Medienkonzern Alles auf Anfang? Disney streicht 7000 Stellen und ändert seine Strategie im Streaminggeschäft

Bob Iger hielt es nicht lange an der Seitenlinie. Nach etwas mehr als zwei Jahren im Ruhestand kehrte er im November an die Disney-Spitze zurück. Quelle: REUTERS

Zu Beginn seines zweiten Jahrhunderts steht Disney unter Investorendruck. Nun zeichnet sich ein weitreichender Strategiewechsel ab. Vieles, das sein Vorgänger angestoßen hat, will CEO Bob Iger über den Haufen werfen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

„Eines Tages bin ich aufgewacht und habe bemerkt: Wir verkaufen die Technologie für Atomwaffen an ein Land in der dritten Welt, das diese gegen uns selbst einsetzt.“ So beschreibt Disney-Chef Bob Iger jenen Moment der Erleuchtung, der dazu führte, dass der Konzern seine Filme und Serien von Netflix abzog und einen eigenen Streamingdienst ins Leben rief. Seitdem fährt der Unterhaltungsriese einen rigorosen Kurs: Disney-Inhalte auf Drittplattformen gibt es nicht. Wer „Bambi“, „Star Wars“ oder „Iron Man“ streamen will, muss zu Disney+. Selbst Kinostarts neuer Animationsblockbuster hat der Konzern in den letzten Jahren teils abgesagt – zugunsten einer exklusiven Premiere auf dem hauseigenen Streamingdienst.

Der Ausfall der Lizenzeinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe habe die Konzernumsätze zwar deutlich minimiert, sagte Iger noch vor einem Jahr in einem Podcast der „New York Times“. Das aber sei ein notwendiges Investment in die Zukunft des Konzerns, der Ende Januar sein 100-jähriges Bestehen feierte. Nur mit einer exklusiven Bibliothek könne Disney selbst ein zentraler Player in jenem Geschäftsbereich werden, der „schneller wächst als jeder andere im Mediengeschäft“ – im Streamingbusiness.

Als der heute 71-Jährige diese Aussagen tätigte, hatte er selbst gerade keine Funktion bei Disney inne. Anfang 2020 hatte er die Unternehmensführung nach 15 Jahren an Bob Chapek abgegeben. Der acht Jahre jüngere Manager sei der richtige Mann, um „das Unternehmen ins nächste Jahrhundert zu führen“, sagte Iger seinerzeit über seinen Nachfolger. Der aber war Chapek wohl doch nicht: Seit November 2022 ist Iger selbst zurück an der Unternehmensspitze. Auch, weil sich der Aktienkurs in den zwei Jahren zuvor auf Talfahrt befunden hatte. „Es sind gerade herausfordernde Zeiten, und ich habe das Gefühl, dass ich diese Rolle jetzt wieder übernehmen muss“, sagte Iger in einem Townhall-Meeting zu seiner Rückkehr. Es gebe jetzt eine Menge zu tun – „und zwar schnell“.

Mit öffentlichen Äußerungen hatte sich Iger seit seiner Rückkehr an die Unternehmensspitze zurückgehalten. Umso erwartungsvoller blickten Investoren auf Mittwochabend, als anlässlich der Veröffentlichung der Quartalszahlen die erste öffentliche Versammlung seit Igers Rückkehr anstand. „Jeder wird heute zuhören“, hatte eine Analystin der Bank of America im Voraus gesagt. Wenn es jemals einen Termin geben werde, um eine neue „Vision“ für den Konzern zu verkünden, dann sei das dieser Mittwochabend. „Das ist der richtige Ort, um das zu tun. Das ist der richtige Zeitpunkt.“ Zu groß sei der Druck der Investoren, um starr bei der Langfristlinie zu bleiben, die Iger noch ein Jahr zuvor von der Seitenlinie aus bekräftigt hatte.

Nun ist klar, wie diese neue „Vision“ für Disney aussehen wird: Igers erste Amtshandlung nach seiner Rückkehr bringt rund 7000 gestrichene Stellen mit sich – und eine völlig neue Unternehmensstruktur. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Zurücknahme der von Vorgänger Chapek geschaffenen Struktur, die die kreativen Geschäftsfelder der Sparte „Media and Entertainment Distribution“ untergeordnet hatte. Dort war zuletzt unter anderem auch das Streaminggeschäft angesiedelt. Es gelte jetzt, „die Kontrolle und Verantwortung zu den kreativen Geschäftsfeldern zurückzubringen“, hatte Iger bereits im November gegenüber der Belegschaft gesagt.

Stattdessen werde es künftig drei Sparten bei Disney geben, kündigte Iger am Mittwoch an: eine Unterhaltungssparte, die Film, Fernsehen und Streaming umfasst, eine auf Sportinhalte fokussierte Einheit, in der auch der Streamingdienst ESPN+ angesiedelt ist, sowie den Bereich Disney Parks, Erlebnisse und Produkte. Die Umstrukturierung werde Abläufe straffen, das Geschäft effizienter machen und die Kosten senken, hieß es. Zuletzt hatte Disney während der Corona-Pandemie 32.000 Mitarbeiter entlassen, vor allem in Themenparks. Diesmal dürften die Stellenstreichungen vor allem die Bereiche Marketing, Technologie und Inhalteproduktion betreffen.

