Bahn-Logistiksparte testet Monster Trucks Die überraschenden Strategieschwenks der Bahn

Lange Zeit untersagte die Deutsche Bahn ihrer Speditionstochter Schenker den Einsatz von Lang-Lkw. Nun darf sie doch. Es ist nicht der einzige Strategieschwenk. Kaum ein Unternehmen hat seine Meinung öfters geändert als die Deutsche Bahn.

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Kaum ein Unternehmen hat seine Meinung öfters geändert als die Deutsche Bahn. Quelle: dpa

Es läuft nicht gut bei der Speditionstochter DB Schenker in Deutschland. 2014 war schon ein mieses Jahr, 2015 lief es noch schlechter. Die Ergebnissituation sei „eindeutig nicht zufriedenstellend, daran gibt es nichts zu deuteln“, sagte der neue Vertriebschef Kurt Leidinger der „Deutschen Verkehrs-Zeitung“.

Deshalb wolle die Speditionstochter der Deutschen Bahn ihren Kurs korrigieren: Kosten senken, Vertrieb stärken und bisherige Glaubenssätze über Bord werfen. Künftig darf auch Schenker Lang-LKW einsetzen.

Die Neupositionierung insbesondere bei den Gigalinern zeigt, wie sehr die Konzerntochter der Deutschen Bahn unter Druck ist. Bislang pfiff Bahnchef Rüdiger Grube den Chef der Logistiktochter Schenker zurück, als dieser Lang-Lkw auf die Straße setzen wollte, um Güter von A nach B zu transportieren. Grube befürchtete eine Kannibalisierung des Kerngeschäfts. Nun gibt er seinen Widerstand auf.

Wo Kunden zufrieden sind – und wo nicht
Pünktlichkeit: Jeder fünfte ICE kam 2015 mindestens sechs Minuten zu spät an. Die Leistungen entsprechen nicht annähernd den Zielen der Deutschen Bahn. Sie will in diesem Jahr eine Pünktlichkeitsquote von 80 Prozent erreichen, langfristig sogar auf 85 Prozent hoch kommen. Die Tendenz 2016 bleibt jedoch weiter schwach. Im Januar lag die Pünktlichkeitsquote bei 77 Prozent. Quelle: AP
Preise: Die Zeiten der jährlichen Preiserhöhung wegen „gestiegener Energie- und Personalkosten“ sind vorbei. Zumindest im Fernverkehr blieben die Preise seit zwei Jahren stabil - den Fernbussen sei Dank. 19-Euro-Sparpreise locken inzwischen selbst Schüler und Studenten. Die neue Devise des Vorstands: lieber volle Züge statt leerer Kassen. Preislich ist die Bahn inzwischen wettbewerbsfähig. Quelle: dpa
ICE-Restaurant: Leider ist die Küche zu oft kaputt. Mal bleiben die Getränke warm oder der Kaffee kalt. Mitunter fehlen die angepriesenen Snacks wegen schlechter Logistik. Dennoch: Wenn es läuft, dann ist ein Sitz im ICE-Restaurant der schönste Platz im Zug – gerne auch bei einem der guten Weine.Urheber: Volker Emersleben // Deutsche Bahn AG
WLAN: In der zweiten Klasse eines ICE ist WLAN noch immer nicht kostenlos und in der ersten Klasse funktioniert der Download alles andere als einwandfrei. Als 2010 zahlreiche ICE grundsaniert wurden, verzichtete das Unternehmen sogar auf den Einbau der WLAN-Technik. So viel Behäbigkeit wird nun bestraft. Die Fernbusse machen der Bahn in Sachen WLAN was vor. Erst Ende 2016 soll es auch im ICE besser werden. Viel zu spät. Quelle: dpa
Information: Schon mal in Bielefeld am Bahnhof gewesen? Seit Jahren fallen die Anzeigentafeln immer wieder aus. Bielefeld gibt es leider auch anderswo. Und wenn die Anzeigen am Bahnsteig funktionieren, dann korrespondieren sie oft nicht mit den Informationen der Bahn-Apps. In den Zügen sollte die Bahn mal ihre Durchsagen auf Relevanz überprüfen. Immerhin am Bahnsteig soll es bald Entwirrung geben. Die Bahn will Multi-Zug-Anzeigen einsetzen: mit drei Zügen auf dem Display. Das klingt gut. 40 von insgesamt 120 Fernbahnhöfen sind bereits umgerüstet. Quelle: dpa
Apps: Nicht jede Frage an @DB_Bahn beantwortet das Twitter-Team zwar zu voller Zufriedenheit. Dennoch zeigen die Twitterer der Deutschen Bahn, wie schnell und effektiv ein Konzern mit seinen Kunden kommunizieren kann. Eine starke Leistung. Auch der DB Navigator bietet echten Mehrwert. Die Deutsche Bahn beweist mit ihren Apps, dass auch traditionelle Konzerne digitale Maßstände setzen können.   Quelle: dpa
Lounges: Ein großzügiger Service für Vielfahrer: kostenloser Kaffee, Tee, Wasser und Softdrinks. In der ersten Klasse erhalten Fahrgäste auch Bier, Wein und Snacks. Leider ist die zweite Klasse oft zu voll. Die Deutsche Bahn prüft den Aufbau zusätzlicher Lounges in ein bis zwei Städten. Quelle: dpa

Seit diesem Monat darf Schenker die von Kritikern Monster Trucks genannten LKW auf zwei Strecken testen. Zunächst gilt die Erlaubnis aus dem Bahntower für „zeitkritische Stückgutladungen“, die man ohnehin nicht per Schiene transportieren könnte, wie es offiziell heißt.

