Abgas-Skandal Volkswagen weist Dieselgate-Aktionärsklagen zurück

Dass VW nach dem millionenfachen Betrug nicht nur juristischer Ärger von Kunden, sondern auch von Aktionären blühte, war abzusehen. Jetzt hat sich der Konzern zu den Klagen geäußert – mit einer eigenen Begründung.

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VW-Chef Matthias Mueller Quelle: AP

Hat Volkswagen seine Anleger bei dem Bekanntwerden des Abgasskandals rechtzeitig informiert? Einige Indizien sprechen offenbar dagegen – Anleger haben bereits Klagen eingereicht. Die VW-Aktie war nach dem Ausbruch des Abgas-Skandals im September abgestürzt, einige Aktionäre wollen sich ihre Verluste vom Konzern ersetzen lassen. VW hätte deutlich früher über den aufkommenden Skandal informieren müssen, weil Kursverluste drohten, so ihre Position. Volkswagen selbst ist anderer Ansicht und hält die kapitalmarktrechtlichen Vorwürfe für „unbegründet“.

Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa

Man habe am Landgericht Braunschweig eine Klageerwiderung im Zusammenhang mit dem Vorwurf eines Verstoßes gegen kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten eingereicht, teilte Volkswagen am Abend per Ad-hoc-Mitteilung mit. „Nach sorgfältiger Prüfung durch interne und externe Rechtsexperten sieht sich das Unternehmen in der Auffassung bestätigt, dass der Volkswagen-Vorstand seine Pflicht ordnungsgemäß erfüllt hat“, heißt es in der Mitteilung.

Das Unternehmen lege Wert darauf, dass diese Prüfung nicht die andauernde Untersuchung zur Aufklärung des Abgasskandals durch die Kanzlei Day Jones ersetze. „Volkswagen nimmt nunmehr öffentlich Stellung, um die aus Unternehmenssicht selektive und unvollständige Veröffentlichung von Dokumenten in den Medien über die Diesel-Thematik richtigzustellen und zu vermeiden, dass nunmehr auszugsweise über die Klageerwiderung berichtet wird.“

VW begründet seine Haltung zu den Aktionärsklagen damit, dass sich die Relevanz auf den Aktienkurs des Unternehmens erst am 18. September 2015 ergeben hätte – als die US-Umweltbehörde EPA den Skandal öffentlich machte und nicht, als der Vorstand intern von den Vorgängen erfahren habe. Wolfgang Porsche, Vorsitzender des Dieselausschusses im VW-Aufsichtsrat, sagte in Genf im Gespräch mit der WirtschaftsWoche, dass es „von hinten betrachtet immer einfach sei, die Dinge richtig einzuordnen". Als man erstmals von der Problematik erfuhr, sei man nicht davon ausgegangen, dass die Software in betrügerischer Absicht manipuliert worden sei und glaubte, die von der EPA bemängelten Diskrepanzen mit kleinen Nachbesserungen aus der Welt schaffen zu können. Auch sei das Ausmaß der drohenden Strafzahlung „nicht ansatzweise“ erkennbar gewesen.

Die Diesel-Thematik, wie Volkswagen den Abgasskandal bezeichnet, „schien nach bestem Kenntnisstand durch übliche und damit kursneutrale Maßnahmen einschließlich wirksamer technischer Lösungskonzepte beherrschbar“, heißt es in der Pressemitteilung. Nachdem im Anschluss an die „Notice of Violation“ eine erste belastbare Zahlenbasis über die weltweiten Risiken ermittelt worden war, sei diese vorläufige Abschätzung am 22. September 2015 „unverzüglich ad-hoc gemeldet“ worden. 

Rückstellungen von 6,7 Milliarden Euro sollten reichen

Der Abgasskandal war in den USA entstanden, nachdem Volkswagen im Jahr 2005 entschieden hatte, den US-Markt mit einer Dieseloffensive erobern zu wollen. Um den Zielkonflikt bei der Entwicklung des dafür angedachten Motors EA189 zwischen den bis zu sechs Mal strengeren Abgas-Grenzwerten in den USA und den Kosten zu lösen, „entschloss sich nach bisherigem Erkenntnisstand in der Folgezeit eine Gruppe von Personen, die im Einzelnen aktuell noch ermittelt werden, auf Ebenen unterhalb des Konzern-Vorstands im Bereich Aggregate-Entwicklung dazu, die Motorsteuerungssoftware zu verändern“, so Volkswagen. Mit diesem Eingriff in die Software wurden auf dem Teststand Abgaswerte erzeugt, die sich von den unter realen Fahrbedingungen erzeugten Werten unterschieden. Mit anderen Worten: Es wurde gemogelt.

„Es handelte sich dabei um einen punktuellen, aber schwerwiegenden und von Volkswagen nachdrücklich bedauerten Eingriff in die Motorsteuerungssoftware, der aber durch relativ kleine Veränderungen innerhalb des für die Entwicklung der Steuerungssoftware verfügbaren Budgets möglich war, ohne hierbei übergeordnete Stellen einbeziehen zu müssen“, erklärt der Konzern. Nur einige wenige von insgesamt rund 15.000 einzelnen Algorithmen wurden modifiziert. Hinweise auf die falschen Abgaswerte hätte aber erst die Studie der kalifornischen Umweltbehörde Carb im Mai 2014 ergeben.

Über diese Studie wurde der damalige VW-Chef Martin Winterkorn am 23. Mai 2014 informiert – eine Notiz sei seiner "umfangreichen Wochenendpost" beigelegt worden. Ob und wann Winterkorn die Notiz zur Kenntnis nahm, ist nicht bekannt. Das werden wohl die Gerichte klären müssen.

Vertreter von VW werden sich Donnerstag in Washington mit den Vertretern der Umweltbehörden treffen. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch hofft, dass dann endlich eine Einigung erzielt wird - ob der neu entwickelte Kat für den 3.0 TDi akzeptiert wird und die Rückrufaktion für die jüngeren 2.0 TDi starten kann. Erst dann, so Pötsch gegenüber der WirtschaftsWoche, könne man die Gesamtbelastung kalkulieren und in die Bilanz einstellen.

Die Rückstellungen von 6,7 Milliarden Euro sollten nach Stand der Dinge aber für die „Fixes“ in den USA reichen. VW-Chef Müller würde sich aber auch der Idee - die angeblich von der EPA kommt - nicht verschließen, zur Wiedergutmachung im Werk Chattanooga ein Elektroauto zu bauen. Müller bezeichnete die Gespräche in den USA als gut. Wichtig war für ihn die Erklärung, „dass man nicht die Absicht hat, VW zu ruinieren“.

Das mag den einen oder anderen Aktionär beruhigen. Auf der Hauptversammlung, die laut Pötsch voraussichtlich Ende Mai einberufen wird, dürfte es jedoch heftige Diskussionen geben: Pötsch bereitete im Gespräch mit der WirtschaftsWoche die Anteilseigner darauf vor, dass für 2015 die Dividende wohl ausfallen wird: „Alle Stakeholder müssen jetzt dazu beitragen, die Lasten aus der Dieselthematik zu schultern.“

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