Ökonom Enzo Weber „Eine Dreimannbude wird sich nicht an Tarifverträge binden“

Quelle: dpa

Ökonom Enzo Weber ist über die ökonomische Lage der IG Metall besorgt. Die Autoindustrie ist im Umbruch, Deutschlands mächtigste Industriegewerkschaft geschwächt. Im Interview erklärt er, warum Start-ups keine Tarifverträge eingehen und Tesla zu sehr gehypt wird.

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Enzo Weber ist Professor am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und leitet den Forschungsbereich für Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen. Zugleich ist er Inhaber eines Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Regenburg.

WirtschaftsWoche: Herr Weber, viele Branchen, in denen die IG Metall traditionell stark ist, sind stark von Corona betroffen. Wie wirkt sich das auf die ökonomische Lage der IG Metall aus?
Enzo Weber: Die traditionellen Branchen der IG Metall sind ohnehin im Umbruch. Damit meine ich etwa die Transformation der Automobilindustrie, bei der  es nicht nur um Elektromobilität, sondern eine grundsätzliche Veränderung des Mobilitätsverhaltens geht. Die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe ist deutlich im Minus, die Industrie war schon seit zwei Jahren im Abschwung. Corona hat das verschärft. Hinzu kommt die Digitalisierung, unter dem Stichwort Industrie 4.0. geht es vor allem um intelligentere Vernetzung. Das beeinflusst angestammte Produktionsweisen und wirkt sich auf die Arbeitsplätze aus. Insgesamt erwarten wir dadurch zwar nicht weniger Beschäftigung, aber gerade angestammte Facharbeiterbereiche stehen vor deutlichen Veränderungen.

Nimmt der Einfluss der IG Metall dadurch ab?
Seit langem geht die Tarifbindung zurück. Gerade junge Unternehmen nehmen Gewerkschaften oft als langsam und umständlich wahr. Vielen kommt es gar nicht in den Sinn, gewerkschaftliche Bindungen einzugehen. Gerade in Start-ups ist der Kontakt mit den Mitarbeitern einfach, eine gesonderte Interessenvertretung ist selten. Eine Dreimannbude wird sich kaum an einen Tarifvertrag binden. Wächst das Start-up jedoch, können Tarifverträge interessanter werden. Für die Arbeitnehmer ist eine Mitgliedschaft in der IG Metall schon aus sozialen Gründen attraktiv.

von Angela Hennersdorf, Hannah Krolle, Bert Losse, Andreas Macho, Annina Reimann, Martin Seiwert

Was kann Deutschlands mächtigste Industriegesellschaft tun, um Macht und Einfluss zurückzugewinnen?
Die IG Metall ist noch immer ein erheblicher Faktor in der deutschen Wirtschaft. Mittlerweile sind Fachkräfte oft Mangelware, das wird auch nach Corona so bleiben. Da müssen sich Arbeitgeber Gedanken machen, wie sie qualifizierte Mitarbeiter anwerben, zum Beispiel durch flexible Arbeitszeiten. Gewerkschaften gewinnen an Verhandlungsmacht zurück.

Reicht das, um einem US-Konzern wie Tesla die Stirn zu bieten?
Soweit es um den deutschen Tesla-Standort geht, sollte die IG Metall Tesla genauso behandeln wie jeden anderen Unternehmer der Automobilindustrie auch. Tesla hat in Brandenburg Milliarden investiert. Der Konzern hat sich bewusst für einen Standort in Deutschland entschieden. Wenn es Tesla nur um flexible, billige Angestellten ginge, könnte man nach China gehen. Auch Tesla produziert Autos, so schnittig und locker das Unternehmer daherkommt. Und dafür sind Fachkräfte nötig, wie in den anderen Automobilkonzernen auch.

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Gegenüber neuen technologischen Entwicklungen können bestehende Organisationen, wie die IG Metall, leicht althergebracht wirken. Doch sie ist sich der Herausforderungen bewusst und ergreift deshalb konkrete Maßnahmen, etwa bei der Plattformwirtschaft, der Qualifizierung oder der Transformation von Automobilzulieferern. Das könnte auch international Strahlkraft haben. Doch zunächst muss das Geschäft zu Hause funktionieren.

Mehr zum Thema: Die technologischen Umbrüche in ihren Kernbranchen setzen die IG Metall unter Druck. Um ihre Macht zu sichern, wirbt Deutschlands größte Gewerkschaft verstärkt um Akademiker – und mischt sich immer häufiger in die Strategie von Unternehmen ein.

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