Der Bergsee liegt ruhig und glitzernd da, weißer Nebel schiebt sich über die Bergkuppen Richtung Wasser. Einige hundert Meter weiter grasen die Kühe an den Hängen, das Glockengeläut klingt auf den Parkplatz herüber. Der perfekte Platz, mitten in den Tiroler Alpen. Zwei andere Vans und ein Wohnmobil stehen hier schon, aber der Parkplatz ist groß und geräumig, alle genießen die Aussicht und die Ruhe. Dann biegt der nächste Camper von der Straße auf den Platz ein.
Ein Fahrzeug, das gleichzeitig ein mobile Ferienwohnung ist, davon träumen viele Deutsche. Sie wollen Natur erfahren und die Landschaft erkunden, fern von Menschenmassen, durchgelegenen Hotelmatratzen, vor allem aber von Reisebeschränkungen und Lockdowns. Die Coronapandemie hat dazu geführt, dass die Deutschen ihre Liebe zu Wohnmobilen und Campingvans wiederentdecken. Die Branche erlebt einen nie dagewesenen Nachfrageansturm.
Auf dem Caravan Salon in Düsseldorf trifft sich die Branche und feiert die vollen Auftragsbücher: Laut Zahlen des Caravaning Industrie Verbands (CIVD) wurden bereits bis Juli in Deutschland 75.000 neue Wohnmobile und Caravans zugelassen, sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Und schon damals war die Nachfrage in die Höhe geschnellt. Viele Modelle sind auf Jahre ausverkauft, die Preise für neue Modelle steigen.
Gleichzeitig bauen Tausende von Millenials Kastenwagen und VW-Busse mit Futonmatratzen und Spannholzschränken zu eigenen Campingvans um und feiern ihre neue Freiheit auf Instagram, Pinterest und Youtube mit dem #Vanlife. Nur hat der Trend auch seine Schattenseiten. Nicht überall sind Wohnmobilisten und Camper gern gesehene Gäste – insbesondere Wildcamper.
Manche Regionen sind mit dem Andrang schlicht überfordert. Im Allgäu, am Bodensee oder auf den Nordseeinseln meldeten Campingplatzbetreiber in den Sommerferien Auslastungen am Limit. Vor einem Feiertagswochenende warnen viele schon auf ihren Homepages: „Wir sind ausgebucht.“ „Da die Verteilung der Gäste sehr ungleich ist, leiden einige Regionen tatsächlich unter einem Camping-Overtourism“, sagt auch Christian Günther, Geschäftsführer des Bundesverbands der Campingwirtschaft.
Zwar wuchs auch die Zahl der Camping- und Stellplätze in Deutschland in den vergangenen Jahren – nach Auskunft des Bundesverbands der Campingwirtschaft gibt es heute deutschlandweit 230.000 Standplätze. Allerdings wuchs der Fahrzeugbestand schneller. Und insbesondere während der Coronapandemie blieben viele Camper auch in Deutschland, statt Landesgrenzen zu überqueren.
Im vergangenen August kamen die deutschen Camper und Wohnmobilisten auf 9,15 Millionen Übernachtungen – das ist Rekord. Trotzdem, rein rechnerisch seien die deutschen Campingplätze damit in der Spitze nur zur Hälfte belegt, sagt Günther. Oft fänden sich daher wenige Kilometer weiter wieder freie Kapazitäten. „Betriebe und Destinationen vor Ort sind also gefragt, die Verfügbarkeiten sichtbar zu machen und besser zu kommunizieren“, sagt er.
Als problematischer gilt aber, dass viele Camper mittlerweile auf den passenden Campingplatz verzichten und lieber frei stehen. Angetrieben von den sozialen Netzwerken gilt es mittlerweile als Sport, den schönsten und unberührtesten Übernachtungsort zu finden. Doch weil es dort an Infrastruktur oder den Campern an Anstand fehlt, sammeln sich an den ach-so-schönen Orten schnell Müll und andere Hinterlassenschaften. Insbesondere die umgebauten Campingvans verfügen nicht zwingend über eine Toilette.





