Selbst für den Glanz und Glamour der Autoindustrie war es sehr ungewöhnlich, was sich auf dem Genfer Autosalon 2015 abspielte: Auf der notorisch überbuchten Automesse, wo sich selbst Branchengrößen mit kleineren Präsentationsflächen begnügen, buchte ein Unternehmen stolze 400 Quadratmeter – ohne ein einziges Auto zu zeigen.
Die Rede ist von Borgward. Jener deutschen Auto-Ikone, die einst größer und bedeutsamer als Daimler war – und jetzt unter der Führung des Gründerenkels Christian Borgward den Neuanfang versucht.
Begeisterung und Skepsis hielten sich ungefähr die Waage. In den Jahren zuvor hatten sich viele vollmundige Ankündigungen als Luftnummern erwiesen, gefeierte Messe-Stars waren schnell wieder verschwunden. Etwa Qoros, das mithilfe europäischer Autoexperten ansehnliche Autos baute, aber derartig auf dem Heimatmarkt floppte, dass der Sprung nach Europa abgeblasen wurde. Oder Quant, das mit neuartigen Flusszellen das Ladeproblem von Batterie-Elektroautos lösen wollte. Oder die deutschen Motorradmarken Horex und MZ, deren groß angekündigten Comebacks grandios scheiterten.
Selbst als Borgward ein halbes Jahr später auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt mit dem BX7 einen Prototyp des ersten Serienmodells präsentierte, konnten nicht alle Zweifel ausgeräumt werden. So verkündete etwa Borgward-Chef Ulrich Walker, dass man weltweit 500.000 Fahrzeuge verkaufen wolle – was Borgward in etwa auf ein Niveau mit Volvo heben würde. Nur eben ohne etabliertes Produktions-, Zulieferer- und Händlernetz.
Borgward zieht es in die alte Heimat
Auch die anfängliche Verschwiegenheit über den großen Partner im Hintergrund, den chinesischen Nutzfahrzeughersteller Beiqi Foton Motor, hat das Vertrauen in die Führung des inzwischen in Stuttgart beheimateten Unternehmens nicht erhöht.
Mittlerweile sind aber sichtbare Fortschritte zu vermelden: In Bremen, der Heimat des alten Borgward-Konzerns, wird das neue Borgward eine Fertigung aufbauen. Der Hersteller hatte Bremen in den Jahren 1949 bis 1961 zu Deutschlands nördlichster Autometropole gemacht. Anfang der 1950er Jahre stand das Unternehmen mit seinen Tochtermarken nach VW und Opel auf dem dritten Platz der deutschen Zulassungscharts. Auch zum Ende des Jahrzehnts war der norddeutsche Riese noch absatzstärker als Mercedes. Trotzdem scheiterte Borgward Anfang der 60er-Jahre aus finanziellen Gründen. Um das Ende der Bremer ranken sich seitdem Mythen und Dolchstoßlegenden. Sie sollen keine Rolle mehr spielen.
„Mit unserer Rückkehr nach Bremen schlagen wir die Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft“, sagt Walker. Er misst der Heimkehr eine symbolische Bedeutung bei, führt aber auch rationale Argumente an. Dazu zählen für den Borgward-Chef etwa die logistische Anbindung zum Überseehafen, die gute Verfügbarkeit von Fachkräften und die hervorragende Zulieferindustrie. Die gelobten Zulieferer sitzen in Bremen, weil Mercedes dort in dem ehemaligen Borgward-Werk Sebaldsbrück die C-Klasse fertigt – und das Werk künftig in die Produktionsstätte des Elektro-Erstlingswerks EQ ausbaut.
Borgward plant wie Daimler die Fertigung eines Elektro-SUV. „Beide Vorhaben haben zwar zunächst eine überschaubare Größenordnung, die geplanten Stückzahlen sind nicht annähernd mit der ebenfalls in Bremen gebauten C-Klasse zu vergleichen. Aber hier tut sich die Chance auf, die Hansestadt zu einem bundesweiten Zentrum für die neue Welt des Autos zu machen, für eine Wiedergeburt der Deutschen liebstes Kind, emissionsfrei, voll digital und vernetzt“, jubelte schon der Bremer „Weser-Kurier“.
Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen den Plänen von Daimler und Borgward. Während das Mercedes-Elektroauto von Grund auf in Bremen gebaut und der Elektro-Antrieb aus dem Hamburger Werk zugeliefert wird, scheut Borgward den Aufbau eines kompletten Fahrzeugwerks im Hochlohnland Deutschland. In Bremen – der genaue Standort soll in den kommenden Wochen bekannt gegeben werden – wird nur ein Montagewerk entstehen.