Doch in Wahrheit fürchtet die Bahn wohl, von Wettbewerbern überholt zu werden. Inzwischen haben 54 Unternehmen 140 Lang-LKW angemeldet. Seit 2011 sind solche Feldversuche mit den bis zu 25 Meter langen Lkw, die bis zu 44 Tonnen schwer sein dürfen, auf ausgewählten Strecken und in wenigen Bundesländern erlaubt. Sonst üblich sind eine maximale Länge von 19 Metern und ein Gesamtgewicht von bis zu 40 Tonnen.

Die wichtigsten Firmenübernahmen der deutschen Bahn

Die Bahn kassiert damit eine Grundsatzentscheidung – und das nicht zum ersten Mal. Wohl kaum ein Unternehmen kann in den vergangenen Jahren auf so viele Strategieschwenks verweisen wie die Deutsche Bahn. Eine Auswahl:

1. Fernbusse: Was passieren kann, wenn man Trends verschläft, zeigt sich am prominentesten auf dem deutschen Fernbusmarkt. Einst war die Deutsche Bahn hier unangefochtener Marktführer, weil sie aus Zeiten der deutschen Teilung über Sonderlizenzen für den Bus-Shuttle nach Berlin verfügte.

2012 liberalisierte die Politik den Markt komplett. Die Deutsche Bahn verlor kontinuierlich Marktanteile – vom Monopolisten zum Nischenanbieter mit einem Marktanteil von sechs Prozent Ende 2015.

Omnibusse galten in der Konzernstrategie bis vergangenes Jahr als mühsames Geschäft mit Mini-Rendite. Doch seit 2015 wurde die Wende eingeleitet. Jetzt will auch die Deutsche Bahn wieder Marktanteile gewinnen – und investiert kräftig in Busse und Strecken.

Umsatzziele, Akquisitionen & WLAN

2. Open Data: Wem gehören die Daten wie Abfahrtszeiten des Fahrplans und Zugverspätungen? Der Deutschen Bahn, sagte lange Zeit die Bahn. Der Konzern drohte jedem Start-up, das sich daran nicht halten und Daten für eigene Zwecke auswerten wollte, mit rechtlichen Konsequenzen.

Doch seit ein paar Jahren hat die Bahn einen fulminanten Strategieschwenk hingelegt: Auf einem Open Data Portal stellt der Konzern inzwischen sämtliche Daten zur Verfügung. Jeder, der will, kann damit neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Unterm Strich, so das nachvollziehbare Credo der Bahn, profitierten die Fahrgäste und damit indirekt die Bahn. Eine weise Entscheidung.

3. Umsatzziel: Ökologischer Vorreiter, Top-Arbeitgeber und eine Verdopplung des Umsatzes hatte Bahnchef Grube vor vier Jahren als Ziele für 2020 ausgerufen.

Vor wenigen Monaten folgte das müde Eingeständnis, dass das so nicht mehr zu erreichen sei. Umwelt-Vorbild und guter Arbeitgeber bleiben zwar weiterhin als Ziele gesetzt, doch die 70 Milliarden Euro Umsatz bis 2020 seien doch zu ambitioniert gewesen, heißt es inzwischen aus den Vorstandsetagen.

Das Ziel wurde kleinlaut abmoderiert. Ein Umsatzziel für 2020 gibt es jetzt nicht mehr.

Wer nach Grubes Umbau im Bahn-Vorstand sitzt
VorstandsvorsitzenderRüdiger Grube (64) ist seit Mai 2009 Vorsitzender des Vorstands. Sein Vertrag läuft bis Ende 2017. Quelle: dpa
FinanzvorstandRichard Lutz (51), zuständig für Finanzen und Controlling, verantwortet zusätzlich für die internationale Bustochter Arriva und die Gütertransporte jenseits des Schienenverkehrs zuständig sein (Lastwagen, Schiff, Flugzeug). Quelle: REUTERS
Vorstand für Infrastruktur und DienstleistungenVolker Kefer (60) ist seit Herbst 2009 im Vorstand. Er fungiert inzwischen als Stellvertreter Grubes und wie zuletzt das Ressort Infrastruktur und Dienstleistungen leiten, ergänzt um Teilbereiche der Technik. Die Aufgaben der Techniksparte wurden nach dem Weggang ihrer Chefin Heike Hanagarth verteilt Quelle: dpa
PersonalvorstandUlrich Weber (66 ), Personalvorstand, ist aus dem langen Tarifkonflikt mit der Lokführergewerkschaft GDL bekannt. Er durfte bleiben. Quelle: dpa
RechtsvorstandRonald Pofalla (56), löste Gerd Becht (63) als Konzernvorstand für Regeltreue, Datenschutz, Recht und Konzernsicherheit ab. Außerdem behält der Ex-Kanzleramtschef seine bisherige Aufgabe bei der Bahn: die Kontaktpflege zu Politikern im Bund und bei der EU in Brüssel. Quelle: dpa
Vorstand Personen- und GüterverkehrBerthold Huber (52), war bis August 2015 Chef der Bahntochter DB Fernverkehr. Seitdem leitet er als Vorstandsmitglied nicht nur den gesamten Personenverkehr, sondern auch die Güterbahn. Quelle: dpa
AusgeschiedenUlrich Homburg (60) schied im August 2015 als Vorstand für den Personenverkehr aus dem Gremium aus. Berthold Huber ersetzt aber nicht nur Homburg, sondern auch... Quelle: dpa

