WirtschaftsWoche: Herr Weselsky, am Freitag endet der dreitägige Streik der GDL. Worauf müssen sich Bahnkunden danach einstellen?
Claus Weselsky: Das hängt vom Verhalten der Deutschen Bahn ab. Wir stehen in einem Arbeitskampf. Wenn die Bahn nicht schleunigst ein deutlich verbessertes Angebot vorlegt, werden wir schnell und entschieden reagieren.
Wenn der ICE nicht fährt, ist das nervig für die Fahrgäste und betriebswirtschaftlich unangenehm für das Unternehmen Bahn. Wenn aber Güterzüge nicht rollen, verursachen Sie mit einem Streik hohe volkswirtschaftliche Kosten. Ist Ihnen das egal?
Ich verstehe die Frage nicht. Es ist der Sinn eines Streiks, dem Arbeitgeber zu schaden. Wirtschaftliche Kollateralschäden sind dabei unvermeidlich. Die müssen wir als Gewerkschaft in Kauf nehmen.
Würden Sie einer Schlichtung zustimmen, wenn die Bahn das vorschlägt?
Nein. Ein Schlichtungsverfahren ist für die GDL keine Option.
Zur Person
Claus Weselsky ist seit 2008 Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Der gebürtige Dresdner und gelernte Dieselmotorenschlosser hat zu DDR-Zeiten selbst viele Jahre als Lokführer bei der Deutschen Reichsbahn gearbeitet.
Ein Tarifvertrag ist immer ein Kompromiss, mit dem beide Seiten leben können müssen. Was ist denn für Sie unverhandelbar und wo würden Sie der Bahn entgegenkommen?
Der Kompromiss liegt doch auf dem Tisch! Es ist der Tarifabschluss, den wir jüngst mit Netinera und Go-Ahead abgeschlossen haben. Der sieht ab Januar 2025 eine schrittweise Absenkung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden im Schichtdienst vor. Hinzu kommt die Einführung einer Fünf-Schichten-Woche.
Sie wollen die Arbeitszeit für Lokführer senken zu einer Zeit, in der viele Lokführer fehlen und am Markt kaum zu bekommen sind. Feuern Sie damit nicht die Entwicklung zu selbstfahrenden Zügen an, die keine Lokführer mehr brauchen?
Das ist Träumerei, vollautomatische Züge ohne Lokführer wird es auf lange Sicht nicht geben. Man kann eine U-Bahn vollautomatisch fahren oder einen Skytrain am Flughafen, aber im komplexen System Bahn keinen ICE.
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Wenn die Arbeitszeiten der Lokführer sinken, könnten noch mehr Züge ausfallen, weil Personal fehlt. Für Bahnkunden klingt das nicht nach einem übermäßig attraktiven Modell.
Wir haben bei der Bahn doch seit über zehn Jahren zu wenig Leute! Und das liegt vor allem am bescheuerten Schichtsystem. Die einzige Chance ist, über verringerte Arbeitszeiten und moderne Schichtsysteme neue Leute anzulocken, die jetzt einen großen Bogen um die Bahn machen. Insofern kann ich das Gejammer des Bahnvorstands nicht nachvollziehen. Wir fordern ja auch keine Arbeitszeitverkürzung ab übermorgen, sondern wollen 2025 erstmal mit einer halben Stunde starten. Die 35-Stunden-Woche soll erst ab 2028 gelten. Da hat der Arbeitgeber genug Zeit, seine Ausbildungskapazitäten hochzufahren und Personalakquise zu betreiben.
Ihre Konkurrenzgewerkschaft EVG hat 2023 tarifpolitisch vorgelegt und unter anderem eine Lohnerhöhung von 410 Euro erstritten. Könnten Sie nicht mit Rücksicht auf die Bahnkunden sagen: Wir übernehmen das als Grundlage und ergänzen Details, die uns wichtig sind?
Soll das sein Witz sein? Das wäre ein strategischer Sündenfall. Die GDL würde sich niemals an den Verträgen der Bahn-Hausgewerkschaft EVG orientieren, die das zentrale Thema Arbeitszeit seit 15 Jahren tarifpolitisch verschlafen hat.
Der Öffentlichkeit ist aber schwer zu vermitteln, dass bei der Bahn zwei Gewerkschaften getrennt verhandeln und auch getrennt streiken. Wäre nicht an der Zeit, aufeinander zuzugehen und eine Verhandlungsgemeinschaft zu bilden?
Nein. Wer die beiden Gewerkschaften und ihr Innenleben kennt, der weiß, dass die Idee einer Verhandlungsgemeinschaft völlig absurd ist. Unsere tarifpolitischen Schwerpunkte und unsere Gewerkschaftskulturen sind viel zu unterschiedlich, als dass man gemeinsame Sache machen könnte.
Eine persönliche Frage: Bleibt es dabei, dass Sie im September auf dem Gewerkschaftstag der GDL nicht wieder antreten – oder haben Sie jetzt doch wieder Lust aufs Weitermachen bekommen?
Lust hätte ich schon. Aber es bleibt bei meiner Entscheidung.
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