Computerspiele Crytek - Frankfurter Schmiede für Killersoftware

Die Frankfurter Software-Schmiede Crytek gehört zu den wenigen deutschen Spieleherstellern. Inzwischen nutzen auch Unternehmen das Know-how.

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Til Schweiger und Ralf Möller Quelle: REUTERS

Sanft wiegen sich Palmen im Wind, darunter schwappen Wellen an den Traumstrand der kleinen Insel im Südpazifik. Lange währt das Idyll nicht – plötzlich rattern Maschinengewehre los, überall tauchen bis an die Zähne bewaffnete Söldner auf, ein wilder Kampf beginnt.

Willkommen bei „Far Cry“, einem der beliebtesten Action-Computerspiele der vergangenen Jahre. Der Erfolg des mitunter reichlich brutalen Werks, das sich weltweit mehr als 2,5 Millionen Mal verkauft hat, war in der Computerspiel-Gemeinde eine Sensation – denn das Spiel wurde von der kleinen Spieleschmiede Crytek in Frankfurt am Main entwickelt. PC-Nerds, die zwischen Shanghai und Manhattan am Computer daddeln, finden Videospiele made in Germany normalerweise dröge und viel zu kompliziert. Doch bei „Far Cry“ ist das anders. Das Actionspektakel schaffte sogar den Sprung auf die ganz große Leinwand. Derzeit läuft die Verfilmung mit den beiden deutschen Mimen Til Schweiger und Ralph Möller in den Kinos.

Der brutale Action-Hit made in Germany ist eine Ausnahme; Riesen wie Electronic Arts oder Ubisoft drücken auf dem 50-Milliarden-Dollar-Markt hiesige Anbieter an die Wand. „Far Cry“ stammt von den drei türkischstämmigen Frankfurter Brüdern Avni, Cevat und Faruk Yerli, deren Büros im dritten Stock eines Backsteingebäudes in der Hanauer Landstraße liegen. Sie überzeugten die Fans mit so realistischen Videos, dass nun auch Unternehmen das Programm nutzen, etwa um Schweizer Uhrwerke, Ölplattformen oder französische Innenstädte virtuell zum Leben zu erwecken. Die dreidimensionalen Simulationen eröffnen Crytek ein ganz neues Geschäftsfeld.

Die eigene Grafiksoftware ist das Herzstück des Erfolgs

Den Anstoß für die kommerzielle Nutzung des digitalen Gemetzels gab Jean-Baptiste Reynes. Der Franzose war vor vier Jahren begeistert, als er „Far Cry“ in seinen Rechner schob. Reynes ist Architekt in Nizza und spielt in seiner Freizeit mit Begeisterung Videospiele. Wenn er Gebäude am Computer plant, ärgert sich der 38-Jährige immer wieder darüber, dass die Simulationen nicht halb so gut aussehen wie im Computerspiel. „Es gibt keine professionelle Software, die so gut ist wie die Cry-Engine“, sagt Architekt Reynes. Er meint damit das Grafikprogramm, das die Frankfurter für ihre Spiele entwickelt haben – das Herzstück ihres Erfolges.

Zwar kann Reynes mit teuren Profiprogrammen auch dreidimensionale Animationen entwickeln. Aber: Wenn die erst einmal fertig sind, lassen sie sich nur mit großem Aufwand wieder verändern. Ganz anders dagegen das Programm der Spielehersteller vom Main, wie Crytek-Mitarbeiter Sascha Gundlach zeigt. Er steht vor seinem Monitor und wählt als Hintergrund eine Küstenlandschaft. Dann lässt er mit wenigen Mausklicks eine Insel aus dem Wasser wachsen, davor schaukeln täuschend echte, digital bewegte Wellen. Mit einem Schieberegler lässt Gundlach die Sonne nach Belieben auf und wieder untergehen, Palmen und Berge werfen im Rhythmus seiner Finger ihre Schatten.

Diese Veränderungsmöglichkeiten in Echtzeit begeisterten Architekt Reynes. „Man kann am Computer endlich die Wirkung von Licht und Wetter darstellen“, schwärmt der Franzose. Mit seiner Firma Imagtp aus Nizza vereinbarte er daher eine Kooperation mit Crytek. Imagtp simulierte zum Beispiel für den französischen Verkehrskonzern Veolia die Innenstadt von Nizza, wo sich das Unternehmen um den Betrieb einer neue Straßenbahn beworben hatte. Veolia gewann die Ausschreibung und Reynes einen neuen Kunden: Für neue Projekte von Veolia simulieren die Franzosen den Strip in Las Vegas sowie Straßenbahnen auf Réunion im Indischen Ozean.