4. Akquisitionen: Die Sache mit der Stärkung des heimischen Brot- und Buttergeschäfts wird irgendwann schwierig, wenn die Schwerpunkte vor allem auf globalem Wachstum und dem Zukauf ausländischer Töchter liegen. 2010 kaufte die Deutsche Bahn den britischen Verkehrskonzern Arriva für rund drei Milliarden Euro. In den Jahren zuvor akquirierte die Bahn mehrere Logistikunternehmen wie BAX aus den USA und Stinnes aus Deutschland. Heute weiß man: So eine Einkaufstour im Ausland ist teuer und bindet Ressourcen. Deshalb folgt nun der Teilverkauf der Töchter Arriva und Schenker Logistics. Bis zu 45 Prozent beider Töchter will die Deutsche Bahn über die Börse verkaufen. Das soll mehrere Milliarden Euro in die Konzernkasse einbringen und Spielraum für das Kerngeschäft in Deutschland schaffen.

Die Deutsche Bahn steckt in einer tiefen Krise. Frisches Geld soll der Teilverkauf erfolgreicher Sparten bringen. Wie der Plan aussehen könnte.
von Christian Schlesiger

5. WLAN im Zug: Internetempfang im Zug ist eine schöne Sache. Doch bei der Deutschen Bahn galt WLAN im Zug viele Jahre als ein Thema nachstehender Priorität. Stattdessen schob der Vorstand die Verantwortung auf die Mobilfunkkonzerne wie die Deutsche Telekom ab. Die seien für die Mobilfunksignale entlang der Bahnstrecke verantwortlich.

Zwar warb die Bahn auf den eigenen Internetseiten schon vor vielen Jahren für das rollende Büro. „Kein anderes Verkehrsmittel bietet so optimale Bedingungen für die Internetzugang wie der ICE“, stand dort geschrieben. Doch als zum Beispiel 2010 die ICE der zweiten Generation grundrenoviert wurden, verzichtete die Bahn auf den Einbau von WLAN-Technik.

2012 kamen dann die Fernbusse. Und der Rest ist Geschichte. Jetzt investiert auch die Bahn. 2016 soll auch im ICE der zweiten Klasse WLAN endlich kostenlos sein.

Personalabbau und Vegetationskontrolle

6. Personalabbau: Ein Konzern, der aus einer Behörde erwächst, startet zwangsläufig mit einem Überbau an Personal. So war es nur folgerichtig, die Aktiengesellschaft nach der Bahnreform 1994 zurecht zu stutzen. Die Politik stattete die Bahn mit einer Mission aus: Sie sollte Gewinne erwirtschaften und bald an die Börse.

Anteil pünktlicher Züge der Deutschen Bahn im Personenverkehr

Doch selbst als der IPO 2008 wegen der Finanzkrise abgesagt wurde, wurde bei der Anzahl der Beschäftigten weiter kräftig Hand angelegt. Beim Abbau der Stellen für Fahrdienstleiter ging es runter, bis im August 2012 wegen Krankheit und Urlaub am Mainzer Stellwerk der Bahnbetrieb in der Region und teilweise in ganz Deutschland lahm lag.

Seitdem stellt die Bahn wieder mehr Leute ein. Und es läuft.

7. Vegetationskontrolle: Wenn es stürmt und schneit und herunter gefallene Äste den Zugverkehr ausbremsen, steht ein Nischenthema wieder im medialen Fokus: der Rückschnitt von Bäumen und Sträuchern entlang der Schienen.

Bislang beharrte die Bahn auf ihrem Standpunkt, die Vegetation optimal zurück geschnitten zu haben. Doch im Zuge des Ende 2015 verkündeten Reformprogramms „Zukunft Bahn“ steht der so genannte „V-Schnitt“ plötzlich ganz oben auf der Agenda.

Die Bahn räumt kleinlaut ein: „Auf die zahlreichen Streckensperrungen der vergangenen zwei Jahre durch unwetterbedingt umgestürzte Bäume reagiert die Bahn mit einer verbesserten Vegetationskontrolle.“ Dazu seien Hot Spots identifiziert und der Rückschnitt erweitert worden. „Verspätungen und Ausfälle sollen so ebenfalls deutlich reduziert werden.“

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