Deutsche Bahn Kranke Lokführer machen Pendler mürrisch

Die Bahn kommt nicht, weil der Lokführer krank ist: Solche Ansagen nerven Pendler regelmäßig. Einfach mehr Fahrer einstellen geht nicht, es mangelt an Nachwuchs. Wie kann man den einstigen Traumberuf attraktiver machen?

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Wo Kunden zufrieden sind – und wo nicht
Pünktlichkeit: Jeder fünfte ICE kam 2015 mindestens sechs Minuten zu spät an. Die Leistungen entsprechen nicht annähernd den Zielen der Deutschen Bahn. Sie will in diesem Jahr eine Pünktlichkeitsquote von 80 Prozent erreichen, langfristig sogar auf 85 Prozent hoch kommen. Die Tendenz 2016 bleibt jedoch weiter schwach. Im Januar lag die Pünktlichkeitsquote bei 77 Prozent. Quelle: AP
Preise: Die Zeiten der jährlichen Preiserhöhung wegen „gestiegener Energie- und Personalkosten“ sind vorbei. Zumindest im Fernverkehr blieben die Preise seit zwei Jahren stabil - den Fernbussen sei Dank. 19-Euro-Sparpreise locken inzwischen selbst Schüler und Studenten. Die neue Devise des Vorstands: lieber volle Züge statt leerer Kassen. Preislich ist die Bahn inzwischen wettbewerbsfähig. Quelle: dpa
ICE-Restaurant: Leider ist die Küche zu oft kaputt. Mal bleiben die Getränke warm oder der Kaffee kalt. Mitunter fehlen die angepriesenen Snacks wegen schlechter Logistik. Dennoch: Wenn es läuft, dann ist ein Sitz im ICE-Restaurant der schönste Platz im Zug – gerne auch bei einem der guten Weine.Urheber: Volker Emersleben // Deutsche Bahn AG
WLAN: In der zweiten Klasse eines ICE ist WLAN noch immer nicht kostenlos und in der ersten Klasse funktioniert der Download alles andere als einwandfrei. Als 2010 zahlreiche ICE grundsaniert wurden, verzichtete das Unternehmen sogar auf den Einbau der WLAN-Technik. So viel Behäbigkeit wird nun bestraft. Die Fernbusse machen der Bahn in Sachen WLAN was vor. Erst Ende 2016 soll es auch im ICE besser werden. Viel zu spät. Quelle: dpa
Information: Schon mal in Bielefeld am Bahnhof gewesen? Seit Jahren fallen die Anzeigentafeln immer wieder aus. Bielefeld gibt es leider auch anderswo. Und wenn die Anzeigen am Bahnsteig funktionieren, dann korrespondieren sie oft nicht mit den Informationen der Bahn-Apps. In den Zügen sollte die Bahn mal ihre Durchsagen auf Relevanz überprüfen. Immerhin am Bahnsteig soll es bald Entwirrung geben. Die Bahn will Multi-Zug-Anzeigen einsetzen: mit drei Zügen auf dem Display. Das klingt gut. 40 von insgesamt 120 Fernbahnhöfen sind bereits umgerüstet. Quelle: dpa
Apps: Nicht jede Frage an @DB_Bahn beantwortet das Twitter-Team zwar zu voller Zufriedenheit. Dennoch zeigen die Twitterer der Deutschen Bahn, wie schnell und effektiv ein Konzern mit seinen Kunden kommunizieren kann. Eine starke Leistung. Auch der DB Navigator bietet echten Mehrwert. Die Deutsche Bahn beweist mit ihren Apps, dass auch traditionelle Konzerne digitale Maßstände setzen können.   Quelle: dpa
Lounges: Ein großzügiger Service für Vielfahrer: kostenloser Kaffee, Tee, Wasser und Softdrinks. In der ersten Klasse erhalten Fahrgäste auch Bier, Wein und Snacks. Leider ist die zweite Klasse oft zu voll. Die Deutsche Bahn prüft den Aufbau zusätzlicher Lounges in ein bis zwei Städten. Quelle: dpa

Für Bahnpendler quer durch Deutschland ist es ein großes Ärgernis: Weil haufenweise Lokführer krank sind und Personal fehlt, fallen Züge kurzfristig aus oder Fahrpläne werden wochenlang zusammengestrichen. Im Moment betroffen sind Strecken nach Bremen, Hamburg und Stuttgart sowie Verbindungen in Westfalen. Vor einigen Wochen traf es die Bremer S-Bahn. Im einstigen Traumberuf Lokführer ist Nachwuchs Mangelware, Hunderte Stellen sind derzeit ausgeschrieben. Während Gewerkschaften die Notlage als Ergebnis eines überzogenen Sparkurses sehen, ziehen Baden-Württemberg und Niedersachsen die Notbremse.

