Corona und die Messeveranstalter „Wir sind in die 70er-Jahre zurückkatapultiert worden“

Normalerweise werden in einem Jahr gut 28 Milliarden Euro durch Messen umgesetzt. Quelle: imago images

Die deutsche Messewirtschaft leidet stark unter der Pandemie – nur ein Drittel der geplanten Messen fanden in diesem Jahr statt. Wie Messechefs aufs kommende Jahr schauen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Eigentlich hätten Ende November mehr als 700 Aussteller auf der Fachmesse Smart Production Solutions (SPS) in Nürnberg mit Besuchern gefachsimpelt, genetzwerkt und verkauft. Doch dazu kam es nicht: Ein paar Tage vor der Messe für Automatisierungsprodukte verkündete Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wegen der steigenden Inzidenzzahlen und hoher Hospitalisierungsrate strengere Regeln.

Zu Veranstaltungen darf in Bayern nur noch, wer geimpft, genesen und getestet ist. Außerdem darf zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Viertel der eigentlich möglichen Besucher kommen – mittlerweile gilt in Bayern für Messen eine tägliche Obergrenze von 12.500 Besuchern. „Das war der Moment, in dem die Messe nicht mehr stattfinden konnte und wir sie gemeinsam mit der Industrie absagen mussten,“ sagt Wolfgang Marzin, Chef der Messe Frankfurt, deren deutsche Tochtergesellschaft Mesago die SPS durchgeführt hätte.

Weniger Besucher, weniger Aussteller, Komplettabsagen: Das Jahr 2021 war für die Messebranche ein Desaster – so wie auch schon 2020. Mehr als zwei Drittel der 380 für 2021 geplanten Messen wurden laut dem Verband der deutschen Messewirtschaft (AUMA) aus dem Programm genommen. 

Normalerweise werden in einem Jahr gut 28 Milliarden Euro durch Messen umgesetzt – neben den Messebauern und Unternehmen verdienen Dienstleister für Veranstaltungen, der Transportsektor, Hotels und Gastronomie an den Events, bei denen oft Tausende Besucher und Aussteller aus der ganzen Welt in Deutschlands Messestädte strömen.

Für 2020 und 2021 zusammengenommen könnten diese Einnahmen insgesamt um 42 Milliarden Euro sinken, wie das Ifo-Institut prognostiziert. Der Umsatz der deutschen Messeveranstalter alleine, der in den Jahren 2018 und 2019 noch bei jeweils 4,1 Milliarden Euro lag, verringerte sich 2020 um 30 Prozent auf nur noch 1,2 Milliarden Euro. Und 2021 könnte es noch düsterer aussehen.

Hohe Umsatzverluste, schlechte Ergebnisse

„Wir sind dieses Jahr mindestens so stark getroffen wie letztes Jahr,“ sagt der Frankfurter-Messe-Chef Marzin. „Letztes Jahr hatten wir immerhin noch zweieinhalb Monate bevor die Pandemie losging, in diesem Jahr wurde die Situation dann noch schwieriger.“ Ähnliches erzählt Klaus Dittrich, Chef der Messe München. „Das war eine Vollbremsung auf der Überholspur, auf der sich die Messe München befand,“ sagt er.

In Deutschland fanden fast nur Messen mit regionalem Charakter statt. Internationale Aussteller und Fachpublikum aus aller Welt? Zum großen Teil Fehlanzeige. Nach dem Lockdown Anfang 2021 kam die Sommerzeit, in der traditionell keine Messen stattfinden. „Wir hatten dann nur ein kleines Zeitfenster zum Agieren, das zusammenfiel mit einer großen Verunsicherung“, sagt Marzin.

