Die Münchner Staatsanwaltschaft hat in der Diesel-Affäre bis heute keinen hinreichenden Tatverdacht gegen Audi-Chef Rupert Stadler. „Unter den Beschuldigten sind keine aktuellen oder früheren Vorstände“, sagte Staatsanwältin Karin Jung am Montag. Die Verteidiger des seit sieben Wochen in Untersuchungshaft sitzenden Audi-Motorentwicklers P. sagten, nach Auffassung der Staatsanwaltschaft habe P. seine Vorgesetzten hinters Licht geführt.
P. war von 2006 bis 2015 einer der führenden Motorenentwickler bei der Volkswagen-Tochter Audi in Neckarsulm gewesen. Die US-Justiz wirft P. vor, er habe „Audi-Mitarbeiter angewiesen, Software zu entwickeln und einzubauen, mit der die standardmäßigen US-Abgastests getäuscht werden“. Die Münchner Justiz verdächtigt P. des Betruges.
Seine Verteidiger Walter Lechner und Klaus Schroth betonten am Montag, ihr Mandant sage als Einziger umfassend aus. „P. ist ein Unterabteilungsleiter. Der ermittelnde Staatsanwalt vertritt die Auffassung, dass P. seine Vorgesetzten als gutgläubige Werkzeuge benutzt habe. Dass diese von nichts gewusst haben sollen, ist jedoch undenkbar und widerspricht jeder Lebenserfahrung“, sagte Lechner.
P. habe der Staatsanwaltschaft einen dicken Ordner mit Unterlagen übergeben lassen, „da steht alles drin“, sagte der Anwalt. P. habe auch eine Chronik aufgestellt, die erkennen lasse, „wer was wann gewusst und entscheiden hat. P. und sein Vorgesetzter Herr W. haben vielfach darauf hingewiesen, dass gegen US-Gesetze verstoßen wird und dass sie das ablehnen.“
Laut „Süddeutscher Zeitung“ (Montag), NDR und WDR soll der frühere Motorentwickler ausgesagt haben, Stadler und der Vorstand seien 2010 und 2012 über das Problem bei der Adblue-Reinigung von Dieselabgasen informiert worden. Stadler hatte allerdings mehrfach betont, von manipulierten Schadstoffmessungen habe er nichts gewusst. Ein Audi-Sprecher in Ingolstadt wollte sich am Montag mit Hinweis auf laufende Verfahren nicht weiter äußern.
Wie die Adblue-Technik funktioniert
Verbrennt Diesel in Motoren, entstehen Rußpartikel und Stickoxide. Die Partikel dringen in die Lunge ein und können Krebs verursachen, Stickoxide reizen die Schleimhäute der Atemwege und Augen und erhöhen das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Sie fördern zudem die Ozonbildung. Damit möglichst wenig der Schadstoffe in die Umwelt gelangt, werden in modernen Fahrzeugen die Abgase in zwei oder drei Stufen gereinigt – zumindest in der Theorie.
Ist die Verbrennungstemperatur im Motor hoch, entstehen wenig Partikel, aber viel Stickoxide. Bei niedrigen Temperaturen ist es umgekehrt.
Der erste Katalysator filtert rund 95 Prozent der Rußpartikel heraus.
Sensoren messen die Stickoxidkonzentration im Abgas. Die Kontrolleinheit spritzt entsprechend Adblue (Harnstofflösung) in den zweiten Katalysator.
Das Adblue reagiert im zweiten Katalysator – das Verfahren heißt selektive katalytische Reduktion (SCR) – zu harmlosem Wasser und Stickstoff. Mehr als 95 Prozent der Stickoxide werden so entfernt.
Nicht alle modernen Dieselfahrzeuge verfügen über die effektive, aber teure Adblue-Technik. Eine Alternative ist der NOx-Speicherkatalysator. Darin werden auf Edelmetallen wie Platin und Barium die Stickoxide gespeichert. In regelmäßigen Abständen wird der Speicherkatalysator freigebrannt, dabei werden die Stickoxide zu unvollständig verbrannten Kohlenwasserstoffen – und/oder Kohlenstoffmonoxid – weiter reduziert. Zum Teil werden auch SCR- und NOx-Speicherkatalysatoren kombiniert – wie etwa im BMW X5.
Die Staatsanwältin sagte, strafrechtliche Ermittlungen gegen Audi-Vorstände gebe es weiterhin nicht - wohl aber ein Bußgeldverfahren gegen namentlich nicht genannte Vorstandsmitglieder wegen möglicher Verletzung der Aufsichtspflicht. P. „macht Angaben. Zum Inhalt und wie sie zu bewerten sind, dazu äußern wir uns nicht.“
Über eine Haftbeschwerde von P.s Anwälten wird eine Entscheidung des Amtsgerichts diese oder nächste Woche erwartet. Bis dahin ist auch mit einer Entscheidung des Oberlandesgerichts über den Antrag der US-Justiz zu rechnen, P. in Auslieferungshaft zu nehmen, wie der Sprecher des Münchner Generalstaatsanwalts sagte.
Das Münchner Amtsgericht hatte seinen Haftbefehl mit Fluchtgefahr begründet. P.s Anwälte sagten, ihr Mandant sei in voller Kenntnis der Vorwürfe von Italien in seine Wohnung in Karlsruhe zurückgekehrt und habe nach seiner Festnahme am 3. Juli von Anfang an volle Kooperation und umfassende Aussagebereitschaft angekündigt.
Audi hatte P. 2015 beurlaubt und vor einem halben Jahr fristlos gekündigt. Über P.s Klage hiergegen werde das Arbeitsgericht Heilbronn am 26. September verhandeln, sagten seine Anwälte.