Die Missstände im regionalen Bahnverkehr müssten umgehend abgestellt werden, wettert Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) in Stuttgart - und greift durch: Von diesem Dienstag an werden die Verantwortlichen der Deutschen Bahn zum wöchentlichen Rapport einbestellt. Seit Anfang Oktober fallen auf sogenannten Zulaufstrecken nach Stuttgart morgens im Berufsverkehr mindestens zwei Züge aus, auch woanders kommt immer mal eine Bahn nicht. Die DB verweist auf einen hohen Krankenstand bei Lokführern und beim Zugpersonal, man sei bemüht, die Probleme abzustellen. Laut Ministerium hat sich seit ähnlichen Problemen im Sommer nicht spürbar etwas verbessert.

Der baden-württembergische Fahrgastbeirat monierte in einem Schreiben an die Bahn, dass die „massiven Störungen“ bei den betroffenen Fahrgästen starken Frust verursachten und in Einzelfällen auch zur Abwendung vom Bahnverkehr führten.

In Niedersachsen sind es derzeit die Bahnkonkurrenten, die für Probleme sorgen, und nicht der Staatskonzern. Die Nordwestbahn, die die S-Bahnzüge vom Umland nach Bremen fährt, musste vor einigen Wochen angesichts einer Vielzahl kranker Fahrer kapitulieren, der Fahrplan wurde reduziert. Dasselbe trifft bis Ende Oktober Pendler in den Metronom-Zügen von Hamburg Richtung Bremen und Lüneburg. Der Grund auch hier: Personalmangel. „Tatsächlich haben wir unsere Ausbildungsgruppen gut gefüllt, aber das dauert eben“, macht Metronom-Sprecher Björn Pamperin Hoffnung. Zehn Monate dauert der Lehrgang zum Lokomotivführer.

Solange will die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) nicht warten. Neben Kürzungen in Millionenhöhe, die die Bahnen wegen nicht gefahrener Züge erwarten, soll ihnen das Vorhalten von mehr Personal möglicherweise künftig vorgeschrieben werden. „Wir stellen uns aktuell die Frage, ob wir bei künftigen Ausschreibungen eine großzügigere Personalreserve zum Gegenstand machen“, sagte LNVG-Sprecher Rainer Peters. Dies sei eine Reaktion auf wachsende Probleme angesichts des zunehmenden Lokführermangels bundesweit. Einer der wesentlichen Gründe dafür sei der Schichtdienst.

„Seit Jahren ist auf Teufel komm raus am Personal gespart und nicht ausgebildet worden“, moniert der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Norbert Quitter. Die Folge sei eine Spirale: Kollegen seien überlastet, würden krank, fielen aus. Nicht nur die Deutsche Bahn habe gespart, auch die Konkurrenten hätten sich zu lange darauf verlassen, vom Staatskonzern ausgebildete Lokführer übernehmen zu können. Etwa 1000 Lokführer fehlen laut GDL derzeit in Deutschland, rund 27 000 sind im Einsatz. Wenn die DB nun 1400 neue Lokführer einstellen wolle, kompensiere das nur die alterbedingten Abgänge.

Bei der Nachwuchssuche kontraproduktiv sei die Ankündigung von Bahnchef Rüdiger Grube gewesen, schon bald führerlose Züge auf die Schienen zu schicken. Fälschlicherweise sei vielleicht bei manchem der Eindruck entstanden, der Beruf habe schon bald keine Zukunft mehr. Als einen entscheidenden Grund für die Nachwuchssorgen sieht der GDL-Vizechef aber den Schichtdienst rund um die Uhr und am Wochenende, der zudem wegen des Personalmangels kaum planbar sei. Selbst technikinteressierte junge Menschen, die sich den Job im Führerhaus gut vorstellen könnten, würden davon abgeschreckt.

Deshalb geht es der Gewerkschaft in den aktuellen Tarifverhandlungen auch um bessere Arbeitszeit- und Freizeitregelungen. Auch die konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft (EVG) diskutiert über mehr Urlaub und eine kürzere Wochenarbeitszeit mit der Bahn. Diese vermeldet eine nach wie vor große Nachfrage nach der Lokführerausbildung - wohl auch, weil man sich damit später auch für andere - und vielleicht weniger stressige - Tätigkeiten im Konzern weiterqualifizieren kann.

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