
Im Kampf gegen die Folgen des Abgas-Skandals holt Volkswagen die angesehene Juristin und bisherige Daimler-Vorstandsfrau Christine Hohmann-Dennhardt an Bord. VW einigte sich mit der Konkurrenz aus Stuttgart darauf, dass die 65-Jährige zum Januar 2016 nach Wolfsburg wechselt. Wie schon bei Daimler wird die ehemalige SPD-Ministerin und Bundesverfassungsrichterin auch bei VW die erste Vorstandsfrau sein. Hohmann-Dennhardt hatte bei Daimler ursprünglich noch einen Vertrag bis Ende Februar 2017.
Mitten in der Krise setzen dem VW-Konzern derweil die Absatzzahlen zu. Auswirkungen der manipulierten Abgaswerte sind aus den vorgelegten September-Verkäufen zwar noch nicht zu erkennen. Im September hatte der Skandal jedoch auch erst in den vergangenen Tagen seinen Lauf genommen. Doch auch so gerät das bereits heruntergeschraubte Ziel, dieses Jahr wenigstens so viele Fahrzeuge wie 2014 abzusetzen, mit derzeit 1,5 Prozent Rückstand zu einer zunehmend heiklen Aufgabe.





Auf juristischer Seite bekommt es VW mit der Ermittlungsmacht des Landeskriminalamtes zu tun: Die Staatsanwaltschaft will 20 LKA-Ermittler auf die rasche Aufarbeitung der Abgas-Affäre ansetzen.
Branchenkenner begrüßten Hohmann-Dennhardts Wechsel. „Mit ihr hilft Daimler Wolfsburg und gleichzeitig der deutschen Autoindustrie, den Kollateralschaden durch die Dieselbetrügereien aufzuräumen“, sagte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen.
Auf die 65-Jährige wartet ein sehr dickes Brett: Neben der Klärung der Schuldfrage zeichnen sich Klagen von Investoren und Kunden ab, es drohen Strafzahlungen, zurückzuzahlende Subventionen und womöglich Entschädigungszahlungen. Hohmann-Dennhardt soll nun wirksam Pfähle einschlagen, um ähnliche Verfehlungen in dem Konzern mit seinen weltweit 600.000 Mitarbeitern in Zukunft zu verhindern. Wer ihr bei Daimler an der Spitze des Rechtsressorts nachfolgt, ist noch unklar.
Die Stuttgarter hatten die Juristin 2011 bei der Aufarbeitung eines Schmiergeldskandals zu sich geholt. Auch in Wolfsburg wird sie das dort neu geschaffene Vorstandsressort Recht und Integrität (Compliance) lenken – sie wacht damit federführend darüber, dass sich alle Mitarbeiter an die Gesetze, Moral und interne Spielregeln halten.
Was bei der Rückruf-Aktion auf VW-Besitzer zukommen könnte
Das Kraftfahrtbundesamt hat angeordnet 2,4 Millionen VW-Diesel-Fahrzeuge in die Werkstätten zurückzurufen. Laut Plan sollen im Januar 2016 die ersten Autos in die Werkstätten. Bis zum Ende des kommenden Jahres könnten dann alle betroffenen Autos überholt sein. In einem Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hatte VW-Chef Matthias Müller aber zuvor auch nicht ausgeschlossen, manche Autos komplett auszutauschen, anstatt sie umzurüsten: „Das muss man im Einzelfall prüfen.“
Es geht bei den Nachbesserungen nicht nur um die Manipulations-Software. Für die meisten Motoren genüge es zwar, wenn ein neues Programm aufgespielt werde, sagte Müller. Manche Autos könnten aber auch neue Einspritzdüsen und Katalysatoren bekommen. Die Umrüstung ist auch deshalb kompliziert, weil der betroffene Motortyp EA 189 in zahlreichen Kombinationen und Ländervarianten verbaut ist. Motorenexperte Prof. Jörn Getzlaff von der Hochschule Zwickau hält es aber für möglich, dass Volkswagen keine komplett neue Technik entwickeln muss: „Es kann durchaus sein, dass VW auf eine Lösung zurückgreift, die der Konzern schon heute in seine neue Motorengeneration einbaut.“ Diese neuen Aggregate erfüllen die strengeren Umweltauflagen der Euro-6-Norm.
Das ist möglich. Durch die Umrüstung könnten sich die Leistung und der Spritverbrauch ändern, sagt Getzlaff. Es müsse aber nicht unbedingt so sein, dass das Auto dann langsamer wird und mehr verbraucht. VW-Chef Müller sagte, es sei wichtiger, „das CO2-Ziel zu halten und dafür vielleicht auf 3 bis 5 km/h Höchstgeschwindigkeit zu verzichten“.