Der Bergsee in Tirol hat das bereits erfahren müssen. Als die Sonne untergeht, drängeln sich auf dem Platz die Campingbusse bereits. Am Ufer reihen sich die Feuerstellen, häufig kaum in zwei Metern Abstand. An einer Stelle liegen zwischen Steinen und Asche noch leere Bierdosen. Zwischen den Bäumen am Rand des Wegs sammelt sich Klopapier.
Über Apps wie „Park4night“ oder „ioverlander“ können sich Camper Orte wie den Bergsee in den Tiroler Alpen empfehlen. Nutzer können dort gezielt nach Plätzen „umgeben von Natur“ suchen, Fotos und Anfahrtsbeschreibungen posten. In einigen Ländern ist das rechtlich gesehen kein Problem: In Schweden oder Norwegen etwa gibt es das Jedermannsrecht. Die Natur soll allen zugänglich sein. Wanderer, Skifahrer oder Angler dürfen sich deshalb frei bewegen, und außerhalb von Schutzgebieten oder von Privatgeländern ist auch das Zelten in der Wildnis erlaubt. Auch dort dürfen Camper und Wohnmobile nicht durch die Landschaft brettern – aber sie können an Straßenenden, an Parkbuchten oder an Picknickplätzen frei stehen.
Im dichtbesiedelten Deutschland allerdings steht weniger Fläche für mehr Menschen zur Verfügung. Dementsprechend ist das Übernachten in der Natur strenger reguliert. Wildcampen ist bis auf wenige Ausnahmen verboten – ganz besonders in Naturschutzgebieten. Diese Regeln gibt es auch, um Wildtiere zu schützen, die mit ihren feinen Sinnen die Anwesenheit von Menschen auch über Kilometer hinweg wahrnehmen.
Fern von Naturschutzzonen allerdings dürfen Camper auf manchen Parkplätzen zumindest für eine Nacht bleiben. Zur „Wiederherstellung der Fahrtüchtigkeit“ zum Beispiel nach Alkoholkonsum ist es erlaubt, sich mit dem Fahrzeug eine Nacht an den Straßenrand zu stellen.
Über die Apps machen sich Campingfans gegenseitig auf die schönsten Plätze aufmerksam – so kann schnell ein Andrang entstehen. Die Apps hätten die „Pflicht vor Veröffentlichung zu prüfen, ob das jeweilige Angebot legal ist“, sagt Günther. Mit „seriösen Portalen“ habe man daher kein Problem.
Doch häufig geschieht eine solche Überprüfung nicht. Stattdessen berichten die Nutzer in den beliebten Apps von Verbotsschildern, die nach einer Weile aufgestellt werden. Oder sie warnen sich gegenseitig vor verärgerten Nachbarn oder nächtlichen Kontrollen.
Einige Kommunen wollen nun gezielt gegen die Wildcamper an ihren Seen und Aussichtspunkten vorgehen. In Schwerin beschwerten sich die Anwohner über Müll und Spuren von Notdurften im Gebüsch. Dort will die Stadt das Wildcampen an einem Stadtsee See nun unterbinden – aber dafür an anderer Stelle mehr legale Stellplätze schaffen.
Andere Städte setzen auf Kontrollen und Bußgelder. In Füssen im Allgäu etwa stellte die Polizei innerhalb von einer Woche im August gleich 65 Verstöße von Urlaubern fest, die unerlaubter Weise auch im Landschaftsschutzgebiet übernachteten. Zwei Personen erwischten die Beamten gleich zweimal.
In Lychen in der Uckermark zogen Mitarbeiter des Ordnungsamtes gemeinsam mit Polizisten und Forstbeamten los, um die Wildcamper ausfindig zu machen. Seit Juni wurden dort mehr als 300 Ordnungswidrigkeitsverfahren festgestellt. Nach drei Wochen intensiver Kontrollen sei die Zahl der Verstöße zusammengebrochen, heißt es dort.
Der Schweizer Alpen-Club SAC versucht gegen den Trend da vorzugehen, wo er aufgekommen ist. Der Verein verbreitet über die sozialen Netzwerke neue Hashtags. Unter #nogeotag versucht er die Influencer dazu anzuhalten, ihre Standorte nicht zu teilen, damit die Übernachtungsplätze nicht in den kommenden Wochen von Nachahmern gestürmt werden. Ein anderer Hashtag lautet: #leavenotrace.
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