Folgen eines harten Brexits Die britische Autoindustrie kennt nur Verlierer

Harter Brexit: Die britische Autoindustrie kennt nur Verlierer Quelle: imago images

Eine Studie zeigt: Ein harter Brexit würde die britische Autoindustrie irreparabel beschädigen. Die Lieferketten sind extrem eng mit der EU verzahnt – vor allem Zulieferer würden außer Landes gejagt, so die Analysten.

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Am Dienstag soll das britische Parlament erneut über den Ausstiegsvertrag verhandeln, den Premierministerin Theresa May mit der EU ausgehandelt hat. Zwei Mal schon haben die Parlamentarier das Vertragswerk verworfen, wenn auch vergangene Woche nicht mehr ganz so deutlich wie beim ersten Mal im Januar. Einigen sich die Parlamentarier auch diesmal nicht, droht ein harter Brexit, also ein Austritt Großbritanniens aus der EU ohne vertragliche Basis. Bereits am 29. März wäre es soweit.

Für die britische Autoindustrie hätte ein solches No-Deal-Szenario verheerende Folgen. Das zeigt eine Analyse der auf die Automobilbranche spezialisierten Unternehmensberatung Berylls, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt.

„Die britische Automobilindustrie ist besonders eng mit Europa verwoben. Ihr drohen nicht nur die auch in anderen Branchen zu erwartenden unvermeidlichen Reibungsverluste, etwa durch neu eingeführte Grenzkontrollen. Darüber hinaus drohen nachhaltige Auswirkungen durch eine mögliche Abwertung des britischen Pfunds und durch Zölle, die die Wertschöpfungsketten der Autoindustrie besonders belasten“, heißt es in der Studie. Großbritannien sei ein „Schlüsselland“ für viele amerikanische, asiatische und europäische Hersteller sowie deren Zulieferer. Diese könnten kurzfristig bereits geplante Investitionen in Großbritannien kippen und langfristig abwandern.

Für die britische Autoindustrie hätte ein

Britischer Autosektor eng ins EU-Autonetzwerk eingebunden

Der Brexit treffe das Land und seine Autoindustrie in „einer Zeit, die durch das abflauende Marktwachstum in China und strukturelle Herausforderungen wie den Umbau zur E-Mobilität ohnehin zu kämpfen“ habe. In Großbritannien gibt es 25 Automobilwerke. Die Produktion ist überwiegend exportorientiert: 54 Prozent der im Vereinigten Königreich jährlich produzierten 1,7 Millionen Fahrzeuge gehen in die EU; weitere 26 Prozent werden in Nicht-EU-Länder teilweise über Handelsabkommen mit der EU exportiert. Die Briten selbst kaufen mehrheitlich importierte Autos: Mehr als 80 Prozent der 2,6 Millionen Neuzulassungen kommen aus der EU. Nur 400.000 Pkw werden in Großbritannien gebaut und dort auch zugelassen, so die Berylls-Analysten.

Besonders mit der EU verwoben ist auch die Zulieferindustrie. „Hinter den 25 Fahrzeugwerken stehen sehr komplexe, extrem eng verzahnte Lieferketten“, sagt Arthur Kipferler, Partner bei Berylls. Die einzelnen Fahrzeugkomponenten durchlaufen in der Regel mehrere Zuliefererebenen über mehrere Grenzen hinweg, und kehren manchmal mehrmals in dasselbe Land zurück. Großbritannien selbst ist nur ein Baustein dieses Netzes. Mehr als 60 Prozent der 9,2 Milliarden Euro teuren Komponenten der über 2500 britischen Zulieferer sind für den Kontinent bestimmt. Gleichzeitig stammen 79 Prozent der jährlich im Wert von 16 Milliarden Euro importierten Komponenten aus EU-Ländern. Die starke grenzüberschreitende Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage, sowohl bei Komponenten als auch bei fertigen Fahrzeugen, mache den britischen Automobilsektor zu einem der am engsten mit der EU integrierten Sektoren.

