ABB-Chef Spiesshofer „Das Elektroauto ist heute die sichere Wahl, nicht der Diesel“

ABB und Formula E Quelle: Getty Images

Viele Ladesäulen gelten als Voraussetzung für den Durchbruch der Elektromobilität. Im Interview erklärt ABB-Chef Ulrich Spiesshofer, warum er nichts von Subventionen hält und wie er sich das Laden der Zukunft vorstellt.

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Dass die Formel E neue Wege beschreitet, war schon vor dem ersten Rennen September 2014 klar. Statt mit viel Motorenlärm und Benzin auf namhaften Rennstrecken wie Monza, Silverstone oder Spa-Francochamps um Siege zu kämpfen, trägt die Elektro-Rennserie ihre Läufe direkt in den Innenstädten aus – beinahe lautlos und familienfreundlich. Das hat schnell das Interesse der großen Konzerne auf sich gezogen: Inzwischen kämpfen Werksteams von Audi, Jaguar, Renault und Nio mit vielen Privatteams um Siege. BMW, Mercedes, Nissan und Porsche steigen bald ein.

Auch in anderen Bereichen geht die Formel E neue Wege: Zum ersten Mal hat der Auto-Weltverband FIA bei einer seiner Weltmeisterschaften einen Titelsponsor zugelassen. Was in anderen Sportarten längst üblich ist, kam im Motorsport bislang nicht vor. Aber seit der laufenden Saison 2017/2018, die im Juni in New York endet, firmiert die Rennserie als „ABB Formula E“. Der Schweizer Technologiekonzern ABB, auf Strom-Technik und Fabrikautomation spezialisiert, dürfte bislang nur wenigen Motorsport-Fans ein Begriff sein.

Warum gibt ein Industriekonzern Millionen für ein Rennsport-Engagement aus? Am Rande des Formel-E-Rennens in Berlin, das der deutsche Audi-Fahrer Daniel Abt gewonnen hat, stand ABB-Chef Ulrich Spiesshofer Rede und Antwort.

Zur Person

WirtschaftsWoche Online: Herr Spiesshofer, ABB ist Titelsponsor der Elektro-Rennserie Formel E und tritt damit zwischen deutlich bekannteren Marken wie Audi, Renault, Jaguar, aber auch Sponsoren wie DHL oder Tag Heuer auf. Wie oft müssen Sie erklären, was ABB ist?
Ulrich Spiesshofer: Genau aus diesem Grund haben wir uns für dieses Engagement entschieden – um ABB als Technologiekonzern zu positionieren. Wir haben in den vergangenen Jahren die komplette Firma umgebaut. Heute machen wir vor allem zwei Dinge: Wir bringen den Strom vom Kraftwerk an den Verbrauchspunkt in Haushalt oder Industrie und wir automatisieren die Industrie vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt.

Wie passt die Formel E ins Konzept?
Wir sind angetreten, um die Elektromobilität zu unterstützen. Gemeinsam mit dem Formel-E-CEO Alejandro Agag habe ich die feste Vision, dass wir Technologie nutzen müssen, um die Welt zu bewegen, ohne die Erde zu verbrauchen. Das ist der Grundsatz der Formel E, mit der sie sich von anderen Rennserien abhebt. Deswegen haben wir mit der Formel E die ideale Plattform, um die ABB und ihre Technologien zu präsentieren – vor den Fans, unseren Kunden aus der Automobilindustrie, aber auch wichtigen Stakeholdern aus der Politik.

Für Elektroautos verkauft ABB Ladestationen. Im bisherigen Strom-Geschäft und in der Industrie-Automation war ABB ausschließlich im B2B-Geschäft unterwegs, mit den Ladestationen verkaufen Sie zum ersten Mal auch direkt an den Endkunden. Was ändert das?
Für den Kunden sind beim Laden drei Dinge wichtig: Er will eine sichere Technologie, er will schnell laden, wenn es darauf ankommt und er will an möglichst vielen Stellen diese Ladestationen haben. Genau das können wir bieten. Wir haben auf der Hannover Messe vor wenigen Wochen die schnellste Ladestation der Welt gezeigt, mit der Kunden in acht Minuten für 200 Kilometer Reichweite nachladen können. Diese Technologie ist nicht trivial, aber wir beherrschen sie. Bei Elektromobilität und Ladeinfrastruktur soll niemand an uns vorbeikönnen.