Disney wolle die jährlichen Kosten um 5,5 Milliarden Dollar (5,1 Milliarden Euro) senken, kündigte CFO Christine McCarthy an. 3 Milliarden Dollar will der Konzern demnach bei der Content-Produktion einsparen. Die Flut an neuen Inhalten auf Disneys Streamingdiensten dürfte künftig also deutlich geringer werden. Die restlichen 2,5 Milliarden Dollar an Einsparungen sollen die Stellenstreichungen sowie verkürzte Marketingbudgets möglich machen.

Zwar verdiente Disney zuletzt besser als erwartet: In den drei Monaten bis Ende Dezember legte der Gewinn im Jahresvergleich um elf Prozent auf 1,3 Milliarden Dollar (1,2 Milliarden Euro) zu. Die Erlöse wuchsen um acht Prozent auf 23,5 Milliarden. Damit übertraf Disney die Prognosen. Dennoch: Bei seinem wichtigsten Streamingdienst Disney+ verlor der Konzern nach deutlichen Preiserhöhungen Abonnenten. Zum Quartalsende hatte der mit Netflix konkurrierende Videodienst weltweit 161,8 Millionen Nutzer – gut ein Prozent weniger als drei Monate vorher. Außerdem fiel der Verlust der Streamingsparte mit 1,1 Milliarden Dollar zwar etwas niedriger aus als befürchtet – aber immer noch deutlich zu hoch, um Igers optimistisches Ziel, die Streamingsparte bis 2024 profitabel zu machen, realistisch erscheinen zu lassen.

Bei Anlegern kamen Igers Pläne gut an – sie ließen die Aktie nachbörslich zeitweise um rund sieben Prozent steigen. Um sie künftig noch glücklicher zu machen, ist sich Iger offenbar nicht zu schade, auch solche Entwicklungen kritisch zu beurteilen, die er selbst vor wenigen Jahren angestoßen hatte.

In einem nächsten Schritt könnte Disney deshalb jetzt vom rigorosen Lizenzkurs abrücken, der auf Iger selbst zurückgeht und den sein Nachfolger Chapek konsequent weiterverfolgt hatte. Der Konzern wolle seine Filme und Fernsehserien künftig wohl wieder vermehrt an andere Mediendienste lizenzieren, berichtete Bloomberg am Wochenende. Disney wolle künftig wieder „mehr Geld mit seiner Content-Bibliothek einnehmen“. Dass man damit am eigenen Stuhl sägen könnte, spielt plötzlich offenbar keine Rolle mehr: Noch vor einem Jahr hatte Iger Lizenzverkäufe mit dem Argument abgewunken, dass sich andere Medienkonzerne so „auf dem Rücken unserer Filme“ eine weltweite Kundschaft aufbauen könnten, um dann „mit ihren eigene TV- und Filmproduktionen unmittelbar mit uns um Personal und Geschichten zu konkurrieren“.

Unter Handlungsdruck steht Disney nicht zuletzt wegen Nelson Peltz. Im November 2022 hatte der Hedgefondsmanager mit seinem Unternehmen Trian Fund Management etwa 0,5 Prozent der frei verfügbaren Aktien des Konzerns erworben. Peltz ist berüchtigt dafür, Unternehmen, bei denen er einsteigt, ordentlich aufzumischen. Was er nun auch bei Disney vorhat. Er wirft Iger unter anderem vor, Disney mit der 2019 erfolgten Übernahme von 21st Century Fox zu hohe Schulden aufgelastet zu haben. Auch stecke der Konzern zu viel Geld in die verlustreiche Streaming-Sparte. Peltz fordert zudem, dass Disney die Dividendenzahlungen, die in der Coronakrise ausgesetzt wurden, zum Geschäftsjahr 2025 wieder aufnimmt.

Die Rückkehr des langjährigen Chefs Bob Iger an die Spitze des Medien- und Unterhaltungsriesen Walt Disney ist keine Garantie für eine Börsen-Trendwende zum Guten.
von Frank Doll

Mitte Januar verlangte der Milliardär einen Sitz im Verwaltungsrat. Der Unterhaltungskonzern lehnte ab – und begründete das mit Peltz‘ „mangelndem Fachwissen und Erfahrung“. Bei der diesjährigen Aktionärsversammlung am 3. April wird es nun zu einer Kampfabstimmung kommen: Disney hält seine Aktionäre an, gegen einen Verwaltungsratssitz von Peltz zu stimmen. Bis dahin muss Iger die Mehrzahl der Aktionäre davon überzeugen, dass es Peltz‘ Einfluss in der Disney-Führung in der Tat nicht braucht. Und, dass er selbst die richtige Strategie für die Zukunft in petto hat.

Lesen Sie auch: Stress in Disneyland: Warum dieser Hedgefonds-Manager Disney Ärger macht

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%