.
Die Aufräumarbeiten, die andauernde Suche nach Verschütteten und die Versorgung der Überlebenden im Erdbebengebiet wird erschwert durch viele Nachbeben in den vergangenen Tagen und die Angst vor weiteren. Überschwemmungen legen der Verkehr vielerorts lahm, ganze Straßenzüge stehen unter Wasser. Hinzu kommt, dass die Versorgungslage im Bürgerkriegsland Syrien ohnehin desolat ist und das Krisenmanagement in der Türkei schleppend angelaufen ist.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist wegen der mangelnden Krisenprävention und der unzureichenden Notfallversorgung in die Kritik geraten. Das Handeln von Erdogans Regierung und den Behörden könnte für ihn große politische Bedeutung haben: Am 14. Mai sollen in dem Land Präsidenten- und Parlamentswahlen stattfinden. Angesichts des Ausmaßes der Katastrophe könnten sie aber verschoben werden.
Klar ist: Die Lage ist auch für die Einsatzkräfte schwierig und unübersichtlich. Die Beben haben Verkehrswege und Infrastruktur unbenutzbar gemacht. Komplett gesperrt ist aktuell der Flughafen der Provinz Hatay. Ein riesiger Riss durchtrennt die Start- und Landebahn. Auf dem Satellitenbild vom 8. Februar ist der Riss im oberen Teil gut zu erkennen. Arbeiter der Flughafengesellschaft IGA sind seit Mittwoch dabei, die Landebahn wieder flugtauglich zu machen.
Aber der Flugbetrieb ruht nach wie vor. Maschinen mit Hilfsgütern und Werkzeug können diesen Flughafen nicht ansteuern.
Auch andere Airports wie der von Gaziantep waren zwischenzeitlich für Linienflüge geschlossen. In Gaziantep läuft der Betrieb aber wieder. Über diesen Flughafen kommen viele Hilfsgüter aus aller Welt in die Erdbebenregion. Auch drei Transportflugzeuge der Luftwaffe wollten am Donnerstagabend in Gaziantep landen. Aufgrund von Platzproblemen mussten sie aber auf die Nato-Airbase Incirlik ausweichen. In den folgenden Tagen soll mit den Maschinen der Luftwaffe eine Art Luftbrücke entstehen.

Hilfe, die Türken wie Syrer dringend benötigen. Nach Syrien dringen selbst viele der Güter nicht durch, die es bis zu einem Flughafen geschafft haben. Denn die wichtigste Route von der Türkei ins Nachbarland, die Straße zum Grenzübergang Bab Al-Hawa, musste wegen beschädigter Straßen geschlossen werden. Er war in den vergangenen Monaten die einzige Möglichkeit, die Grenze zwischen Syrien und der Türkei zu passieren. Die Station liegt auf halbem Weg zwischen der zweitgrößten syrischen Stadt Aleppo und Antakya im Südwesten der Türkei. Auf dem Satellitenbild vom 8. Februar ist zu erkennen, dass der Parkplatz, auf dem zuvor etliche Lkw stehen, leer ist.
Am Donnerstag passierte dann zum ersten Mal seit den heftigsten Erdbeben am Montag wieder ein Konvoi der Vereinten Nationen mit Hilfsgütern die Grenzstation. Die Beben haben die Lage in Syrien noch einmal drastisch verschlechtert. Vor allem die Region Idlib, Rückzugsort der syrischen Opposition, benötigt dringend Unterstützung.
Kritiker werfen dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad und dessen Verbündetem Russland vor, die Öffnung weiterer Grenzübergänge zu blockieren. Das erschwere internationale Hilfslieferungen an Bedürftige. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour forderte: „Die internationale Gemeinschaft muss auf Russland einwirken, damit möglichst schnell weitere Grenzübergänge geöffnet werden und dringend benötigte Hilfe bei den Menschen in Idlib ankommt.“ Das Assad-Regime dürfe humanitäre Hilfe, die über Damaskus ins Land gelangt, nicht aufhalten.
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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.