Dabei sind grundsätzlich zwei Konzepte möglich, in der Autobranche „Completely Knocked Down“ (CKD) und „Semi Knocked Down“ (SKD) genannt. Bei einer CKD-Produktion wird ein Fahrzeug direkt nach der Fertigung im Stammwerk wieder auseinandergenommen, verschifft und im Montagewerk wieder zusammengesetzt. Damit sollen üblicherweise hohe Einfuhr-Zölle umgangen werden – so macht es zum Beispiel auch Daimler mit dem in Düsseldorf gebauten Sprinter für den US-Markt.
Borgwards Erfolg entscheidet sich in China
Borgward favorisiert derzeit aber wohl das SKD-Konzept. Dabei werden die Exemplare des BX7 so aus China angeliefert, dass nur noch eine begrenzte Zahl von Teilen eingebaut werden muss – inklusive der Anpassungen an europäische Vorschriften. Im ersten Schritt sollen so 50 bis 100 Arbeitsplätze entstehen. Wird später auf eine CKD-Fertigung umgestellt, könnten nochmals so viele Arbeitsplätze entstehen.
Im Falle von Borgward würden die Teile aus dem Stammwerk in Peking nach Bremen verschifft. Betriebswirtschaftlich macht das auf den ersten Blick wenig Sinn – wohl aber aus Marketing-Sicht: Mit der Endmontage in der Bundesrepublik kann Borgward den BX7 mit dem Label „Made in Germany“ vermarkten. Experten zufolge werden dabei rund 200 Arbeitsplätze entstehen, wenn in dem neuen Werk 10.000 Fahrzeuge pro Jahr endmontiert werden.
Was Marken erfolgreich macht
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Auch die Zulieferer-Kette nimmt langsam Formen an: Ende November unterzeichnete Borgward einen Vertrag mit dem französischen Zulieferer Faurecia mit dem Ziel, ein gemeinsames Joint-Venture zu gründen. Das neue Unternehmen Borgward Faurecia Auto Systems soll Autositze entwickeln und im chinesischen Tianjin, etwa 120 Kilometer von Peking entfernt, zu produzieren. Zum einem späteren Zeitpunkt ist zudem beabsichtigt, Sitze für in Europa gefertigte Borgward-Modelle zu liefern, wie der Autobauer mitteilte. Langfristiges Ziel sei zudem, dass Faurecia das gesamte Cockpit für Borgward entwickelt.
„Voraussetzungen für Borgward-Erfolg sind grundsätzlich da“
Während Borgward in Europa noch an den Comeback-Plänen arbeitet, ist die Produktion in China schon im vollen Gang. Das 2015 vorgestellte Konzept sah vor, zunächst Marktanteile in China zu gewinnen und von dort aus in die Welt zu expandieren.
Borgward-Chef Walker kennt sich in China gut aus, er hatte zuvor das China-Geschäft von Daimler verantwortet. Im November präsentierte er auf der Automesse in Guangzhou mit dem BX5 das zweite Modell der Marke. Im Pekinger Werk wird derzeit aber nur der größere BX7 gebaut, von dem Walker eine „fünfstellige Zahl“ noch in diesem Jahr absetzen will. Das deckt sich grob mit der Prognose der Experten von IHS Automotive: Die Branchenanalysten gehen davon aus, dass Borgward in diesem Jahr rund 10.000 Autos fertigen wird. 2017 sollen dann knapp 30.000 Fahrzeuge vom Band rollen.
„Die Voraussetzungen für einen Borgward-Erfolg in China sind grundsätzlich da“, sagt Stephan Weiler, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens ROI China. SUV sind im Reich der Mitte inzwischen fast so stark gefragt wie hierzulande, „Made in Germany“ hat einen guten Ruf. Auch wenn die Marke aus Bremen in China wohl nicht einmal ausgewiesenen Autofans ein Begriff ist, sieht der Experte die deutsche Herkunft der Marke eine tragfähige Basis für den Aufbau eines passenden Images. „Gutes Marketing und guter Vertrieb sind für einen Erfolg in China zunehmend wichtiger als die Technik der Fahrzeuge“, so Weiler.
In Europa dürfte das anders sein. Dort müssen dann auch bei Technik und Verarbeitung überzeugen. Und nicht nur mit einem vermeintlich großen Namen. Immerhin: Trotz der über 50-jährigen Pause kennt mehr als jeder zweite Deutsche die Marke Borgward. Wie aus einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Puls aus dem vergangenen Jahr nach Bekanntwerden der Comeback-Pläne hervorgeht, haben knapp 57 Prozent der Teilnehmer schon von der Marke gehört. Bei den Über-50-Jährigen liegt die Quote sogar bei fast 80 Prozent, bei den Unter-30-Jährigen allerdings nur bei 26,6 Prozent. Befragt nach den Marktchancen von Borgward, bezeichneten 29 Prozent der Befragten diese als „sehr gut“ oder „gut“.
