Airbus in Turbulenzen Die Pannenserie bringt Tom Enders in Bedrängnis

Unsichere Militärtransporter, abstürzende Hubschrauber, verspätet ausgelieferte Ziviljets: Airbus-Chef Tom Enders muss an allen Ecken des Luftfahrtkonzerns Krisen bekämpfen.

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Quelle: dpa Picture-Alliance

Für gewöhnlich startet Tom Enders ebenso zeitig wie gut gelaunt in den Tag. „Wenn ich früh aufstehe, habe ich Zeit zu joggen und kann in Ruhe E-Mails lesen“, beschreibt der Airbus-Chef seine frohgemute Morgenroutine. In den vergangenen Wochen dürfte die für den 57-Jährigen auch jenseits der körperlichen Ertüchtigung anstrengend ausgefallen sein. Gleich mehrere Tage begannen für den Major der Reserve mit neuen Hiobsbotschaften:

  • Der neu motorisierte Mittelstreckenjet A320neo hat Triebwerksprobleme.
  • Nach dem Absturz eines Hubschraubers der Super-Puma-Baureihe Ende April legten die Behörden das Modell still.
  • Wegen technischer Probleme wollen deutsche Politiker Aufträge für den Militärtransporter A400M kündigen. Bei fast allen Passagierflugzeugen, vom kleinen A320 bis zum Superjumbo A380, hakt es bei der Produktion.
Die größten Problemflieger des Luftfahrtriesen
A320neo Quelle: dpa
A380 Quelle: dpa
A350Das neue Leichtbauflugzeug für die Langstrecke hat die größte Verspätung aller Airbus-Zivilflugzeuge. Es kam Ende 2014 nicht nur ein Jahre später als geplant. Zuvor war Airbus bei den Airlines mit einem ersten Entwurf unterwegs, der bereits 2011 fliegen sollte. Quelle: REUTERS
A340 Quelle: AP
A400M Quelle: dpa
Eurofighter Quelle: REUTERS
Tiger

Das sind ungewohnte Herausforderungen für den seit Amtsantritt vor drei Jahren erfolgsverwöhnten Enders. Noch im Februar konnte er bei Ergebnis und Umsatz für Europas größten Luftfahrtkonzern Rekorde verkünden. Doch statt nun wie geplant Zeit in Themen wie die Neuausrichtung des Rüstungsgeschäfts zu investieren, müssen er und sein Team konzernweit Feuer löschen.

Damit droht Airbus gegenüber der Konkurrenz in Rückstand zu geraten. Neben dem Erzrivalen Boeing aus den USA drängen neue Wettbewerber wie Bombardier ins Massengeschäft mit Mittelstreckenjets. Und Tesla-Gründer Elon Musk setzt mit seinem Projekt SpaceX zu Höhenflügen in der Raumfahrt an.

Bei Airbus drücken die Probleme dagegen bereits auf die Finanzen. Das Nettovermögen des Konzerns, der 2015 64,5 Milliarden Euro Umsatz machte, sackte von zehn Milliarden Euro Ende 2015 auf 6,4 Milliarden Euro Ende März – gut eine Milliarde mehr als geplant. Und das ist noch nicht das Ende.

Aufträge von Airbus und Boeing im Vergleich

Laut Insidern könnten Abbestellungen den Umsatz in den kommenden zwei Jahren um bis zu sechs Milliarden Euro drücken. Rückstellungen für Entschädigungen von bis zu zwei Milliarden könnten das Ergebnis belasten. „Allmählich wird es ziemlich unangenehm für Airbus“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Das fürchten auch die Aktionäre. Seit dem Allzeithoch im Dezember hat die Aktie 20 Prozent verloren.

Mehrkosten wegen überraschender technischer Probleme sind im Luftfahrtgeschäft Alltag. „Neue Entwicklungen sind nicht auf den Tag planbar“, weiß Boeing-Chef Dennis Muilenburg. Auch der große US-Konkurrent kämpft derzeit mit Milliardenmehrkosten wegen Problemen beim 787 Dreamliner und einem Tankflugzeug.

Hausgemachte Probleme bei Airbus

Dass es für Airbus schlimmer kommt als gedacht, liegt nicht zuletzt an hausgemachten Problemen. Sie basieren auf Fehlentscheidungen von Enders’ Vorgängern – und darauf, dass er selbst und seine Crew die Möglichkeiten des Konzerns überschätzten.

Enders’ gewichtigstes Problem ist der Militärtransporter A400M. Der Flieger ist das wichtigste Produkt der mit 13 Milliarden Euro Umsatz zweitgrößten Airbus-Sparte Rüstung und Raumfahrt. Rund 30 Milliarden Euro Umsatz sollen die 174 Transporter bringen, die Deutschland, Frankreich, Großbritannien und vier weitere Länder bislang gekauft haben. Doch leider ist die Maschine derzeit ein Sicherheitsrisiko. Im Rumpf des Riesen treten immer wieder Risse auf, im Getriebe lösen sich Späne. Theoretisch müssten die Antriebe darum alle 20 Flugstunden in die Werkstatt. Damit ist die Maschine nur beschränkt einsetzbar.

