




Die Maschine setzt sanft in Berlin Tegel auf. Die Anschnallzeichen erlöschen, Gedränge im Gang, schnell noch das Air-Berlin-Schokoherz gegriffen und raus. Im Slalomkurs geht es Richtung Ausgang, vorbei an Rollkoffern und Taschen. Eigentlich alles wie immer. Wer derzeit mit Air Berlin fliegt, spürt nicht unbedingt, wie es um die Fluglinie steht. Im Hauptquartier von Air Berlin, nur eine Busstation entfernt vom Flughafen, sieht es anders aus. Seit das Management Mitte August ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung angemeldet hat, herrscht hier Hochbetrieb, wird Tag und Nacht verhandelt, um zu retten, was zu retten ist. Zwei Juristen sind jetzt die Herren des Verfahrens. Der Düsseldorfer Sanierungsexperte Frank Kebekus steuert Air Berlin durch die Untiefen des Insolvenzrechts und begleitet den Verkaufsprozess. Lucas Flöther beaufsichtigt als vorläufiger Sachwalter die Rettungsmission und soll die Interessen der Gläubiger wahren. Beide zählen zu den renommiertesten Insolvenzrechtlern des Landes und tauchen regelmäßig im Ranking der führenden Insolvenzverwalter auf.
Flöther und Kebekus betreten einen Konferenzraum in der sechsten Etage der Air-Berlin-Zentrale. Das Duo wirkt hochkonzentriert und gibt sich kämpferisch. Bisher haben sie es geschafft, dass der Flugbetrieb trotz Insolvenz weitergeht. Die Politik macht Druck, Wettbewerber wähnen eine Verschwörung und auch die 20-Stunden-Schichten fordern langsam ihren Tribut. Vor allem aber kämpfen sie gegen die Zeit, denn „Air Berlin verbrennt Cash“, sagt Kebekus. „Zudem ist ein Insolvenzverfahren nicht gerade die beste Werbung für eine Fluggesellschaft“. So seien die Buchungen rückläufig. „Bei den kurzfristigen Buchungen liegen wir derzeit nur rund sechs bis sieben Prozent unter Vorjahr. Bei Buchungen für Flüge, die in ein paar Monaten stattfinden, sind die Kunden zurückhaltender. Das betrifft vor allem die Langstrecke“, sagte Kebekus. „Es besteht die Gefahr, dass uns das Geschäft wegbricht, falls der Verkauf zu lange dauert.“
Entsprechend zügig laufen die Verhandlungen, auch wenn Kebekus nicht davon ausgeht, dass es noch in diesem Monat konkrete Lösungen geben wird. „Vor September wird es höchstwahrscheinlich keine großen Deals geben“, sagt Kebekus. „Das ist kein Autoverkauf, den man an einem Tag abwickelt“, so Kebekus. Man dürfe die Komplexität solcher Transaktionen nicht unterschätzen. „Es ist nicht so, dass wir nur den Stift zücken müssten, um die Verträge zu unterschreiben.“
Air Berlin: Das Ringen um die Flughafen-Slots
Die Start- und Landerechte an deutschen Flughäfen, im Branchenjargon "Slots" genannt, sind das, was die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin für ihre Konkurrenten so begehrt macht. Vor allem in Berlin und Düsseldorf verfügt sie über viele attraktive dieser "Zeitnischen" für Flugzeug-Starts und Landungen, wie sie im Amtsdeutsch offiziell heißen. Doch die Slots lassen sich nicht ohne Weiteres an eine andere Airline wie die Lufthansa weiterreichen.
Geregelt ist die Vergabe der Start- und Landerechte in einer EU-Verordnung. Sie können eigentlich weder gekauft noch verkauft werden - einzige Ausnahme: der Londoner Flughafen Heathrow. In Deutschland werden die Slots für die 16 internationalen Airports von Frankfurt bis Erfurt von Flughafenkoordinator Armin Obert für jedes Jahr neu zugewiesen. Er sitzt mit seinem Team am Frankfurter Flughafen und untersteht nur dem Bundesverkehrsministerium.
