




Große Auswahl, niedrige Preise: Lange Zeit haben Online-Händler auf dieses Konzept gesetzt. Doch angesichts der Übermacht von Amazon und Zalando verlegen sie sich inzwischen immer stärker auf eine neue Strategie. Die Unternehmen versprechen vor allem mehr Bequemlichkeit und Service - egal ob es um die Suche nach dem richtigen Outfit oder um das Kochen in den eigenen vier Wänden geht. Fragt sich nur, ob die deutschen Verbraucher da mitspielen.
Einer der Vorreiter der Entwicklung ist das Berliner Start-up Outfittery, das seit drei Jahren Männern bei der mühsamen und oft ungeliebten Suche nach Schuhen, Jeans, Hemd und Pullover unter die Arme greift. Die Kunden füllen ein Art Fragebogen aus, der Vorlieben und Stil ermittelt und telefonieren - wenn sie wollen - mit einem Stylisten. Fertig ist das neue Outfit, das im Paket nach Hause geliefert wird. Was gefällt, behält der Kunde. Was er nicht mag, schickt er kostenlos zurück.
Der Verbraucher werde durch die Vielfalt des Modeangebots heutzutage schlicht überfordert, sagt Outfittery-Gründerin Julia Bösch. „Der Kunde will nicht die Auswahl zwischen 2000 verschiedenen blauen Hemden im Online-Shop. Er will nur zehn Optionen, die für ihn relevant sind.“ Hier zu helfen, kann offenbar ein lohnendes Geschäft sein. Denn Rabatte gibt Outfittery nicht. „Wir verkaufen zum vollen Preis“, sagte Bösch auf dem Branchentreffen „Tengelmann e-Day“.
Warum Aldi billig ist
Es ist eine Gretchenfrage: Wie viele Artikel biete ich meinen Kunden an? 1946 ging es um nichts mehr als ums Sattwerden. Die Aldi-Brüder schauten auf ihren Tages- und Wocheneinkauf. Erst im Laufe der Jahre kamen Non-Food-Artikel hinzu – anfangs waren sie verpönt.
Mit der Zeit pendelte man sich bei 400 Artikeln ein. Inzwischen – in Zeiten der feiner werdenden Nuancen – ist die Zahl auf über 900 Basisartikel gewachsen. Der Stellplatz in den Filialen hat natürliche Grenzen. Zudem ist Produktpflege ein aufwändiges Geschäft.
Von Beginn an galt bei den Albrechts das Gebot der Warengleichheit: In allen Filialen sollten die Kunden dieselben Produkte finden. Schnell ging es soweit, dass sie es sogar an derselben Stelle fanden.
Eine echte Revolution war die Einführung von Kühlware in den Siebzigerjahren. Sowohl bei Aldi Nord als auch bei Aldi Süd gingen Grundsatz-Diskussionen voraus. Entgegen der Behauptungen gab es darüber aber keinen brüderlichen Zwist. Allerdings musste der vorpreschende Karl Überzeugungsarbeit leisten beim abwägenden Theo. Doch die Kühltruhe kam, erst im Kleinformat, dann immer mehr.
Seit Jahren macht andere Discounter wie Netto (vorher Plus) gute Geschäfte mit Markenartikeln. Aldi hat stets eine Aversion gegen sie gehabt - gab inzwischen aber nach. Auf der anderen Seite taten sich die Hersteller von Markenartikeln anfangs auch sehr schwer, bei einer Billigkette zu listen, als die Aldi galt.
Vereinfacht gesagt besteht Aldis größtes Problem darin, die erforderlichen Liefermengen von mehreren Anbietern zu beziehen. Bei vergleichenden Qualitätsstandards heißt es immer wieder: Bedarfsdeckung versus Preis. Gerade zu Ostern und Weihnachten ist es eine Sisyphusarbeit in Planung und Organisation, für ausreichend Waren zu sorgen und sie auf die Filialen zu verteilen.
Die Preisfindung in diesem „Wettkampf“ ist das eigentliche Erfolgsrezept Aldis. Als Marktführer, ausgestattet mit dem Hebel der Mengenmacht, hat man hier natürlich Vorteile. Dabei bündeln Aldi Nord und Aldi Süd ihre Einkaufsstrategie in vielen Sortimenten. Auf der anderen Seite hat Aldi auch kein Interesse, die Lieferanten so sehr zu schröpfen, dass sie in den Ruin gehen.
