Wirtschaft von oben #202 – Nordkorea Satellitenbilder zeigen, wie Kim Jong Un Nordkoreas Wirtschaft ruiniert

Ein Bus-Terminal in einer ausgestorbenen Sonderwirtschaftszone in Nordkorea: Kim Jong Un konzentriert sich lieber auf Waffen. Quelle: LiveEO/Pleiades

Ein Autobauer, der keine Pkw fertigt, leerstehende Märkte, eine verlassene Sonderwirtschaftszone und ein riesiges Luxus-Urlaubsparadies ohne Gäste: Neueste Satellitenbilder zeigen, wie tief Nordkorea in den wirtschaftlichen Abgrund gerutscht ist. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die Stimmung auf der koreanischen Halbinsel ist gereizt. Die USA hielten in den vergangenen Tagen mit Südkorea eine elftägige Militärübung ab. Zeitgleich probte Machthaber Kim Jong Un im Norden den nuklearen Gegenschlag. Kim ließ zwei ballistische Testraketen von einem U-Boot aus in Richtung japanische See starten. Und gerade erst vermeldete Nordkorea den Test einer atomwaffenfähigen Unterwasserdrohne. Das Staatsfernsehen verkündete, an nur einem Tag hätten sich 800.000 Jugendliche freiwillig für den Kampf gegen die USA gemeldet – dabei beträgt die Wehrpflicht im Land für Männer elf Jahre, für Frauen mindestens sechs.

Die Provokationen und scharfen Worte sollen wohl vor allem die eigene Bevölkerung davon ablenken, dass es mit ihrem Land wirtschaftlich immer weiter bergab geht. Neueste Satellitenbilder von LiveEO zeigen, dass der einzige Autobauer Nordkoreas keine Autos mehr baut, eine Sonderwirtschaftszone mit einst Zehntausenden Beschäftigten brach liegt und die Tourismusambitionen des Landes stocken.

Die Vereinten Nationen schätzen, dass inzwischen 10,7 Millionen Nordkoreaner, das sind mehr als 40 Prozent der Bevölkerung, unterernährt sind. Statt die lahmende Wirtschaft aufzupäppeln, hat das nordkoreanische Regime um Kim Jong Un sie in den vergangenen Jahren weitgehend der militärischen Aufrüstung geopfert. „Die massive Konzentration der Regierung auf Schwerindustrie und Waffenproduktion hat die zivile Wirtschaft und die Leichtindustrie zu großen Teilen plattgemacht“, bilanziert Benjamin Silberstein, Nordkorea-Forscher am Stimson Center in Washington.



Der südkoreanischen Zentralbank zufolge ist Nordkoreas Wirtschaft 2021 zum zweiten Mal in Folge geschrumpft. 2020 habe es den größten Rückgang seit mehr als zwei Jahrzehnten gegeben. Laut Silberstein sind die Preise für viele Exportgüter deutlich gesunken, da das Handelsvolumen „abgrundtief niedrig“ sei.

Ralph Wrobel, Nordkorea-Kenner und Volkswirtschaftsprofessor an der Westsächsischen Hochschule Zwickau, berichtet von einem aktuellen nordkoreanischen Parlamentsbeschluss zur sogenannten Normalisierung der Industrieproduktion. Dabei gehe es vor allem um Metallfabriken, Eisenminen, Stahlwerke und Chemieanlagen. Ein Großteil der staatlich kontrollierten Industrie scheint nach der Pandemie zu leiden.

Schon davor waren die Probleme kaum geringer. Besonders düster sieht es bei Pyeonghwa Motors aus, dem einzigen Pkw-Hersteller in Nordkorea. Ursprünglich hatte das Regime große Pläne: Elf riesige Fertigungshallen wollte es am nördlichen Rand der Hafenstadt Nampo hochziehen, ein Prestigeprojekt. Bis heute gibt es nur eine Halle sowie ein kleineres Nebengebäude. Und Autos werden hier schon seit einer Weile nicht mehr gebaut, wie aktuelle Satellitenaufnahmen belegen.

„Der Aufbau einer eigenen Automarke ist weder finanzierbar noch praktisch umsetzbar, da Nordkorea durch die internationalen Sanktionen von Know-how und Kapital abgeschnitten ist“, erklärt Wrobel. Der Markt des Landes sei viel zu klein – in Nordkorea könnten sich nur Mitglieder der politischen Elite ein Auto leisten. Dass heute deutlich mehr Autos als noch vor ein paar Jahrzehnten auf Nordkoreas teils stark ausgebauten Straßen zu finden seien, liege daran, dass die Nordkoreaner zunehmend staatliche Pkw nutzten.

