Carsten Breitfeld wirkt müde. Langsam trottet er durch den fußballfeldgroßen Ballroom A im riesigen Mandalay Bay Convention Center in Las Vegas. Gerade haben er und ein paar Dutzend seiner Mitarbeiter wieder stundenlang den Ablauf der Pressekonferenz geprobt. Die Rede, die Fakten, das Licht, den Sound. Fast wie bei den professionellen Unterhaltungsshows überall in den Hotels am Strip muss alles sitzen. Denn heute schaut die ganze Autowelt auf Breitfeld und sein Start-up Byton, nach Tesla wohl das meistbeachtete Auto-Start-up der vergangenen Jahre. „Dabei haben wir noch nicht mal ein Auto verkauft“, sagt Breitfeld.
Aber das soll sich bald ändern. In Rekordzeit, genau ein Jahr nach der Präsentation des ersten Prototypen des Elektro-SUV M-Byte in Las Vegas, präsentiert das Unternehmen aus Nanjing mit Niederlassungen in München und Kalifornien bereits ein Vorserienmodell. Noch Ende 2019 soll die Produktion beginnen – das ist Rekordzeit, normalerweise dauert so etwas drei bis fünf Jahre. Selbst der aggressive Wettbewerber Tesla hat von der Präsentation seiner Studien bis zum Produktionsanlauf immer viel länger gebraucht.
Das Werk in Nanjing sei fast fertig, erzählt Breitfeld, die Finanzierung gesichert; gerade laufe eine dritte Finanzierungsrunde. Sicher, es gibt gut ein Dutzend andere Elektroauto-Start-ups: mehr oder weniger schon vor dem Start gescheiterte Möchtegern-Teslajäger wie Faraday Future, die deutlich erfolgreicheren Aachener Schwester-Start-ups Streetscooter und E.go-Mobile, die Münchner Sono oder Unity aus Schweden. Aber der Ex-BMW-Manager Breitfeld macht es drei Nummern größer: 300.000 E-Autos sollen in Nanjing ab 2020 pro Jahr vom Band laufen, also ähnlich viele wie bei Konzernen wie Daimler, VW und Tesla, die alle mehrere Milliarden Euro im Jahr Umsatz machen.
Möglich sei das nur, erzählt Breitfeld, weil sich in China die Regierung das Thema auf die Fahnen geschrieben habe. „Die verbissene Grundsatzdiskussion, ob Elektro überhaupt die Antriebsart der Zukunft ist oder nicht vielleicht doch noch der Diesel oder Brennstoffzellen, wie sie derzeit in Deutschland tobt, gibt es in China überhaupt nicht“, sagt Breitfeld.
Anders als Tesla wollen sich Breitfeld und sein Team aber nicht über E-Auto-spezifische Leistungsmerkmale wie Reichweite, Schnellladen oder Beschleunigung von der Konkurrenz abheben. Sie denken weiter: Weil Metropolen wie Los Angeles, London, Singapur, Shanghai oder Tokio mehr und mehr auf einen Verkehrskollaps zusteuern ,„wird es gar nicht anders gehen, als das Auto künftig nicht nur elektrisch, sondern auch smart über das mobile Internet gesteuert und vor allem shared zu machen“, sagt Breitfeld.
Shared bedeutet: Nicht mehr eine Person oder ein Unternehmen besitzt ein Auto, sondern mehrere Personen teilen es sich und sorgen so dafür, „dass nicht mehr wertvolle innerstädtische Flächen durch langsam fahrende, haltende oder parkende Autos verstopft werden. Spätestens die nächste Generation Stadtmensch wird erkennen, dass das heutige Auto sie viel zu viel Geld, Zeit und Lebensqualität kostet und ein anderes Mobilitätskonzept von den Autoherstellern verlangen“, ist der Manager überzeugt.
Und darauf will Byton vorbereitet sein. Daher bekommt der Wagen nicht nur ein riesiges Display quer über die ganze Front von A-Säule zu A-Säule und ein in das Lenkrad integriertes iPad. Die Displays spielen dem Fahrer links alle wichtigen Funktionen zum Auto selbst ein, wie Tempo, Ladestand der Batterie oder Licht An/Aus. In der Mitte des 48-Zoll-Displays liegt die riesige Echtzeit-Landkarte des Navis, und rechts hat das Entertainment-System Platz, das auch vom Beifahrersitz aus bedient werden kann. Abhängig von der Zahl der Passagiere und der Fahrsituation passen sich die drei Displayzonen an. Fährt der Fahrer zum Beispiel langsam und sucht sein Ziel, kann die Navi-Karte sich vergrößern und auch den rechten Bildschirmbereich einnehmen; die Entertainment-Displays weichen solange in den Hintergrund.
Bereits die ersten Serien-Bytons werden außerdem 5G-Antennen bekommen, damit die Autos fit sind für das superschnelle mobile Internet. Andere, aufwendige Features ergeben überhaupt nur Sinn, wenn man den Byton als Carsharing-Auto oder Teil einer vielfahrenden Shuttle-Flotte begreift: Künstliche Intelligenz registriert etwa per Gesichtserkennung, welcher der bekannten Fahrer, die sich einen Byton teilen, gerade eingestiegen ist.
Beim Fahren kommen neben klassischen Schaltern und den Touchscreens auch Gesten- und Sprachsteuerung zum Einsatz. Dadurch soll der Fahrer möglichst wenig von Musikanlage, Navi oder Telefon abgelenkt werden. Byton bot in Las Vegas einen kleinen Blick in die (nahe) Zukunft des Autofahrens. Nicht einmal Tesla setzt dabei so konsequent auf aus der Smartphone- und VR-Welt übernommene Mensch-Maschinen-Schnittstellen. Ehrgeizig sind nicht nur der Zeitplan bei Entwicklung und Produktion sowie die zahlreichen technischen Features. Ehrgeizig ist auch der Preis. Nur 40.000 Euro soll die Basisversion des Elektro-SUV mit immerhin 500 Kilometern Reichweite kosten.