Quelle: dpa
Um ihre Slots zu behalten, müssen Fluggesellschaften sie in einer Saison (Sommer und Winter) mindestens zu 80 Prozent genutzt haben. Bei einer Einstellung des Flugbetriebs droht Air Berlin die Rechte also zu verlieren. Werden sie neu verteilt, gehen 50 Prozent an Airlines, die vom jeweiligen Flughafen bereits abfliegen, der Rest an Neubewerber. Das wäre vorteilhaft für Rivalen wie Easyjet und Ryanair, die dann damit rechnen könnten, dass ihnen Slots zufielen, ohne dass sie Personal von Air Berlin übernehmen müssten.
Von einem Unternehmen auf ein anderes können Slots nur dann übertragen werden, wenn sie damit entweder innerhalb eines Konzerns bleiben (also etwa von Lufthansa auf Eurowings), wenn eine Fluggesellschaft mehrheitlich übernommen wird oder "bei vollständigen oder teilweisen Übernahmen, wenn die übertragenen Zeitnischen direkt mit dem übernommenen Luftfahrtunternehmen verbunden sind", wie es in der Verordnung heißt.
Das könnte bei Air Berlin zum Streitpunkt werden. Denn insolvente Unternehmen werden normalerweise nicht als Ganzes erworben ("share deal"), weil der Käufer dann auch die Schulden übernehmen müsste. Der Käufer erwirbt vielmehr die Bestandteile einzeln ("asset deal") und packt sie in eine neu gegründete, schuldenfreie Gesellschaft. Ob das übernommene Paket ausreicht, um die Slots zu behalten, entscheidet der Flughafenkoordinator. Bei der österreichischen Tochter Niki besteht das Problem nicht. Sie ist nicht insolvent und kann damit als Ganzes verkauft werden.
Air Berlin und die beteiligten Insolvenzexperten gehen davon aus, dass sich die Slots wirksam übertragen lassen. Vor allem mit dem Erlös daraus soll der 150-Millionen-Euro-Kredit getilgt werden, den die Bundesregierung gewährt hat, um Air Berlin in der Luft zu halten. Sie standen zuletzt mit 80 Millionen Euro in der Bilanz von Air Berlin.
Der Sanierungsexperte verhandelt derzeit mit verschiedenen Interessenten über Streckennetze und Start- und Landerechte, sowie über Tochterunternehmen wie den Ferienflieger Niki und die ausgelagerte Air Berlin Technik. Vor allem die Lufthansa galt früh als aussichtsreichste Interessentin und hat ihr "Interesse am Erwerb von Teilen" der Air Berlin inzwischen mit einem Gesamtkonzept konkretisiert, wie der Konzern am Mittwochabend erklärte. Doch entschieden ist noch nichts. Außer Lufthansa sind Easyjet und Tuifly sowie die Thomas-Cook-Tochter Condor als Interessenten bekannt. Auch Ryanair und der Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl wollen die Linie nach eigenem Bekunden übernehmen, haben aber massive Kritik am Verkaufsprozess geäußert. Dieser, so der der Tenor ihrer Vorwürfe, diene nur dazu, Fakten zu schaffen und Lufthansa als Käufer durchzusetzen. Kebekus weist das entschieden zurück. „Wir haben einen offenen Verkaufsprozess“, sagt er. „Jeder seriöse Kandidat, der nachhaltiges Interesse an Air Berlin zeigt, erhält Zugang zum Datenraum und kann ein Angebot abgeben.“ Das einzige Problem sei der Zeitdruck. „Ein Player wie die Lufthansa, die schon vor dem Insolvenzantrag am Tisch saß, hat damit automatisch einen Informationsvorsprung. Daran können wir aber nichts ändern, und das hat auch nichts mit einem abgekarteten Spiel zu tun.“ Egal, wer letztlich den Zuschlag für die lukrativen Teile der Fluglinie bekommt, für die Aktionäre und Anleiheinvestoren des Unternehmens wird wenig bis nichts übrig bleiben.