Lieferanten unterliegen leicht der großen Verlockung, mit Aldi so zu verhandeln, dass die eigentlichen Kapazitätsgrenzen überschritten werden. Zwar kann man mit Aldi vermögend werden, aber das Risiko, sich zu sehr abhängig zu machen, ist groß. Denn Aldi streicht durchaus schnell einen Lieferanten. Fachleute raten dazu, maximal 50 Prozent seiner Produkte an Aldi zu verkaufen.
Die Wettbewerber sind dem Preisdiktat ausgesetzt. In den vergangenen Jahres war gut zu beobachten, was passiert, wenn Aldi die Preise für Alltagsprodukte wie Milch senkte: Die Konkurrenz zog innerhalb weniger Stunden nach. Preisvergleich und Preispolitik sind Tagesaufgaben.
Doch warum agieren die Discounter eigentlich so nah am „gerechten Preis“? Die Frage ist durchaus berechtigt, denn die Durchschnittskunde ist eigentlich sehr wenig mit den Preisen vertraut. Er stellt seinen Warenkorb den Bedürfnissen und Gepflogenheiten zusammen. Die meisten gehen nicht mit offenen Augen durch die Läden. Angebote werden auch bei Aldi sehr deutlich mit andersfarbigen Schildern gekennzeichnet, damit sie überhaupt auffallen. Umso wichtiger ist also, dauerhaft der Preisführer zu sein – und dieses Image zu pflegen.
Egal wie günstig ein Produkt ist – die Qualität muss stimmen: Aldi testet wie auch die anderen Discounter ständig seine aktuellen und auch mögliche neuen Produkte. Zudem nützt das tollste Sonderangebot nichts, wenn es um 11 Uhr ausverkauft ist.
Kein Produkt hat bei Aldi eine Existenzgarantie. Jeder Lieferant ist austauschbar. Und das lässt Aldi seine Partner ganz genau wissen. Es herrscht rigorose Preiskontrolle vom Einkauf bis zum Verkauf. Der Kunde entscheidet. Nimmt er ein Produkt nicht (mehr) an, fliegt es aus dem Sortiment. Das gilt besonders für Sonderverkäufe. Schlagen sie nicht ein, bekommen sie keine zweite Chance.
Im Fachjargon heißen sie Zugartikel, die Produkte, an denen Aldi praktisch nichts verdient. Die Marge liegt nahe null, aber sie sind dennoch sehr wichtig. Denn sie locken Kunden in den Laden. Und die Kunden kaufen dann eben auch andere Produkte, wo die Margen entsprechend höher liegen. Die sogenannte Quermarge stimmt also auch bei Zugprodukten.
Regale sind das eine, Vorstelltische das andere. Bei Aldi haben sie eine sehr hohe Bedeutung. Reste gehen hier rasant weg.
Der Filialleiter hat die wesentliche Aufgabe, sein Personal geschickt einzuspannen. Aldi näht hier auf Kante, sprich: Die Personaldecke ist extrem eng. Im Krankheitsfall bricht rasch der Notstand aus, wenn nicht umgehend Ersatz zur Hand ist: verdreckte Böden, unsortierte Regale, Schlangen an den Kassen. Entsprechend sind Filialleiter entscheidende „Produktchefs“ und es gelten hohe Standards.
Heute, in Zeiten der Piep-Piep-Kassen, ist es nicht mehr so wichtig: Aber groß geworden ist Aldi auch wegen einer vermeintlich selbstverständlichen Eigenschaft der Kassiererinnen und Kassierer: Sie kannten die Preise der Produkte auswendig und konnten sie blitzschnell in die Kasse eingeben.
Die Logistik dahinter ist alles andere als einfach: Wie bekommt man all die hohen Bargeldsummen, die sich in den Kassen auftürmen, sicher zur Bank? Das ist die eine Frage, die Discounter wie Aldi lösen müssen. Die andere ist, wie man die Liquidität möglichst schnell reinvestiert. Bei einer Umschlaggeschwindigkeit der Waren von 8,5 Tagen und einem Zahlungsziel von 14 Tagen gegenüber dem Lieferanten ist die Ware nahezu zweimal verkauft, ehe sie einmal zu bezahlen ist. Und das mit zwei Prozent Skonto.
Wohin also mit dem Geld? Die erste Antwort lautet: Nicht mehr mieten, sondern kaufen – also die Immobilien, in denen sich die Filialen befinden. Zudem fließt bei Aldi viel Geld in die Familienstiftung. Dort wird es gefahrensicher angelegt. Zudem war Aldi frühzeitig darauf aus, in der Plastikindustrie zuzukaufen.
