
Audi - Vorsprung durch Täuschen, der erste Akt. Im November 2015 erklärt VW selbstbewusst, dass bei großen Audi-Dieselmotoren keine Software installiert worden sei, die „die Abgaswerte in unzulässiger Weise zu verändert“. Es dauert nur drei Wochen, dann muss der Konzern einräumen, damit falsch gelegen zu haben: Audi habe den Behörden in USA drei Softwareprogramme verheimlicht, gibt Wolfsburg kleinlaut zu, eines davon sei eine illegale Abschalteinrichtung.
Der zweite Akt. Enthüllungen im Dieselskandal zeigen, dass die berüchtigte VW-Betrugssoftware wohl bei Audi erfunden wurde und von dort ihren Siegeszug im ganzen Volkswagen-Konzern antrat. Die Meister der Manipulation, sie sitzen offenbar in Ingolstadt. Technisch gesehen ist das nicht wirklich überraschend, denn bei großen, sportlichen Dieselfahrzeugen fällt es den Entwicklern aus technischen Gründen schwerer, Stickoxidgrenzwerte einzuhalten. Da ist die Versuchung groß, illegale Abkürzungen zu nehmen.
Und es geht weiter, der dritte Akt im Corporate-Governance-Trauerspiel: Obwohl Audi-Chef Rupert Stadler die Entstehungsgeschichte der Betrugssoftware kennt, will er Stefan Knirsch – bislang bei Audi für die Motorenentwicklung verantwortlich – zum neuen Technikvorstand ernennen. Knirsch gibt zu diesem Zweck eine Ehrenerklärung ab, vor 2015 nichts von den Manipulationen gewusst zu haben. Im September muss Stadler bei der Personalie zurückrudern, weil offenbar doch Belastendes über Knirsch gefunden wurde.
Nur noch absurd erscheint da die Lobeshymne, die Stadler bei der Beförderung Knirschs zum Technikvorstand angestimmt hatte: „Stefan Knirsch ist mit dem Konzern und der technischen Entwicklung von Audi gut vertraut. Wir kennen ihn als kreativen und visionären Macher. Mit ihm werden wir gerade in dieser fordernden Situation durchstarten.“
Audi befindet sich tatsächlich in „einer fordernden Situation“ und braucht jeden „kreativen Macher“, denn der Autobauer muss endlich den US-Behörden erklären, was mit den 85.000 amerikanischen Dieselfahrzeugen geschehen soll, die mit großen Audi-Dieselmotoren und Schummelsoftware ausgestattet sind. Seit über einem Jahr tüfteln Audi-Techniker schon an einer Lösung, dem Vernehmen nach aber ohne Erfolg. Technisch kriegt man die Autos wohl nicht in einen gesetzeskonformen Zustand, also muss eine finanzielle Lösung her. Mit zwei, drei oder auch vier Milliarden Dollar wird Audi die Kunden wohl entschädigen müssen.
Es bliebe die Erkenntnis: Audi hat Autos auf den Markt gebracht, die noch nicht mal mit teuren Nachbesserungen und der heutigen Technik die Abgasvorschriften einhalten können – der vierte Akt im Drama „Vorsprung durch Täuschen“.
Fünfter Akt: Im August erfährt die WirtschaftsWoche, dass Audi womöglich nicht nur der Erfinder der Diesel-Betrugssoftware ist, sondern dass dort auch Software für Abgasmanipulationen bei Benzinern und für CO2-Emissionen entwickelt wurden. Das berichteten Bosch-Insider, die über große Mengen vertraulicher Firmendaten verfügen, der WirtschaftsWoche. Im November wurde schließlich bekannt, dass die kalifornische Umweltbehörde Carb bei einem Audi-Motor auf eine neue Betrugssoftware gestoßen sei. Nicht um Stickoxide soll es bei der Software gehen, sondern um das Vorgaukeln niedrigerer CO2-Werte.
Und die Software sei sowohl für Diesel als auch Benziner geeignet. Benziner und CO2, und das auch in Europa – bestätigen sich diese Anschuldigungen, war Dieselgate nur ein Vorbote des eigentlichen Abgasskandals.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Der sechste und vorläufig letzte Akt: Die renommierte US-Anwaltskanzlei Hagens Berman reicht in dieser Woche die erste speziell auf Audi zielende Sammelklage wegen Abgasmanipulationen ein. Es geht um mögliche CO2-Manipulationen von Benzinern mit 3-Liter-Motoren, darunter die Modelle A6, A8, Q5, Q7 und weitere Modelle mit Automatikgetriebe. Die Kläger haben, wie aus dem Schriftsatz hervorgeht, keine neuen Beweise, sondern stützen sich auf die Enthüllungen von deutschen und amerikanischen Medien. Trotzdem kann eine solche Klage Audi etliche Millionen kosten.
Für Volkswagen sind die Entwicklungen bei Audi bedrohlich, ist Audi neben Porsche doch die renommierteste Marke im Konzern und eine echte Ertragsperle. Die Premium-Marke steuert traditionell den größten Anteil zum Konzern-Gewinn bei. Sollte die Marke mit den vier Ringen Schaden nehmen, sollte „Vorsprung durch Täuschen“ sich als eine Handlungsmaxime der Audianer herausstellen, dann sind weltweit Verkäufe und Gewinne in Gefahr – und das ganze 12-Marken-Reich noch mehr unter Druck.