Aufnahmen, die bis 2018 entstanden, zeigen für Autowerke typisch aufgereihte Neuwagen. Auch wenn die hier geparkten Stückzahlen nicht mal annähernd dem entsprachen, was an normalen westlichen Fabriken auf Auslieferparkplätzen zu sehen ist. Selbst zu besten Zeiten soll die Fabrik gerade mal 1800 Autos pro Jahr produziert haben. Oft waren es Nachbauten westlicher Fahrzeuge, etwa von Mercedes und Fiat.


An einer Seite der Fabrik waren bis 2018 jede Menge Container zu sehen, in denen offenbar Fahrzeugteile angeliefert wurden. Nach 2018 aber herrscht hier Ruhe. Nur noch eine Handvoll Container und ein Trailer stehen herum – über Jahre, ohne dass sie jemand bewegt. Neuwagen sind keine zu erkennen.

Medienberichten zufolge verkauft Pyeonghwa zwar noch immer Autos in Nordkorea. Allerdings sollen die nun allesamt aus China importiert sein. Das Markenlogo, zwei Friedenstauben, bekommen sie aufgeklebt. Die Südkoreanische Vereinigungskirche hatte das Joint-Venture Ende der 1990er-Jahre mit gegründet. 2012 jedoch spendete sie all ihre Anteile der nordkoreanischen Regierung.

Nicht besser erging es einer anderen grenzüberschreitenden Kooperation, der Sonderwirtschaftszone im nordkoreanischen Kaesong. 2002 nahe der demilitarisierten Zone zu Südkorea eingerichtet, arbeiteten hier 2013 südkoreanischen Medien zufolge bis zu 55.000 Nordkoreaner für 125 Unternehmen aus dem Süden. 2016 dann beorderte Südkorea alle eigenen Mitarbeiter heim, aus Protest gegen nordkoreanische Atomtests. Daraufhin beschlagnahmte Nordkorea alle Maschinen und Gebäude. Nichts ging mehr.

2018 wurde zwar die Wasserversorgung für die Zone wieder hergestellt und Südkorea signalisierte Interesse, sie erneut zu beleben. Doch das ist bis heute nicht passiert, zeigen etwa Satellitenbilder eines Bus-Terminals. Die Busse, die einst Zehntausende Nordkoreaner zu ihrem Arbeitsplatz brachten, stehen nahezu alle an genau jener Stelle, an der sie 2016 abgestellt wurden.


Beobachter gehen heute davon aus, dass es so schnell keine Wiedereröffnung geben wird. Die im Mai 2022 angetretene neue konservative Regierung Südkoreas fährt einen härteren Kurs gegen die nuklearen Ambitionen des Nordens. Und der Norden lässt sich von seinen Bestrebungen, zur Atommacht zu werden, nicht abbringen.

Dass sich einige wenige Busse im Terminal dennoch über die Jahre bewegt haben, könnte auf Versuche des Nordens hindeuten, hier einige Fertigungen ohne Erlaubnis des Südens in Betrieb zu nehmen. Das Ministerium für Wiedervereinigung in Seoul hatte Anfang vergangenen Jahres selbst verdächtige Fahrzeugbewegungen registriert.

Während die Bevölkerung leidet, pumpt das Regime in Pjöngjang immer mehr Ressourcen in die strategische Aufrüstung. Im Hafen von Simpo liegt unter einer aufgespannten Sichtschutzplane das große dieselelektrische U-Boot 8.24 Yongung. Es soll die neuen Atomraketen des Landes tragen. Erst vor wenigen Tagen hatte es offenbar zwei ballistische Raketen vom Typ Pukguksong-3 abgefeuert, die Schätzungen zufolge eine Reichweite von mehr als 2000 Kilometern haben sollen.


Chinesische Wissenschaftler hatten laut der Hongkonger „South China Morning Post“ zudem erst vor kurzem einen Angriff durch an Land stationierte nordkoreanische Atomwaffen simuliert und festgestellt, dass die binnen 33 Minuten die Mitte der USA erreichen könnten. Die Interkontinentalrakete Hwasong-15 hat immerhin eine Reichweite von 13.000 Kilometern.