Aldi ging schon früh einen Weg, der damals alles andere als üblich war und setzte auf eigene Produkte. Die alte Kaufmannsweisheit, dass der Vertreiber nicht selbst produzieren soll, damit er nicht mit Reklamationen überschüttet wird, gilt heute längst nicht mehr. Aber damals war es etwas ziemlich neues. Es begann mit eigenem Kaffee, der in Herten produziert wurde.
Bei Aldi wird alles und ausnahmslos umgetauscht, wenn der Kunde dies wünscht. Jede eingequetschte Tomate und jede Laufmasche. Filialleiter dürfen unter keinen Umständen Einwände erheben.
Die beiden Aldi-Unternehmen brüsten sich damit, nicht zu werben. Das ist natürlich nicht wörtlich gemeint, schließlich sind die Anzeigen aus den regionalen und überregionalen Zeitungen nicht wegzudenken. Was Aldi meint ist, dass man die Kunden besonders anspricht, also über den Preis argumentiert und auf Mund-zu-Mund-Propaganda setzt.
Einmal im Jahr gibt es den bisweilen gefürchteten Vergleich zwischen Aldi Nord und Aldi Süd. Folgende Zahlen spielen darin die Hauptrolle: Hauptkostenarten bei Personal, Mieten, Energie usw. sowie Anzahl der Filialen, Umsätze und Gesamtkosten.
Bei Aldi gibt es praktisch keine innerbetrieblichen Veranstaltungen. Sozialkontakte erstrecken sich auf den gemeinsamen Einsatz für sprudelnde Umsätze. Als ein Geschäftsführer mal anlässlich der Heirat seiner Tochter Theo Albrecht nebst Gattin Chily einlud und es dort Zusammentreffen mit wichtigen Lieferanten gab, verzog Theo keine Miene. Das Arbeitsverhältnis wurde gelöst.
Outfittery ist mit diesem Konzept nicht allein. Auch der Berliner Rivale Modomoto wirbt mit dem Motto „Gut gekleidet ohne Shopping“ um männliche Kunden. Andere wie das Start-up Kisura bieten den gleichen Service für Frauen. Auch Amazon und einige stationäre Händler sind inzwischen auf den fahrenden Zug aufgesprungen.
Wie nachhaltig der Trend allerdings ist, muss sich erst noch erweisen. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov macht eine breite Mehrheit der Erwachsenen in Deutschland vieles im Alltag lieber selbst. Besonders deutlich wird diese Haltung, wenn es um das Besorgen von Lebensmittel geht. Nur jeder zehnte Befragte gab an, sich die Supermarkteinkäufe schon einmal nach Hause habe liefern zu lassen. Das Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln schätzt den Anteil der im Internet bestellten Lebensmittel (plus Wein und Delikatessen) am Gesamtumsatz in diesem Jahr auf gerade mal 1,1 Prozent.
IFH-Geschäftsführer Kai Hudetz erklärt die Zurückhaltung unter anderem mit den zusätzlichen Lieferkosten. „Die Konsumenten sind nach wie vor sehr preissensibel.“ Nur wenige seien bereit, für die Lieferung von Lebensmitteln extra zu zahlen. Zumal es in Deutschland kein echtes Versorgungsproblem gebe: „Wir haben ein sehr dichtes Netz an Supermärkten, die meisten sind von morgens früh bis spät in den Abend geöffnet“, sagt Hudetz. Abgesehen davon gingen viele Konsumenten schlichtweg noch richtig gern einkaufen.
Dennoch setzen immer mehr Unternehmer auf das Geschäft mit Essen aus dem Internet. Start-ups wie etwa Hello Fresh, Marley Spoon oder Home eat Home sprechen jene an, die gerne neue Gerichte ausprobieren, sich aber nicht durch Kochbücher kämpfen wollen. Sie liefern bebilderte Schritt-für-Schritt-Kochanleitungen samt mundgerecht ausgewählten Zutaten in einer Box direkt nach Hause oder deponieren sie in Abholstationen in Supermärkten.
Dieses Nischen-Angebot treffe anders als der normale Online-Lebensmittelhandel auf ein zahlungswilliges Publikum, sagt Hudetz. „Kochen liegt voll im Trend.“ Es gehe ums Genießen, um ein gemeinsames Erlebnis. Da würden auch höhere Lieferkosten akzeptiert - solange Liefertag und Zeitfenster stimmten.