Für Crytek ist es eine wichtige Einnahmequelle geworden, anderen Unternehmen die eigene Software zur Verfügung zu stellen. Im vorigen Jahr setzte das Unternehmen gut 20 Millionen Euro um. In diesem Jahr will das Frankfurter Unternehmen bereits 30 Prozent der Umsätze mit solchen Lizenzgeschäften erzielen. Der Großteil davon stammt zwar von anderen Spieleherstellern, die gerne auf die Grafik zurückgreifen, doch das Interesse branchenfremder Unternehmen wächst.

Crytek räumt alle Preise ab

Die Yerli-Brüder Avni, 38, Faruk, 39, und Cevat, 30.

„Wir können uns mit solchen Projekten ein komplett neues Standbein aufbauen“, sagt Faruk Yerli, der sich mit seinem Bruder Avni bei Crytek um die Finanzen kümmert. Derzeit arbeitet Crytek an einem Pilotprojekt mit einem großen deutschen Autobauer. Von der Entwicklung hängt es ab, wie es mit den Industrieanwendungen weitergeht – hebt das Projekt ab, planen die Yerli-Brüder, eine Tochterfirma für solche Projekte zu gründen. „Denn wir wollen natürlich unseren Fokus als Spieleentwickler nicht verlieren“, sagt Faruk Yerli.

Sein Bruder Cevat hatte schon im Alter von zwölf Jahren ein erstes Spiel selber programmiert, und während seine sieben und acht Jahre älteren Brüder eine Werbeagentur gründeten oder Bauingenieurwesen studierten, frickelte Cevat weiter an seinen Spielen. Kurz vor der Jahrtausendwende, Cevat war inzwischen 21 Jahre alt, war es soweit: Ideen und Entwürfe für „Far Cry“ versprachen Erfolg, Faruk und Avni hängten ihre Jobs an den Nagel und gründeten mit ihrem kleinen Bruder die Firma Crytek. Das Startkapital in Höhe von damals 25.000 Mark – also gut 12.500 Euro – streckte die Familie vor, denn keine Bank wollte den drei Einwandererkindern Geld für die Entwicklung eines Ballerspiels geben.

Heute bewegen sich die drei in anderen Sphären. Für die Filmrechte an „Far Cry“ bezahlte ihnen der deutsche Filmemacher Uwe Boll etwa 200.000 Euro. „Es war imposant, das Spiel in den Computer zu schieben“, erinnert sich Boll, „die Jungs sind die innovativsten deutschen Gamedesigner und haben zu Recht alle Preise abgeräumt.“ Boll muss es wissen, immerhin hat er bald ein Dutzend Videospiele verfilmt – nicht immer zur Freude der Spieler. Der Regisseur ist berüchtigt für seine Spielfilme; zwei Mal war Boll für den Anti-Oscar „Goldene Himbeere“ als schlechtester Regisseur nominiert. „Uns war klar, dass es nicht der anspruchsvollste Film wird“, sagt Avni Yerli und lacht. Trotzdem ist er stolz darauf, dass sein Werk nun im Kino zu sehen ist.

Dass ihre Software nicht allein für skurrile Verfilmungen Pate steht, sondern auch von seriösen Unternehmen genutzt wird, daran arbeiten die Brüder nun mit Nachdruck. So hat der Schweizer Uhrenhersteller Cabestan mithilfe der Frankfurter für Werbefilme ein komplexes Uhrwerk nachgebildet. Die London der Architekten Foster & Partners simulieren Pariser Bürotürme oder den Bryant Park in New York. Auch große Ölkonzerne wie Total nutzen die Crytek-Software. Ihre Raffinerien, Ölförderplattformen oder der genaue Verlauf von Pipelines können damit am Rechner detailgetreu nachgebildet werden. Genaueres verraten die Yerlis nicht, das Geschäft sei „hochsensibel“. Sogar die Folgen möglicher Terroranschläge auf die Ölindustrie könnten am Bildschirm durchgespielt werden. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt – spektakuläre Explosionen gehören bei Crytek schließlich zum Standardrepertoire.

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