Ebenso massiv wie in Atomwaffen investiert Nordkorea in sein Satellitenprogramm. Bis heute gab es fünf Raketenstarts. Zwei davon brachten Spionagesatelliten erfolgreich in den Orbit.

Satellitenbilder jener Startrampe in der ganz im Nordwesten gelegenen Provinz Nord-Pyongan zeigen Ende des vergangenen Jahres deutliche Aktivitäten. Arbeiter haben das riesige mobile Gebäude, in dem die Raketen vor dem Start montiert werden, abgerissen und erneuern es nun. Auch entstehen in der Nähe weitere neue Gebäude, die einer Analyse des Londoner Centers for Strategic and International Studies (CSIS) zufolge ebenso zum Raketenkomplex gehören. Ein Zeichen, dass die Ziele des Regimes um Kim weiter wachsen.


Für diese Vorhaben braucht die Regierung Devisen. Die sollen künftig auch Touristen aus dem Ausland bringen. Ferien in Nordkorea? Das klingt erst einmal sonderbar. Doch Kim sieht großes Potenzial, ließ in Wonsan-Kalma an der Ostküste des Landes – gut zweieinhalb Stunden von Pjöngjang entfernt – ab 2018 ein riesiges Urlaubsdomizil bauen. Die Details des Projekts hatte er zuvor während seiner Neujahrsansprache angekündigt – und betont, dass die Mega-Ferienanlage Priorität genieße.

Rund 150 Gebäude sind inzwischen entstanden, heißt es in übereinstimmenden Berichten. Satellitenaufnahmen bestätigen das. Das Strandparadies soll jährlich eine Million Touristen anlocken, in absehbarer Zukunft sogar fünf bis zehn Millionen, heißt es in einer Projektbroschüre. Die Investitionen dürften Schätzungen zufolge im Milliarden-Dollar-Bereich liegen.

Erholungssuchende sollten sich dann nicht daran stören, dass sich in der Region auch Militäranlagen befinden, auf denen Nordkorea Raketentests durchführt. Und dass sich kurz zuvor noch Panzer auf dem Strandabschnitt aufreihten. Nach den Plänen Kims sollen sie sich vielmehr in neuen Sportanlagen auspowern, Wasserrutschen in Vergnügungsparks nutzen, schicke Hotels genießen, in Kinosälen Filme schauen. Auch von einem Stadion, Theatern und Spielhallen ist die Rede. Über einen Abschnitt von knapp vier Kilometern reihen sich riesige Hotels, manche pyramidenförmig, sowie halbrund angelegte Unterkünfte. Die Anlage, die den 2015 eröffneten Flughafen „Wonsan Kalma International Airport“ im Rücken hat, trennt etwa 200 Meter vom Meer.

Der Machthaber wollte ein Badeparadies erschaffen, das international mithalten kann – er selbst besitzt im Norden des Küstenabschnitts eine Sommerresidenz. Doch ob irgendwann Touristen fröhlich über eine Strandpromenade flanieren und die luxuriösen Hotels buchen, ist noch offen. Denn die fertig wirkende Anlage, die Kim selbst mehrmals besuchte, ist auf Satellitenbildern wie ausgestorben. Ein Bild vom Sommer 2022 zeigt keine Menschen am Strand, vor den Gebäuden stehen weder Autos oder Busse.


Eigentlich lautete das ehrgeizige Ziel, die Urlaubsoase im April 2019 fertigzustellen. Satellitenbilder zeigen den schnellen Baufortschritt. Innerhalb eines Jahres zogen Berichten zufolge etwa 150.000 Arbeiter – darunter viele Soldaten – die Hotelburgen, Apartments und Freizeiteinrichtungen hoch. Sie waren Tag und Nacht auf der Baustelle im Einsatz.

Doch soll es an Baumaterialien gefehlt haben – und schließlich durchkreuzte die Pandemie die Pläne. Die meisten der Bauarbeiter wurden laut Recherchen des Portals „Daily NK“ aus dem Küstenstreifen abgezogen, um stattdessen ein Krankenhaus in Pjöngjang aufzubauen. Die verlassene Baustelle wurde ein Rückzugsort für Obdachlose, heißt es in dem Bericht, viele der Anlagen scheinen rein äußerlich zwar fertig zu sein, sind innen aber noch leer – und verdreckt.