Diesen Marken vertrauen die Deutschen
Das größte Markenvertrauen genießt dm: 78 Prozent der insgesamt 1000 Befragten sagen, dass sie von den 90 abgefragten Marken dm am meisten vertrauen. Das ist eine Steigerung von plus 15 Prozentpunkten gegenüber 2014. Und auch bei der Brand Experience – also der positiven Markenwahrnehmung - ist die Drogerie Nummer eins mit 73 Prozent.
Quelle: Brand Experience + Trust Monitor 2015 von Sasserath Munzinger Plus und UDG United Digital Group
Platz zwei belegt die Drogerie-Kette Rossmann: 65 Prozent gaben an, Rossmann sei die Marke, der sie am meisten vertrauen. Dabei konnte Rossmann neun Prozentpunkte gegenüber 2014 zulegen. Und sogar 69 Prozent sagten, sie hätten eine positive Markenwahrnehmung von Rossmann. Dadurch landet die Kette im Bereich Brand Experience ebenfalls auf Platz 2.
Bei Miele gaben 54 Prozent gaben an, die Marke Miele positiv wahrzunehmen – sei es in den (sozialen) Medien, ihrem privaten Umfeld vertrauen oder der eigenen Waschküche. 62 Prozent nannten Miele eine vertrauenswürdige Marke.
Im vergangenen Jahr belegte Nivea noch den ersten Platz im Brand Experience + Trust Monitor. Dieses Jahr reicht es mit einem Wert von 61 Prozent nur für Platz vier. Bei der positiven Markenwahrnehmung schafft es Nivea mit ebenfalls 61 Prozent auf den dritten Platz.
58 Prozent der Befragten gaben an, Sony für vertrauenswürdig zu halten. Das heißt: Platz fünf im Bereich "Trust". Eine positive Markenwahrnehmung hatten allerdings nur 48 Prozent - das reicht nur für Platz 14.
Platz sechs im Bereich Trust geht an Samsung. Diese Marke wird von 55 Prozent der Befragten als vertrauenswürdig genannt. Sogar 59 Prozent nahmen Samsung positiv wahr.
Haribo landet auf Platz sieben. 55 Prozent finden, man könne der Marke vertrauen. Ein positives Image hat Haribo auch: Platz sechs (57 Prozent).
Armaturen der Marke Hansgrohe erscheinen ebenfalls vertrauenerweckend: Platz acht in der Kategorie Trust.
Der Discounter wird von 53 Prozent der Befragten als vertrauenswürdig bewertet. Das genügt im Bereich Trust für Platz neun. Eine positive Markenwahrnehmung von Lidl hatten sogar 57 Prozent. Damit landet Lidl im Bereich positiver Markenwahrnehmung sogar auf Platz sieben.
Edeka finden 53 Prozent der Befragten vertrauenswürdig, 50 Prozent haben ein positives Markenimage de Lebensmittelhändlers. Das bedeutet in beiden Kategorien Platz 10.
Rewe vertrauen 53 Prozent der Befragten (Platz 11). Eine positive Markenwahrnehmung von Rewe haben 50 Prozent der Befragten (Platz neun).
Vertrauen in Aldi Nord und Aldi Süd haben 51 Prozent der Befragten. Etwas weniger nehmen Aldi auch positiv wahr: 49 Prozent. In beiden Fällen ist das Platz 12 in der jeweiligen Kategorie.
Der Marke Henkel vertrauen 51 Prozent der Befragten. Platz 13 in der Kategorie Trust.
51 Prozent vertrauen der Marke Amazon, die auf Platz 14 landet. Eine positive Markenwahrnehmung haben allerdings 59 Prozent. Das bedeutet Platz fünf in der Kategorie Markenwahrnehmung.
Platz 15 im Bereich Vertrauen geht an Bahlsen. 50 Prozent der Befragten vertrauen der Marke. 49 Prozent nehmen Bahlsen als Marke positiv wahr, was für den 11. Platz in der Kategorie Markenwahrnehmung reicht.
Das heißt aber noch lange nicht, dass sie bei einer konkreten Kaufentscheidung auch an Borgward denken. Oder ob ein anfangs sicher lückenhaftes Händlernetz doch vom Kauf abhält. Ähnliches gilt in China, wo der Zusammenhang mit der vermeintlichen Historie des in Fernost nie etablierten Markennamens nur schwer herzustellen sein wird. Denn genau dort müssen sich die neuen Borgwards verkaufen, damit der Plan mit der Expansion nach Europa aufgehen kann. Ob sich – wie von der Unternehmensführung stets verbreitet – wirklich große Käufergruppen erschließen lassen, wird sich erst noch zeigen.
Der Erfolg in China wird entscheidend sein – für die Zentrale in Stuttgart und das Werk in Bremen.