Nun drohen Mitglieder des Verteidigungsausschusses, den Auftrag für die 53 deutschen Flieger zu kündigen.

Der Grünen-Abgeordnete Tobias Lindner warnt: „Wenn Airbus das nicht in den Griff kriegt, kann ihnen das Projekt um die Ohren fliegen.“

Dazu wird es kaum kommen. „Der A400M ist zu groß, um zu scheitern“, sagt Heinz Schulte vom auf Wehrtechnik spezialisierten Informationsdienst Griephan. Bei einem Stopp des Projekts müsste die Bundeswehr die 3,5 Milliarden Europa abschreiben, die sie bisher in den Bau der Maschine und die Ausbildung der Mannschaft investiert hat. Viel wichtiger: Die deutsche Armee hätte bald keine Transporter mehr, wenn sie außerhalb der Heimat aktiv werden soll.

Airbus gibt der Politik eine Mitschuld am Desaster. „Deutschland und Frankreich haben uns gezwungen, den Motor bei einem in Sachen Propellerantrieb unerfahrenen Konsortium um MTU aus München und Safran aus Frankreich zu ordern“, sagt ein Airbus-Insider. Zudem musste Airbus den A400M zu billig abgeben. „Der Flieger ist aufwendiger als der A380, sollte mit ursprünglich gut 100 Millionen aber so viel kosten wie ein A321“, so ein Insider. „Dass dies nicht klappen konnte, musste dem Bund klar sein.“

Intern gelten die Probleme als lösbar. Die Risse im Rumpf ließen sich wohl deutlich schneller reparieren als in den sieben Monaten, die ein internes Schreiben nennt. Für die splitternden Getriebe verspricht Airbus bis Jahresende eine Zwischenlösung, bei der die Transporter nur noch einmal im Jahr in die Werft müssen. Trotzdem wird es für Airbus teuer.

„Spätestens Ende des Jahres droht eine größere Verlustrückstellung“, erwartet Scott Hamilton vom US-Beratungs- und -Marktforschungsunternehmen Leeham. Der Konzern müsse bis zu eine Milliarde Euro investieren, um die Mängel zu beheben. Weil die Verspätung gegenüber dem ursprünglichen Lieferplan mittlerweile bei rund neun Jahren liegt, müsste Airbus der Bundeswehr zudem wohl auch eine Art Ersatzflotte finanzieren. Aktuell nutzt die Truppe vor allem die inzwischen 60 Jahre alten Transall-Maschinen. Außerdem greift sie auf von einem russisch-ukrainischen Frachtunternehmen gemietete zivile Antonow-Frachter zurück. Den Vertrag könnte sie verlängern. Für Transporte in Krisenregionen müsste Airbus gar bei der Konkurrenz in den USA einkaufen, etwa von Lockheed Martin bis zu 15 Flieger vom Typ C-130. Für schweres Gerät käme Boeings Großfrachter C-17 infrage.

Ähnlich unübersichtlich ist die Lage im Hubschraubergeschäft. Seit dem Absturz einer Super Puma Ende April beim Rückflug von einer Bohrinsel in Norwegen haben die Behörden alle Flüge für die gut 800 ausgelieferten Maschinen gestoppt. Sie dürfen erst wieder abheben, wenn klar ist, warum gut sechs Jahre nach einem Crash in Schottland erneut eine Maschine im Flug den Rotor verlor. „Doch auch drei Wochen nach dem Unfall sind wir da noch nicht weiter“, heißt es bei Airbus.

„Da braucht es gelegentlich einen Weckruf“

Der mysteriöse Crash trifft die mit gut sechs Milliarden Euro Umsatz kleinste Sparte zur Unzeit. Zwar hat das Hubschraubergeschäft mit knapp sieben Prozent derzeit die höchste Umsatzrendite. Doch die frühere Vorzeigetochter lebt bereits seit Jahren von der Substanz, weil der Auftragsbestand sinkt.

Grund ist vor allem die Zurückhaltung der Öl- und Gasindustrie, die rund 70 Prozent aller zivilen Super Pumas und einen großen Teil anderer Modelle kauft. Experten schätzen, dass der Konzern bei einer längeren Pause ein paar Dutzend Aufträge für die bis zu 20 Millionen Dollar teuren Maschinen verlieren könnte.

Die höchsten Risiken lauern bei den Passagierjets. Hier steckt – mit Ausnahme des bewährten älteren Langstreckenfliegers A330 – die ganze Modellpalette in der Krise.