Brexit kann an den Grundfesten der britischen Automobilindustrie rütteln

„Die nahtlose EU-Anbindung ist das wichtigste Argument für Großbritannien als Autostandort. Die Entscheidung, die EU zu verlassen, hat das Potenzial, dieses Argument zu eliminieren“, sagt Kipferler. Die meisten Investitionsentscheidungen der vergangenen Jahre würden in einem No-Deal-Szenario gekippt, die Investitionen wohl in anderen EU-Ländern getätigt, meinen die Berylls-Analysten.

Vor allem Zulieferer würden außer Landes gejagt. Der Rückfall bei derart vielen Komponenten und Teilkomponenten auf WTO-Regeln würde den täglichen Betrieb der Automobilhersteller und ihrer Zulieferer spürbar erschweren. Dazu gehören der Papierkrieg und die Wartezeiten an den Grenzübergängen, die Notwendigkeit von Aufenthaltsgenehmigungen für Fachkräfte, die Anpassung an grenzüberschreitende Datenschutzregelungen und die Sicherstellung von wechselseitigen Homologationen (technische Zulassungen im jeweils anderen Land).

Weitere Gefahren drohten durch die zu erwartende Abwertung des britischen Pfunds. Wegen der Brexit-Gefahr verlor das Pfund bereits sechs beziehungsweise zehn Prozent gegenüber dem Dollar respektive dem Euro. Da die Hauptquartiere der meisten Hersteller außerhalb Großbritanniens liegen, sind diese Automobilhersteller den Währungseinflüssen auf ihre Umsätze in Großbritannien ausgeliefert.

Auch Absicherungsgeschäfte (Währungs-Hedging) sehen die Berylls-Analysten kritisch: „Solche Geschäfte sind teuer, bleiben zeitlich begrenzt und würden reduzierte UK-Renditen nicht verhindern können“, schreiben sie. Zwar würden in Großbritannien hergestellte Autos und Zulieferteile dadurch günstiger. Da Hersteller mit britischer Produktion jedoch nur zwischen 20 und 50 Prozent ihrer Komponenten lokal beschaffen, ist der negative Effekt durch die abgewerteten Auslandsumsätze weit größer als das inländische Sparpotenzial. Hersteller OEMs mit großen Marktanteilen in Großbritannien, die aber wenig bis gar keine inländische Teile verwenden, werden am meisten leiden.

Es gibt beim Brexit nur Verlierer

Hinzu kämen dann die nach WTO-Regeln vorgesehen zehn Prozent Zoll, die derzeit auch auf japanische, amerikanische oder Autos erhoben werden. Während einige US-Hersteller wie Ford von ähnlichen Plänen des US-Präsidenten Donald Trump indirekt profitieren könnten, weil die Produkte ausländischer Wettbewerber teurer würden, gebe es in England „keinen einzigen real existierenden heimischen Autohersteller, der von einem solchen protektionistischen Szenario profitieren würde“, so Berylls-Partner Kipferler.

Importeure wie Daimler, VW oder Ford müssten mit Zöllen auf ihre fertigen Autos rechnen. Britische Werke, die Komponenten aus dem Ausland beziehen und ihre fertigen Autos exportieren, wie Jaguar/LandRover und Aston Martin, müssten Zölle auf importierte Teile und Komponenten berappen. Und Hersteller, die viel in UK produzieren aber den Großteil ihrer Autoproduktion exportieren, wie BMW/Mini, Honda oder Nissan, zahlten ebenfalls Zölle auf die fertigen Autos.

„Besonders japanische Hersteller, die in Großbritannien ihre Werke in erster Linie gebaut haben, um freien Zugang zum europäischen Markt zu haben, könnten ihre Produktion verlagern“, heißt es in der Studie. Viele einzelne Modelle dieser Hersteller würden intern zu Verlustbringern, etwa der Nissan Qashqai.

Einige Hersteller wollen offenbar nicht mehr darauf warten, welchen Deal die britischen Parlamentarier noch zuwege bringen. BMW kündigte vergangene Woche bereits an, Teile der Motorenfertigung in das österreichische Steyr zu verlagern.

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