Auch andere Unternehmen bauen Schnellladestationen.
Das ist richtig, dennoch sehe ich uns an entscheidenden Punkten technologisch vorne. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bei unserer 350-Kilowatt-Ladesäule fließt so viel Strom, dass im Normalfall der Pin am Kabel und der Plug am Auto wegen der hohen Temperatur miteinander verschweißen würden. Um das zu verhindern, haben wir eine aufwändige Öl-Kühlung im Kabel entwickelt, die bis in die Steckverbindung reicht. Genauso wichtig ist aber, dass wir die Leistungselektronik beherrschen, um solche Ströme kontrollieren zu können. In der Netzausrüstung sind solche Leistungen für uns Alltag. Außerdem können wir in den Ladesäulen unsere Basis-Technologien aus Sicherungen, Konvertern und Steuerung einbauen. Damit haben wir die volle Kontrolle über die Qualität der Komponenten und können noch für einen reibungslosen Anschluss der Ladestation ans Stromnetz sorgen. Das kann in der Summe kein anderer.

„Wir brauchen keine Ladesäulen-Subvention“

Sie müssen die Ladestationen auch verkaufen – bei teuren Schnellladesäulen an Unternehmer und Gemeinden, bei der Wallbox für die heimische Garage zum ersten Mal auch an den Endkunden. Welcher Vertriebsweg ist komplexer?
Beide Wege sind für uns sehr wichtig. Mit Energieversorgern haben wir unsere etablierten Vertriebswege, mit Stadtwerken und Gemeinden haben wir bereits heute viele Kontakte. Im Endkunden-Vertrieb fangen wir nicht bei null an: Wir sind schon heute in Deutschland Marktführer bei der Gebäudeautomation und arbeiten mit mehr als 10.000 Installateuren zusammen, die wir regelmäßig schulen. Wer also zu seiner Gebäudeautomation noch eine Ladesäule haben will, wird hier gut beraten.

Bislang baut ABB nur Ladesäulen für Elektroautos. Bei Elektrobussen bieten Sie auch ganze Antriebsstränge an. Planen Sie das auch für Autos?
Bei Bussen, Lkw und sogenannten Off-Highway-Fahrzeugen werden wir das Angebot auch weiter ausbauen. Wir gehen aber nicht in Personenwagen. Der Markt tickt anders, wir haben dort keine Vertriebskette. Wir konzentrieren uns auf die Geschäfte mit der Autobranche, die heute gut laufen und in denen wir weiter Wachstumschancen sehen: Ladeinfrastruktur und Fabrikautomation.

Die passende Buchse für Elektroautos
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In der vergangenen Woche wurde eine von ABB unterstützte Studie der TU München veröffentlicht, die im Jahr 2030 von einem Bedarf von 600.000 Ladesäulen ausgeht. Welchen Marktanteil peilen Sie an?
Bei den Stromnetzen und der Elektrifizierung sind wir Weltmarktführer – mit einem zweistelligen Marktanteil. In den jungen Markt der Elektromobilität sind wir mit Nachdruck eingestiegen und haben schon heute einen hohen Marktanteil und einen Auftragseingang im dreistelligen Millionenbereich. Unser Anspruch ist, langfristig Weltmarktführer zu bleiben. Ich will mich da nicht auf eine Prozentzahl festlegen. Langfristig heißt aber, dass wir hochwertige und sichere Produkte liefern. Wir dürfen uns nicht übernehmen und Dinge versprechen, die wir nicht halten können.

Ein weiteres Ergebnis dieser Studie war, dass sich Schnellladesäulen derzeit kaum profitabel betreiben lassen. Muss die Politik hier eingreifen und fördern?
Wir haben ein klassisches Henne-Ei-Problem. In der Vergangenheit hieß es, wir hätten zu wenige Fahrzeuge – heute freue ich mich, wenn ich sehe, wie viele Modelle bald auf den Markt kommen. Dann hieß es, es gebe keine Schnelllade-Technik, die es erlaubt in weniger als zehn Minuten zu laden. Das haben wir jetzt auch gelöst. Jetzt müssen wir sicherstellen, dass diese Technologie verfügbar ist, wenn die Fahrzeuge auf den Markt kommen.

Tesla und seine Verfolger

Also, brauchen Sie Förderung oder glauben Sie, dass die freie Marktwirtschaft das selbst regelt?
Ich glaube nicht, dass wir eine Subvention brauchen. Energieversorger steigen zunehmend in das Geschäft ein. Mit EnBW haben wir 117 Ladestationen entlang der Autobahnen gebaut, bald kommen noch mehr. In den USA haben wir von dem Start-up Electrify America den Auftrag bekommen, einen erheblichen Teil ihres Ladenetzes aufzubauen. Ich gehe davon aus, dass in den kommenden Jahren aus diesen Start-ups Geschäftsmodelle entstehen, mit denen Geld verdient wird. Das Geschäftsmodell Ladestation muss man aber auch gesamtheitlich sehen – daraus ergibt sich ein weiteres Modell.