Laut Nordkorea-Experte Silberstein habe die Regierung versucht, den Tourismus zu einem bedeutenden Teil der Wirtschaft zu machen, vor allem um Ausländer mit Devisen ins Land zu holen. „Aber Nordkorea hat die weltweite Nachfrage nach Tourismus in seinem Land massiv überschätzt“, analysiert Silberstein. Es sei unklar, ob das Areal eine Zukunft in dem Land haben könnte. „Es ist nicht annähernd fertiggestellt“, sagt er.

Die meisten Nordkoreaner dürften sich den Luxus in der Anlage nicht leisten können. Strom ist in vielen Regionen Mangelware und ein guter Teil der Bevölkerung leidet Hunger. Es fehlt am Nötigsten. Was es gibt, bekommen die Menschen oft auf Marktplätzen. Die Jangmadang, so heißen die Märkte in Nordkorea, haben sich seit der schweren Hungersnot Mitte der Neunzigerjahre entwickelt. Unter dem vorsichtigen Reformkurs Kims ist ihre Zahl schnell gewachsen, Schätzungen zufolge gibt es 470 solcher Märkte. Auch jene, wo ein paar Leute Waren entlang einer Straße handeln. Seit 2012 können Bauern einen größeren Teil ihrer Ernte behalten und dürfen ihn dort verkaufen.

Es ist ein Versuch des Machthabers, den Bürgerinnen und Bürgern des totalitär regierten Staats ein paar wirtschaftliche Freiheiten zu gewähren. Heißt: Nordkorea erkennt diese Märkte an, Berichten zufolge müssen Händler auch eine Art Steuer in Form von Standgebühren bezahlen. „Da durch die Schließung des Landes wegen Corona auch der Zugang zu Devisen zusammengebrochen ist, wurden auf den Jangmadang die von den Verkäufern erhobenen Gebühren – in Fremdwährung – erhöht“, erklärt Wrobel. Das habe den Handel verteuert und erschwert.

Dabei sind sowohl die Märkte als auch fliegende Händler mittlerweile für das tägliche Leben unabdingbar. Sie verkaufen Importwaren aus China – wohl auch Filme und Musik, teils illegal über die Grenze gebracht – oder Obst, Gemüse sowie andere Lebensmittel.


Doch durch den harten Protektionismus-Kurs der nordkoreanischen Regierung während der Pandemie kam der Handel Medienberichten zufolge weitgehend zum Erliegen. Die Konditionen hätten sich stark verschlechtert, ebenso wie die gesamte wirtschaftliche Situation, bestätigt auch Silberstein. Satellitenaufnahmen des Sinpo Markets in Sinuiju, eine Stadt direkt an der chinesischen Grenze mit etwa 360.000 Einwohnern, zeigen diese Entwicklung.

Die Entscheider in Peking und Pjöngjang schlossen die chinesisch-koreanische Grenze schon im Januar 2020, um gegen die Ausbreitung des Coronavirus vorzugehen. Ohne chinesische Importe fehlten jedoch wichtige Verkaufsgüter. Spätestens Ende Juli 2020, als Nordkorea für die Region um Kaesong, die fünftgrößte Stadt des Landes, den Notstand verhängt hat, brach der Handel weitgehend ein.

Kaffee und Kram Lässt sich Tchibos Niedergang aufhalten?

75 Jahre nach der Gründung bröckelt die Geschäftsbasis von Tchibo. Konzernpatron Michael Herz stemmt sich gegen den Niedergang des Kaffeehändlers.

BaFins Geldwäsche-Bekämpferin „Merken bei manchen Häusern, dass sie keinen Fokus auf die Geldwäscheabwehr legen“

Birgit Rodolphe leitet den Kampf der BaFin gegen Geldwäsche. Sie sagt, warum manche Banken das Problem nicht in den Griff bekommen – und wen sie jetzt ins Visier nimmt.

Wohneigentum Deshalb besitzen so wenige Deutsche ein Eigenheim

In Deutschland gibt es verhältnismäßig wenig Eigenheimbesitzer. Nur die Schweiz hat noch weniger. Was dahinter steckt und warum Deutschland Mieterland ist.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

In den vergangenen Wochen haben sich die Märkte nun wieder etwas gefüllt, zeigen neueste Bilder. Auch wenn sie augenscheinlich noch nicht zu ihrer alten Stärke zurückgefunden haben.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im August 2023. Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

Hier finden Sie alle Beiträge aus der Rubrik „Wirtschaft von oben“

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

Lesen Sie auch: Nordkorea bessert mit Cyberkriminalität sein Militär-Budget auf

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%