Sowohl der Mittelstreckenjet A320 als auch das neue Langstreckenmodell A350 verkauften sich so gut, dass Airbus die Produktionskapazitäten aufstockte. Doch nun kommen die Zulieferer nicht nach, insbesondere bei der Inneneinrichtung. „Da stapeln sich quasi Dutzende Maschinen auf dem Vorfeld der Werke in Hamburg und Toulouse“, so Berater Hamilton.

Bis Ende 2018 könnten gut 50 der bis zu 300 Millionen Euro teuren A350 mindestens ein Jahr später kommen als geplant.

Keine Lösung absehbar ist dazu beim A320neo, der renovierten Fassung des Mittelstreckenjets A320. Die besonders sparsamen Motoren brauchen auch fünf Monate nach der ersten Auslieferung noch zu lange, bis sie vor einem Flug einsatzbereit sind. Erstkunde Qatar Airways will darum seine drei Milliarden Dollar teure Order über 50 Flieger stornieren. Auch andere Kunden wollen die Maschine erst mal nicht nehmen.
Abwärts geht es beim Superjumbo A380. Weil den meisten Airlines die Maschine zu groß ist, wird Airbus mit nur noch 20 Exemplaren pro Jahr mindestens vier weniger ausliefern als geplant – und bekommt wegen für Airbus ungünstig verhandelter Verträge nicht mal einen Ausgleich von den Kunden.
Die Mängel kosten Geld, aber Airbus hilft, dass Wettbewerber mit ähnlichen Problemen kämpfen. „So sauer die Kunden auch sein mögen, woanders bekommen sie ihre Jets auch nicht schneller“, so ein Insider.
Nicht nur deshalb glaubt Enders, dass sich die Krise meistern lässt. Er hat den Konzern in den vergangenen drei Jahren schon auf schlechtere Zeiten vorbereitet. Bereits 2014, als scheinbar nichts den Aufschwung bremsen konnte, startete er ein Umbauprogramm, das die jährlichen Kosten ab diesem Jahr um gut eine Milliarde Euro senken sollte.

Wer den Flugzeug-Markt durchwirbelt
Japan: Mitsubishi Regional Jet Quelle: AP
Japan: Mitsubishi Regional Jet (MRJ)Der Großkonzern Mitsubishi Heavy Industry (MHI) will mit dem Jet zu einem vollwertigen Flugzeughersteller aufsteigen. Es sind Versionen mit 70 und 90 Sitzplätzen geplant, außerdem ist ein verlängertes Modell mit 100 Plätzen angedacht. Die Japaner werben damit, dass ihre Flugzeuge dank des Designs und vor allem eines neuen Triebwerks nicht nur weniger Sprit verbrauchen, sondern auch mehr Raum für Passagiere als die Rivalen bieten. Im zweiten Quartal 2017 soll das erste Flugzeug an die All Nippon Airways ausgeliefert werden. Quelle: AP
China: ARJ 21 Quelle: REUTERS
China: C919 Quelle: dpa
China: C919 Quelle: dpa
Russland: Iljuschin Il-114Dieses Flugzeug hat seinen Jungfernflug schon lange hinter sich: Als die Il-114 im März 1990 abhob, stand die Sowjetunion kurz vor dem Zerfall. Im Herbst 2015 wurde das Projekt aus der Mottenkiste geholt: Eine Produktionslinie soll aufgebaut werden, dafür muss aber der Motor auf den neuesten Stand der Entwicklung gebracht werden. Die Turboprop-Maschine aus dem Hause Iljuschin ist für den regionalen Flugverkehr geeignet und bietet lediglich 64 Plätze. Die staatliche Flugzeugbau-Holding Russlands hat aber auch einen größeren Flieger im Programm.... Quelle: imago images
Russland: Superjet 100 Quelle: REUTERS

Dazu trennte sich Enders von Bereichen, in denen die Produkte seiner Ansicht nach „viel zu teuer oder nicht auf die Anforderungen des Marktes zugeschnitten sind – oder beides“: Den Bau von Weltraumraketen packte er in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Safran, Teile des Rüstungsgeschäfts, allen voran die Verteidigungselektronik verkaufte er – und bekam dafür mit 1,3 Milliarden Euro ein Drittel mehr als erwartet. Vom für 2016 versprochenen operativen Gewinn von gut vier Milliarden Euro macht Enders bislang keine Abstriche. „Dazu steht er noch“, erklärte ein Insider.

Bei allem Ärger haben die Turbulenzen aus Sicht von Enders auch noch etwas Gutes. „Bei uns lief es vielleicht etwas zu rund in den vergangenen Jahren“, witzelte er laut Insidern. „Da braucht es gelegentlich einen Weckruf.“

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