Welches?
In vielen Fällen geht es nicht darum, ob die Einkünfte aus dem Ladestrom ausreichen, um die Anschaffungskosten auszugleichen. Die großen Tankstellenbetreiber verdienen heute schon mehr mit ihrem Shop als mit dem Kraftstoff. Um die Umsätze im Shop zu halten, brauchen sie künftig eine Ladesäule vor der Tür. Ähnliches gilt für Supermärkte: Wenn die Kunden freiwillig ein paar Minuten länger im Laden bleiben, damit das Auto noch laden kann, kaufen sie mehr sein. Ladesäulen auf dem Parkplatz können zu einem wichtigen Argument werden, dass ein Kunde einen bestimmten Supermarkt aufsucht. Oder aber für Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern auf dem Firmenparkplatz etwas bieten wollen.

„Wir haben hier eine historische Gestaltungschance“

Bei den Start-ups und vielen Energieversorgern geht es dennoch darum, mit dem Ladestrom Geld zu verdienen. Wie bringt man dem Kunden bei, dass er an einer Schnellladesäule mehr für die Kilowattstunde Strom zahlen muss als für den Haushaltsstrom?
Wir haben hier eine historische Gestaltungschance. Wir schaffen gerade ein neues System der Mobilität. Es wird sehr wichtig sein, dass wir alle Stellgrößen dieses neuen Systems optimieren. Dazu gehört auch das Konsumentenverhalten und -denken. Heute steuern Autofahrer die Tankstelle an, wenn der Tank leer ist. Diese Denkweise gehört aber der Vergangenheit an. Da wir an 90 Prozent der Tage im Jahr weniger als 100 Kilometer fahren, reicht das günstige Aufladen an der heimischen Steckdose oder auf der Arbeit vollkommen aus. Nur an den wenigen Tagen, die wir längere Strecken fahren, müssen wir an eine Schnellladestation.

Trotzdem wird eine Kilowattstunde dort ein Vielfaches kosten.
Das Teure am Schnellladen sind nicht die Stromkosten. Die fallen bei wenigen Langstreckenfahrten im Jahr ohnehin kaum ins Gewicht. Teuer ist jedoch die Abnutzung der Batterie, die durch das Schnellladen erheblich steigt. Schon bald wird es Leasingmodelle geben, die genau das berücksichtigen. Wenn wir beide ein baugleiches Elektroauto fahren, Sie über die drei Jahre Leasingdauer fast nur zuhause laden und ich dreimal pro Woche am Schnelllader hänge, nutze ich die Batterie stärker ab. Der Wertverlust wäre also höher. Das wird einen viel größeren Einfluss auf unsere Nutzung eines Elektroautos haben als die Stromkosten. Zumal die Stromkosten künftig auch flexibel werden können.

Diese Elektroautos gibt es derzeit zu kaufen
Tesla Model S an einem Supercharger Quelle: Tesla
Citroën C-Zero und Peugeot Ion Quelle: Peugeot
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Renault Zoë Quelle: Renault
Citroën E-Mehari Quelle: Citroën
VW e-Up Quelle: Volkswagen
Kia Soul EV Quelle: Kia

Was meinen Sie?
Wir sind gerade mit Partnern in Gesprächen, in Singapur ein dynamisches Preismodell zu testen. Die Idee: Über die Künstliche Intelligenz von IBM Watson, die die besten Wettervorhersagen bietet, treffen wir Prognosen für Solar- und Windstrom. Auf der anderen Seite haben wir ein vorhersagbares Konsumentenverhalten, etwa das klassische Laden zuhause nach Feierabend. Wenn wir wissen, dass der Wind bläst und die Sonne scheint, wird der Strom billiger. Ist Flaute und der Strom teuer, teilen wir das dem Kunden mit und er kann sich darauf einstellen. Das ist noch nicht in Stein gemeißelt, zeigt aber, welche neuen Stellgrößen die Elektromobilität bietet.

Im autokratischen Singapur oder auch in China lassen sich solche Dinge schnell durchsetzen, wenn sie politisch gewollt sind. Überwiegt in solchen Fragen in Europa die Unsicherheit – sowohl politisch als auch gesellschaftlich?
Das wandelt sich. Vor einigen Jahren wäre die Unsicherheit noch der Kauf eines Elektroautos gewesen, der Diesel oder Benziner die sichere Lösung. Heute ist es so, dass bei gewissen Fahrzeugen schon Fahrverbote kommen und wir bei den anderen nicht wissen, wie lange wir sie noch überall benutzen dürfen. Beim Elektroauto ist klar, dass ich es immer und überall fahren kann. Ich habe vielleicht noch nicht die Ladeinfrastruktur, die ich mir wünsche, aber das kippt langsam. Deshalb glaube ich, dass sich der Markt in Europa schnell entwickeln wird – aber anders als in China. Dort kommt der Wechsel top-down, wird von oben verordnet. In Europa sehe ich eine Bottom-up-Entwicklung, der Konsument wird eine wesentliche Rolle spielen.

Wie lade ich mein Elektroauto?

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