Aufregung unter Bankkunden Wer höhere Bankgebühren nicht akzeptiert, riskiert die Kündigung

Schweigen sei keine Zustimmung, entschied der Bundesgerichtshof im April. Viele Geldhäuser gerieten dadurch in Zugzwang. Quelle: Marcel Stahn

Nach einem BGH-Urteil müssen viele Banken nachträglich um Zustimmung zu Gebührenerhöhungen bitten. Kunden, die nicht einwilligen, droht die ING jetzt mit Kündigungen. Andere Geldhäuser dürften es ähnlich handhaben.

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Es war eigentlich ein Sieg für Bankkunden, doch jetzt zeigen sich seine Schattenseiten: Ende April entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass Banken bei Änderungen ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die Zustimmung ihrer Kunden einholen müssen. Die verbreitete Praxis, Schweigen schlicht als Zustimmung zu werten, sei nicht rechtens. Kunden bekamen so Anspruch auf Rückzahlung von Gebühren, wenn sie entsprechenden AGB-Änderungen nicht explizit zugestimmt hatten.

Banken gerieten damit in Zugzwang. Viele von ihnen müssen Kunden deshalb jetzt um Zustimmung zu ihren aktuellen Gebühren und Konditionen bitten – so auch die ING Deutschland, früher als ING-DiBa bekannt. Das Tochterunternehmen der niederländischen Großbank ING Groep hatte erst im Mai 2020 Kontoführungsgebühren eingeführt, kurz darauf kündigte es einen Negativzins für Kontostände über 50.000 Euro an. In Folge des BGH-Urteils setzte es die Gebühren aus und legte die Strafzinspläne auf Eis. Nun kündigte ING-Deutschland-Chef Nick Jue gegenüber der Nachrichtenagentur dpa an, ab Ende November die Zustimmung „zu unseren geänderten AGB sowie dem Verwahrentgelt“ nachträglich einzuholen. Man werde „alles machen, um die Zustimmung der Kunden zu bekommen.“ Und: „Bei Kunden, die nicht zustimmen, behalten wir uns eine Kündigung der Konten vor.“

Die Aufregung unter den Kunden ist nun groß. „Das nennt man dann Erpressung“, schrieb ein ING-Kunde dazu am Dienstag auf Facebook. Und tatsächlich ist es ein ungewohnt rauer Ton, den der ING-Deutschland-Chef gegenüber der eigenen Kundschaft anschlägt. In der Sache allerdings ist Jue vielleicht nur ehrlicher als andere. Schließlich werden es Banken kaum ihren Kunden überlassen können, ob die höhere Gebühren zahlen möchten - oder doch lieber an den alten, günstigeren Konditionen festhalten. 

Der Vorstoß passt ins Bild: Banken neigen im Niedrigzinsumfeld zunehmend dazu, ihre Kunden mit Druck zum gewünschten Verhalten zu bringen. So verlangen einige Banken, vor allem Sparkassen, von wohlhabenden Kunden nicht mehr nur Negativzinsen, sondern drohen gar mit Kündigung, wenn die ihre hohen Rücklagen nicht so anlegen, wie es der Bank passt. Auch hier ist der Grund für die Kündigungsdrohung ein rechtlicher: Auf Sparkonten, so die Mehrheitsmeinung unter Juristen, dürfen Banken keine Strafzinsen verlangen

Jetzt könnte der Streit um die Gebühren zur Kündigung führen. Die anderen Kreditinstitute, die vom BGH-Urteil betroffen sind, üben sich öffentlich in Zurückhaltung – noch. Entsprechend des BGH-Urteils vom April hole man derzeit bei allen Kunden von Deutsche Bank, Postbank und Norisbank ausdrückliche schriftliche Genehmigungen für Preise und sonstige Vertragskonditionen ein, sagt ein Sprecher des Deutsche-Bank-Konzerns der WirtschaftsWoche. Man gehe von einer Zustimmung der Kunden aus. Auf die Nachfrage nach potenziellen Kündigungen reagiert er abwehrend. „Ich sage nur so viel: Wir sind generell bestrebt, mit allen Kunden weiter zusammenzuarbeiten.“

Die Commerzbank-Tochter Comdirect hatte eine geplante Preiserhöhung nach dem BGH-Urteil im April kurzfristig vertagt. Ab November will die Bank die neue Girokontoführungsgebühr nun durchsetzen. Bereits im August ließ sie ihren Kunden deshalb ein 88-seitiges Schreiben zukommen. „Bitte stimmen Sie den neuen Bedingungen und Preisen zu“, heißt es darin. Und wenn ein Kunde nicht einwilligt? „Dann müssen wir sehen, wie wir damit umgehen“, sagt eine Sprecherin des Geldhauses. „Wir hoffen, dass möglichst alle Kunden zustimmen.“

Die meisten Banken sind offenbar sehr bemüht, das böse K-Wort zu meiden. Noch steht ING-Deutschland-Chef Jue mit seiner expliziten Kündigungsdrohung in der Branche weitgehend allein da. Fraglich ist nur, ob das lange so bleibt. Denn: Dass auch andere Kreditinstitute der Devise ‚Zustimmung oder Kündigung‘ folgen werden, erscheint sehr wahrscheinlich. Rechtlich steht ihnen das zu: Banken dürfen Verträge über Girokonten jederzeit ohne Angabe von Gründen kündigen – auch das entschied 2013 der Bundesgerichtshof. Nur die Sparkassen, die öffentlich-rechtlich organisiert sind, müssen für eine Kündigung einen „sachgerechten Grund“ vorweisen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) hatte das AGB-Urteil des Bundesgerichtshofs im April mit einer Klage gegen die Postbank in die Wege geleitet. Er sprach seinerzeit von einem „guten Urteil für Verbraucher mit Signalwirkung für die gesamte Bankbranche“. Fünf Monate später fällt das Zwischenfazit der Verbraucherschützer durchwachsen aus. Die Reaktionen der Banken seien sehr unterschiedlich, sagt David Bode vom Team Rechtsdurchsetzung des VZBV. Es gebe aber „einige Fälle, die besonders negativ auffallen“. Man habe deshalb auch schon einige Abmahnungen an Banken verschicken müssen.

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Dabei geht es nicht um Kündigungsdrohungen. Der Verbraucherschützer berichtet von anderen Methoden, mit denen die Geldinstitute Kunden zu einer Unterschrift bringen wollen. In einem Fall etwa sei im Online-Banking-Bereich eines Kreditinstituts plötzlich ein Pop-up-Fenster aufgetaucht. Um ihre vertraglich vereinbarten Onlinebanking-Dienste weiter nutzen zu können, waren Kunden gezwungen, dort eine rechtsverbindliche Erklärung zu den aktuellen Preisen und Bedingungen abzugeben. 

Und wenn nicht?

Mehr zum Thema: Durch das Urteil des BGH zu den Bankgebühren, drohen Kreditinstituten Zurückzahlungen an die Kunden. Verbraucherschützer Müller fordert die Institute auf, das Urteil zu erfüllen.

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