Autokäufer müssten sich vermutlich zunächst mit dem Verkäufer des Autos streiten - in den meisten Fällen also mit dem Händler, nicht mit dem VW-Konzern, erklärt Thomas Rüfner, Rechtsprofessor an der Universität Trier. Es sei möglich, dass der Händler Autos zurücknehmen müsse. Dafür müssten aber einige Voraussetzungen erfüllt sein: erhebliche Mängel, also dass das Auto nach der Umrüstung zum Beispiel deutlich langsamer fährt oder viel mehr Sprit verbraucht. Der Kauf darf auch nicht länger als zwei Jahre zurückliegen. „Der Autokäufer würde vermutlich den kompletten Kaufpreis zurückbekommen, müsste aber wohl nachträglich für die Nutzung des Autos zahlen“, sagt Rüfner. Wenn sich die Fahreigenschaften des Autos nur in geringem Maße ändern, könne aber der Kaufpreis gemindert werden.
Eine VW-Kundin, die ihr Auto im Jahr 2010 gekauft hat, versucht das bereits. Sie hat eine Klage direkt gegen den VW-Konzern eingereicht, unter anderem wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die Frau sehe sich in ihrer Erwartung enttäuscht, ökologisch unterwegs zu sein, teilte ihr Anwalt mit. Ein VW-Sprecher wollte sich zu der Klage zunächst nicht äußern, der Vorgang sei ihm nicht bekannt.
Dazu hat sich VW bislang nicht geäußert. Autohersteller sind dazu jedenfalls nicht gesetzlich verpflichtet, sagt Gabriele Emmrich von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Andere Autohersteller wie Toyota hatten einen solchen Service bei Rückrufen in der Vergangenheit schon angeboten, allerdings ging es da um weniger Autos als bei Volkswagen. Emmrich zufolge stellen Händler und Hersteller nur in Ausnahmefällen ein Leihauto zur Verfügung.
Daimler hatte sich 2010 schuldig bekannt, über zehn Jahre hinweg in mindestens 22 Ländern Beamte für lukrative Aufträge bestochen zu haben. Hohmann-Dennhardt sagte der dpa einmal: „Es ist klar, dass größere Verstöße sich schwer auf die Reputation eines Unternehmens auswirken können.“ Studien zeigten, dass für Kundenentscheidungen die Sympathie zur Marke äußerst wichtig sei. „Man schätzt, dass die Reputation etwa 30 Prozent ausmacht im Hinblick auf den Produktkauf.“
Branchenbeobachter Dudenhöffer lobte: „Mit Hohmann-Dennhardt ist eine äußerst kompetente Persönlichkeit für VW gewonnen worden, die Gewähr dafür ist, dass zukünftig im VW-Konzern „Compliance“ übersetzt und geübt werden kann. Eine bessere Wahl wäre nicht möglich gewesen.“
Auf Verkaufsseite ging es im September vor allem bei der Kernmarke um Golf und Passat bergab. Zu schaffen macht vor allem der schwächelnde Automarkt in China, wo der Konzern gut jedes dritte Auto absetzt.
Auch in Russland und Südamerika sanken die Verkäufe weiter kräftig. Das kleine Verkaufsplus in Europa konnte das nicht ausgleichen. Auf Jahressicht liegt der Konzern derzeit 1,5 Prozent unter dem Verkaufsergebnis der ersten neun Monate 2014. Bereits im Sommer hatte Volkswagen das Jahresabsatzziel kassiert, „moderat“ zuzulegen.
Volkswagen muss auf Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) in Deutschland 2,4 Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten beordern. Europaweit sollen 8,5 Millionen Fahrzeuge zurückgerufen werden, weltweit sind bis zu elf Millionen Autos von Manipulationen betroffen.
Unterdessen prüft Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt angesichts des VW-Abgas-Skandals schärfere Regeln für die Software von Automotoren. Die künftigen EU-Zulassungsvorschriften sollten das Erkennen und Verhindern „rechtswidriger Abschalteinrichtungen“ der Abgasreinigung enthalten, teilte das Ministerium dem „Spiegel“ mit. Dafür sei zu erwägen, ob die Hersteller TÜV oder Dekra ihre Software bei der Abnahme neuer Pkw offenlegen müssten. Das Kraftfahrtbundesamt sieht in der betroffenen VW-Dieselsoftware eine solche verbotene Version.