Comeback der Nachtzüge Das Erlebnis Nachtzug auf einem ganz neuen Niveau?

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Niemand teilt sich mehr ein Abteil mit Fremden

In den nächsten Jahren soll das eingeschlafene europäische Streckennetz nun wieder ausgebaut werden. Dass die Nightjets einen zweiten Frühling erleben und Paris dafür als einer der ersten Start- und Zielbahnhöfe feststand, ist kein Zufall: Die Nachtzüge sollen helfen, die Ziele des Umweltgipfels von Paris aus dem Jahr 2015 zu erreichen: Die Erderwärmung soll im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt und Anstrengungen für eine Beschränkung auf 1,5 Grad Celsius unternommen werden. Mit mehr als einer Million Fluggästen pro Jahr gehört die Strecke München-Paris bisher zu den Vielfliegerstrecken. Nach Berechnungen des Umweltbundesamts ist Bahnfahren aber etwa siebenmal so klimafreundlich wie Fliegen.

„Das allein wird kein Anreiz sein“, ist Adrien Aumont überzeugt. Der Gründer so erfolgreicher Crowdfunding-Plattformen wie KissKissBank, Lendopolis und Hello Merci beobachtet den Neustart der Nachtzüge nun genau – weil er und sein Kompagnon Romain Payet es künftig besser machen wollen. „Die Leute sollen aus dem Zug aussteigen und denken: Was für ein tolles Erlebnis. Und obendrein ist es auch noch umweltfreundlich.“ 

Aumont ist Mitbegründer des Start-ups Midnight Trains. In den Nachtzügen, die ihm vorschweben, teilt sich niemand mehr ein Abteil mit Fremden. Auch soll niemand mehr an einer Wasserflasche aus Plastik nuckeln, die Bahnpersonal ins Abteil gestellt hat wie an diesem Abend, oder ein paar Kräcker knabbern müssen. Während der Zug so wie jetzt durch Ostfrankreich rollt, könnten die Passagiere statt dessen auch Bars und Restaurants an Bord besuchen, in denen frisch zubereitete Speisen und Getränke angeboten werden. 

Vier Staatsbahnen wollen Nachtzüge wiederbeleben – etwa von Berlin nach Barcelona in 13 Stunden. Das hätte es wohl nie gegeben ohne das Engagement der Österreichischen Bundesbahnen – und die Leidenschaft ihres Chefs. 
von Christian Schlesiger

Auf die Idee brachte ihn seine Lebensgefährtin, die 2019 von einem Tag auf den anderen nicht mehr fliegen wollte. Also buchte das Paar ein Abteil im damals verkehrenden Nachtzug von Paris nach Mailand, kaufte Käse, Aufschnitt, Brot und Wein ein, lud sich einen Film aufs Tablet und verbrachte „die beste Reise meines Lebens“, erinnert sich Aumont. „Bei der Ankunft in Mailand wusste ich: Das ist es.“

Wie immer beließ es der Franzose, der die Schule mit 14 geschmissen hatte, nicht bei Schwärmerei. Spendable Geldgeber sind bereits unter namhaften französischen Business Angels gefunden. Zusammen mit Payet verhandelt Aumont derzeit mit Leasing-Gesellschaften für Schienenfahrzeuge. Im nächsten Frühling wollen sie ankündigen, mit welcher sie zusammenarbeiten werden. Die erste Strecke ab Paris soll dann Ende 2022 feststehen, der Preis für ausnahmslos Schlafwagenplätze sich ihm Rahmen eines Flugtickets inklusive An- und Abreise zum Flughafen sowie den Gebühren für die Gepäckaufgabe bewegen. Daran dass es trotz des jetzigen Gemeckers genügend Interessenten geben wird, zweifelt Aumont nicht. „Für den Anfang werden wir nicht der ÖBB Konkurrenz machen,“ verrät Aumont. „Aber wenn unsere Passagiere sich an unseren Service gewöhnt haben, werden wir angreifen.“

Erinnerungen an Filmszenen mit dem „Orient Express“ schieben sich noch kurz ins Gedächtnis. Ach ja, den will die französische Hotelkette Accor zu neuem Leben erwecken. Nachtzüge, so scheint es, haben gerade einen echten Drive. Dann übernimmt irgendwo vor Straßburg der Schlaf. 

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Hinter Augsburg gibt es Frühstück ans Bett. Kaffee, Brötchen, Joghurt, Marmelade, Käse… alles wie am Vorabend bestellt. Aber draußen ist tiefschwarze Nacht und der Magen noch in der Aufwachphase. Kaffee geht immer, der Rest kommt in den Rucksack für später. Vor dem Fenster flitzen schwach beleuchtete Bahnsteige vorbei. Kissing, Mering, Pasing. Dann pressiert es plötzlich. Ankunft am Münchner Ostbahnhof um 5.35 Uhr – acht Minuten vor Plan.

Mehr zum Thema: Das war die Idee des Jahres unseres Kolumnisten: Statt mit dem unkalkulierbar vollen ICE fuhr er vor Weihnachten 2020 mit dem österreichischen Nightjet von Hamburg in den Schwarzwald. Einsamer und aerosolfreier war Zugfahren nie, schreibt er.

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