
Mit dem rechten Fuß einen Wiegeschritt nach vorn, mit dem linken einen schnellen Seitwärtsschritt nach links. Die Knie beugen sich leicht, der Oberkörper senkt sich erst nach vorn, um sich dann nach links zu drehen. Annette Winkler tanzt vor einem giftgrünen Smart Fortwo in Brabus-Ausführung, den sie kurz zuvor mit quietschenden Reifen auf die Bühne gefahren hat. Der Zweisitzer soll, so wirbt Smart, für Agilität, Lebensfreude, Cleverness stehen.
Alles Eigenschaften, die auch für die Smart-Chefin gelten. Nur zwei Minuten dauert ihr Auftritt im April auf der Shanghai Motor-Show, mit dem die 55-Jährige das junge chinesische Großstadtpublikum für den putzigen Kleinwagen zu gewinnen sucht – mit Händen und Füßen und einer Rede, bei der sie die Worte ohne Punkt und Komma aneinanderreiht und den Teleprompter ignoriert.





Nichts davon wirkt einstudiert, nicht einmal die Sätze in Chinesisch, die ihre Referenten eingebaut haben. „Das, was die einnimmt, hätte ich auch gerne“, raunt ein mitgereister Mercedes-Manager seinem Kollegen zu, als Winkler nach ihrem Auftritt unter Applaus auf die Ehrentribüne strebt, wo man ihr zwischen Konzernchef Dieter Zetsche und China-Vorstand Hubertus Troska einen Platz reserviert hat.
Winkler könnte zweite Frau im Daimler-Vorstand werden
Voller Einsatz mit ganzer Kraft und allen Sinnen, notfalls rund um die Uhr, und wenn es notwendig ist, auch schon mal sieben Tage in der Woche: Winkler hat es damit weit gebracht in der deutschen Autoindustrie. Genau genommen auf die Hierarchiestufe E1 des Daimler-Konzerns – darüber rangieren nur noch die Vorstände. Und für Insider des Konzerns gibt es keine Zweifel: Sollte es Winkler schaffen, aus Smart ein stabiles Profitcenter zu machen, ist ihr ein Platz im Vorstand nicht mehr zu verwehren. Im achtköpfigen Führungsgremium des Autokonzerns ist mit Christine Hohmann-Dennhardt – zuständig für Integrität und Recht – bislang nur eine einzige Frau vertreten. Und der langjährige Verlustbringer Smart wurde 2006 im Geschäftsfeld Mercedes-Benz Cars versteckt. Winkler könnte hier wie da die Wende einleiten.
Seit bald 22 Jahren steht die gebürtige Wiesbadenerin in den Diensten des Daimler-Konzerns. Und seit bald vier Jahren führt sie die Kleinstwagenmarke, die in den Siebzigerjahren von Mercedes-Ingenieuren als „Teil eines neu konzipierten optimalen Verkehrssystems“ erdacht wurde. Das war zwar technisch gesehen sehr visionär, betriebswirtschaftlich allerdings keine so eine gute Idee: Zehn Milliarden Euro hat der Autozwerg den Konzern angeblich bis heute gekostet.
Was Renault und Smart in die Kleinwagen-Kooperation einbringen
Der Smart Fortwo wird wie bisher in Hambach montiert. Den viertürigen Smart und den Twingo baut Renault.
Smart und Twingo haben ABS und ESP als Standard. Gegen Aufpreis gibt es auch ein Notbremssystem.
Heckantrieb ist typisch Smart. Nun kriegt ihn auch der Twingo. Die Drei-Zylinder-Motoren baut Renault.
Dieses Problem verschaffte Winkler im Jahr 2010 den Job. Sie war Zetsche da schon länger als bekennender Smart-Fan bekannt. „Smart war für mich immer mehr als ein Produkt. Ich habe vor allem die Idee dahinter gesehen“, sagt sie. Als Zetsche die Kleinwagensparte 2010 wieder zu einem eigenständigen Produktbereich machte, übergab er deren Führung an Winkler.
Sie war gewissermaßen das letzte Aufgebot. Inzwischen aber hat sich das Blatt gewendet: Unter Winklers Führung ist Smart zu einer Zugmaschine von Mercedes Benz Cars geworden. Im ersten Halbjahr kletterte der weltweite Verkauf der Marke um knapp 33 Prozent auf über 62.000 Fahrzeuge – die neuen Modelle und der Winkler-Faktor zeigen Wirkung.
Das unheimliche Energiebündel
Es ist früher Abend nach einem anstrengenden Messetag, der gefüllt war mit Sitzungen und Besprechungen, Gesprächen mit Händlern und Entwicklungspartnern sowie einer Reihe Interviews. Mancher wäre jetzt erschöpft, würde sich jetzt eine Verschnaufpause gönnen, für ein paar Minuten abschalten. Bei Winkler jedoch gibt es keine Anzeichen dafür. Das Kostüm sitzt so akkurat wie die Frisur. Und die Diskussion mit ihr über die Entwicklung der Marke zeigt: Sie ist immer noch hellwach.
So ist sie, sagen Freunde und Wegbegleiter. „Sie ist ein unheimliches Energiebündel. In ihrer Gegenwart kann man kaum einmal durchatmen“, stöhnt ein Manager, der sie seit vielen Jahren begleitet. „Sie ist eine ungeheuer ehrgeizige Frau, die für ihre Sache brennt und ihre Anliegen mit ungeheurer Energie durchzusetzen versteht“, erzählt ein anderer, der sie noch aus der Zeit kennt, als sie zwischen 1997 und 1999 die Mercedes-Niederlassung in Braunschweig auf Vordermann brachte.