Dieselskandal-Verfahren Wenn die Diesel-Richterin mit ihrer Schwester bei Bosch telefoniert

Wenn die Diesel-Richterin mit ihrer Schwester bei Bosch telefoniert Quelle: dpa

Anleger werfen Volkswagen vor, sie zu spät über den Abgasskandal informiert zu haben und fordern nun Schadenersatz. Um zwei Richter dieser Verfahren ist am Landgericht Stuttgart ein beispielloser Streit entflammt.

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Am Landgericht Stuttgart gibt es im Ringen um den lange mit dem Dieselskandal befassten Richter Fabian Richter Reuschle eine überraschende Entwicklung. Im April wurde er für befangen erklärt, nun räumt auch die Juristin das Feld, die dies damals getan hatte: Die Vorsitzende Richterin Silke Benner wechselt zum 1. Juli an eine andere Kammer.

Die Entscheidung des Gerichts über die Versetzung kommt praktisch zeitgleich mit neuen, massiven Vorwürfen des Anlegeranwalts Andreas Tilp gegen Benner und das Landgericht. Benners Schwester ist Juristin bei Bosch. In einer Aktennotiz Reuschles vom 3. Mai 2018 heißt es, die Schwester habe Benner wegen einer Dieselskandal-Klage gegen Bosch angerufen. Benner habe sich nach eigenem Bekunden dann „rein privat zu etwaigen Erfolgsaussichten“ der Klage geäußert und „diese verneint“. Dieser Vorfall, so Tilp, disqualifiziere die Richterin für Dieselskandal-Verfahren. Tilp hat deshalb beantragt, Benner für befangen zu erklären. Eine Gerichtssprecherin sagte der WirtschaftsWoche, Benner habe sich gegenüber der Schwester nicht zu den Erfolgsaussichten der Klage geäußert.

Richter Reuschle hatte den Volkswagen-Eigentümer Porsche SE im Herbst zu 47 Millionen Euro Schadensersatz verurteilt, weil das Unternehmen Anleger zu spät über den Abgasskandal informiert habe. Dies wäre laut Aktienrecht eine Marktmanipulation. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Insgesamt sind wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation knapp 200 Verfahren mit Schadenersatzforderungen von rund eine Milliarde Euro in Stuttgart anhängig. In gleicher Sache wird vor dem Landgericht Braunschweig sogar um über neun Milliarden Euro gestritten.

von Max Haerder, Annina Reimann, Dominik Reintjes, Cordula Tutt

Als anerkannter Experte für Kapitalmarktrecht hatte sich Reuschle tief in die Materie eingearbeitet. Mit seinen Recherchen brachte er nicht nur die Beklagten Volkswagen und Porsche SE gegen sich auf. Auch bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart, bei der er Einsicht in die Ermittlungen verlangte, und beim Stuttgarter Zulieferer Bosch, wo er umfangreiche Akten anforderte, soll er sich Feinde gemacht haben.

Nach den ersten Entscheidungen gegen die Porsche SE wollte er weitere Dutzende Verfahren gegen die Porsche SE und Volkswagen durchziehen – vermutlich mit ähnlichem Urteil. Zudem dürfte nach einer Entscheidung des Stuttgarter Oberlandesgerichts auch Bosch in sein Visier geraten sein. In einem Beschluss des Oberlandesgerichtes vom 1. März 2019 heißt es: Sollten die in einem Verfahren vorgetragenen Fakten stimmen, „dann läge es mehr als nahe“, dass Bosch als Mittäter beim Abgasskandal „die Grenze zur strafbaren Beihilfe überschritten“ habe. Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung lag Reuschle bereits die Klage gegen Bosch vor, über die sich die Vorsitzende Richterin Benner angeblich mit ihre Schwester unterhalten hatte. Den Beschluss des übergeordneten Gerichtes durfte Reuschle als Handlungsauftrag verstehen – sich nun also auch die Bosch-Klage vorzunehmen und der möglichen Beihilfe zum Abgasbetrug nachzugehen.

VW und Porsche hatten alles versucht, um Reuschle als Richter loszuwerden. Immer wieder stellten sie Befangenheitsanträge, scheiterten jedoch zunächst. Im April hatten sie dann Erfolg: Die Kammer der Richterin Benner befand Reuschle für befangen – weil seine Frau ein Auto einer Marke des VW-Konzerns fährt und als Verbraucherin Schadenersatz wegen der Abgasmanipulationen verlangt.

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