Hilfsorganisation Warum SOS Kinderdorf harte Einschnitte braucht

Die Hilfsorganisation SOS Kinderdorf ist selbst in Not. Explodierende Kosten in Schwellenländern und stagnierende Einnahmen in Deutschland zwingen zu neuen Wegen: SOS-Vereine in 35 Ländern sollen nicht mehr Gelder aus Europa bekommen, sondern sich selbst finanzieren.

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Welche Unternehmen die SOS-Kinderdörfer unterstützen
Das Logo der Firma CeWe Color Quelle: dapd
Das Schild einer Commerzbank Quelle: dpa
Kooperation DHL SOS-Kinderdörfer Quelle: Presse
MAN arbeitet seit 2008 mit SOS-Kinderdörfern zusammen. Mit 600.000 Euro beteiligte sich der Münchner Lkw-Hersteller am Aufbau eines Ausbildungszentrums für technische Berufe in Äthiopien. Daneben stellte MAN 50.000 Euro für den Wiederaufbau der vom Tsunami zerstörten SOS-Kinderdörfer auf den Philippinen zur Verfügung. Kürzlich hat MAN die Kooperation noch einmal verlängert. Spendenvolumen für die kommenden drei Jahre: 15.000 Euro. Quelle: Presse
Gesammelte Payback Punkte Quelle: obs
Shampoo von Schwarzkopf Quelle: dpa-dpaweb
Logistik Siegwerk Quelle: obs

Irgendwann im Juli vergangenen Jahres lag das Baby morgens vor dem Haupttor und schrie. Es war ein paar Stunden alt und blutig von der verheimlichten Geburt. Die Mutter hatte es abgelegt in einer Decke und in der Gewissheit, dass es im konservativen Libanon nur wenige gute Plätze gibt für ein uneheliches Kind – und dass das SOS-Kinderdorf in Ksarnaba, 60 Kilometer östlich der Landeshauptstadt Beirut, einer davon ist.

Julia, neun Monate später, mit dunklen Locken und rotem Strampler, ist der jüngste der 65 Schützlinge von Salman Dirani, dem Direktor des SOS-Kinderdorfs Ksarnaba. Für die muslimischen und christlichen Kinder ist der Bär von Mann mit der schwarzen Lederjacke, verschwitztem Dreitagebart, Doppelkinn und rauem Lachen den ganzen Tag auf den Beinen. Der 54-Jährige muss auch die lokalen Chefs der Hisbollah bei Laune halten. Die schiitische „Partei Gottes“ hat in Ksarnaba das Sagen und betreibt eine Schule, die den Islam so konservativ auslegt, dass Dirani seine SOS-Kinder lieber bei einer weiter entfernten säkularen Schule anmeldet.

Kerngeschäft Schutz der Kindheit

„Alle nennen mich hier Ammo“, zu Deutsch: Onkel, scherzt Dirani, „sogar meine Frau.“ Aber hinter dem Grinsen sieht der Libanese müde aus. Seine Frau Cecilia, die im SOS-Dorf den Kindergarten leitet, berichtet, dass Salman – sein Name heißt auf Deutsch „der Fehlerlose“ – nachts schweißgebadet im Bett sitze und aus dem Fenster starre.

Dirani hat Angst – vor der möglichen Schließung seines SOS-Kinderdorfes, das erst vor acht Jahren gegründet wurde. Ihn quält die Vorstellung, Julia und all die anderen Kinder mit zerrissenen Lebensläufen müssten ihr neues Zuhause in der Bekaa-Ebene, für das er die Verantwortung trägt, wieder verlassen. Die Gefahr für den freundlichen Schutzort mit Rasen, blühenden Bäumen und zehn hellgrauen Bungalows, in denen die fest angestellten SOS-Müttern mit je sechs oder sieben Kindern leben, geht nicht vom syrischen Bürgerkrieg direkt hinter der nahen Grenze aus. Sondern von den SOS-Finanzen.

Angst vor der Schließung

Bis jetzt lebt das SOS-Dorf Ksarnaba weitgehend von Spenden aus Europa. Aber die werden bald ausbleiben, weiß Dirani. Wie es weitergeht, ob SOS Libanon das eigene Spendenaufkommen vervierfachen kann, wie es die SOS-Zentrale in Innsbruck verlangt, kann Dirani nicht sagen: „Die Lage ist schlecht, das Land nicht stabil.“

Die Zahl der SOS-Mitarbeiter ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.Quellen: DZI, SOS, eigene Recherchen

Ähnliche Sorgen haben 35 der 133 SOS-Vereine in aller Welt und damit ein erheblicher Teil der 37.000 SOS-Mitarbeiter. Neu ist für Millionen von Spendern und SOS-Paten, die sich mit der Marke SOS verbunden fühlen: SOS-Kinderdörfer, die größte internationale Kinderhilfsorganisation und mit Abstand größte Spenden-Sammelstelle in Deutschland, verordnet sich einen fundamentalen Reform- und Konsolidierungskurs, um eine Krise abzuwenden. Ein Dutzend Dörfer vor allem in Lateinamerika wurde bereits geschlossen, Mitarbeiter mussten gehen oder den Einsatzort wechseln. Das gab’s – abgesehen von Einzelfällen – noch nie in der 65-jährigen Geschichte der Organisation.

SOS-Kinderdorf funkt SOS. Auch wenn die Verantwortlichen das nicht so sagen, streng wirtschaftlich betrachtet, würde die globale Hilfsorganisation ohne Kurswechsel zum Sanierungsfall. Die Strukturen des milliardenschweren Wohltätigkeitskonzerns waren nicht mehr zukunftsfähig und stecken nun in einem schmerzhaften Veränderungsprozess. Es muss intern umverteilt und gespart, das Kerngeschäft neu definiert werden. Sparten und Standorte, die am europäischen Tropf hängen, sollen sich wirtschaftlich selber tragen oder weichen, neue Märkte und Geschäftsfelder erschlossen werden. Sechseinhalb Jahrzehnte nach der Gründung im österreichischen Imst muss der Global Player der guten Werke sich selbst retten.

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