Die Messe Frankfurt ist der weltweit drittgrößte Messeveranstalter und der größte in Europa. 2019 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 738 Millionen Euro und einen Gewinn von 47 Millionen Euro. Im ersten Jahr der Pandemie 2020 setzte die Frankfurter Messe gerade einmal ein Drittel davon um – 250 Millionen Euro – und schrieb einen Verlust in dreistelliger Millionenhöhe. Nach vorläufigen Zahlen liegt der Umsatz 2021 noch darunter: bei nur 140 Millionen Euro. Auch das Konzernergebnis wird schlechter ausfallen als im vergangenen Jahr, heißt es von der Frankfurter Messe. „Wir sind kurzfristig in die 70er-Jahre zurückkatapultiert worden, was die Besucher, die Kunden und die Umsätze angeht“, sagt Marzin. Und: „Wir sind gebeutelt, wie die Branche insgesamt.“

Die Messe München hat 2020 und 2021 zusammengenommen rund 400 Millionen Euro Umsatz verloren, sagt Chef Dittrich. Zwar habe man im Herbst dieses Jahres einen „fulminanten Neustart“ hingelegt. Zur Automobilmesse IAA Mobility im September etwa seien 400.000 Besucher aus über 90 Ländern gekommen. Allerdings seien im Schnitt bis zu 40 Prozent weniger Aussteller bei den Messen präsent gewesen und nur etwa die Hälfte der Besucher aus Vor-Pandemie-Zeiten.

Hoffnung auf 2022

Doch wie blicken die Messechefs aufs Jahr 2022? „Da ist auf jeden Fall Hoffnung,“ sagt Marzin. Die Veransatltungen, die im nächsten Jahr stattfinden sollen, seien „durch die Bank gut ausgebucht“. Messen, die im Mai und Juni stattfinden - wie zum Beispiel die Internationale Leitmesse der Fleischwirtschaft oder die weltweit größte Messe für Prozessindustrie – seien bis vergangene Woche zu 100 Prozent ausgebucht gewesen. „Die Lage kann sich enorm entspannen, je nach weiterem Pandemieverlauf“, sagt der Messechef. Auch Dittrich von der Münchner Messe rechnet mit einem „sehr starken Jahr“. Die größten Veranstaltungen seien schon ausgebucht. Ein Stück Unsicherheit sei dennoch nach wie vor da.

Ein zentrales Problem für die Branche ist die fehlende Planbarkeit. Wird Anfang Januar eine große Messe mit Tausenden Besuchern stattfinden können? Nach aktuellem Stand wohl eher nicht. Aber wie sieht es im Februar, wie im März aus? „Je nach Messe brauchen wir eine Vorlaufzeit von mindestens zwei Monaten, für Hotelbuchungen und Reise, um Exponate zu verschicken,“ sagt Marzin. „Schärfere Regeln kommen in Deutschland aber meist über Nacht.“

Bei der bauma, die weltgrößte Messe für Baumaschinen in München etwa, die Dittrich von April auf Oktober geschoben hat, beginne der Aufbau schon sechs Monate vorher. Kurzfristig wechselnde Anforderungen müsse man dann eben schnell umsetzen, so der Messechef. „Die Alternative ist jetzt zu lange zu zögern und damit ist der wirtschaftliche Schaden für die Veranstalter und die Unternehmen, die auf die Messe gehen, sehr groß.“

Dittrich hofft darauf, dass Europa bei Reisenden auch solche Impfstoffe anerkennt, die zwar in der EU nicht zugelassen, aber von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt sind. „Bei internationalen Leitmessen werden alle die ausgesperrt, die mit Impfstoff geimpft sind, der in der EU nicht zugelassen ist.“

Insgesamt kann es noch lange dauern, bis die deutsche Messeindustrie zu ihren Vor-Pandemie-Ständen zurückkehrt. „Wir können aktuell nur Prognosen erstellen,“ sagt Marzin. Doch vielleicht, so hofft er, könnte die Messe Frankfurt Anfang 2024 ihren Umsatz wieder auf Vorpandemieniveau heben. Dittrich von der Messe München zeigt sich da etwas vorsichtiger: Im Moment rechne er damit, in drei bis fünf Jahren das Vor-Pandemie-Niveau wieder zu erreichen.

Mehr zum Thema: Die wieder steigenden Coronazahlen beenden die Erholung der Reisebranche abrupt. Deren größte Hoffnung ist nun eine Entspannung im Januar. Sonst drohen noch mehr Last-Minute-Buchungen, die allen das Geschäft erschweren.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%