ÖBB-Chef Matthä „Nachtzüge haben eine große Zukunft“

Die ÖBB betreiben derzeit 18 Nightjet Linien und acht Strecken mit Partnern. Sie verbinden Städte von Hamburg und Berlin im Norden, Rom und Mailand im Süden und Zürich und Düsseldorf im Westen. Quelle: imago images

Die Österreichischen Bundesbahnen bauen ihre Nachtzugverbindungen aus und hoffen auf eine Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn. ÖBB-Chef Andreas Matthä erklärt im Interview, wie gut das Geschäft funktioniert, welche Städte Potenzial haben und warum der Schlafwagen so gut gebucht wird.

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WirtschaftsWoche: Herr Matthä, wann sind Sie das letzte Mal mit dem Nachtzug gefahren?
Andreas Matthä: Das ist gar nicht so lange her. Vor circa sechs Wochen von Wien nach Berlin. Ich fahre immer mal wieder mit dem Nachtzug. Das ist eine sehr angenehme Form des Reisens. Ich spare mir das Hotelzimmer und komme mitten in der Stadt an - das ist viel entspannter als fliegen.

Sie sind seit 2016 Chef der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Die Deutsche Bahn ist damals aus dem Nachtzuggeschäft ausgestiegen, die ÖBB haben in den Nightjet investiert und einen Teil der Nachtzüge der Deutschen Bahn übernommen. War das ein guter Deal?
Wir sind sehr zufrieden. Wir haben damals 40 Prozent der Nachtzuglinien der Deutschen Bahn übernommen. In diesem Jahr werden wir voraussichtlich 1,5 Millionen Passagiere im Nachtzug durch Europa fahren. Das entspricht einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr von über zehn Prozent. Einzelne Linien wie Zürich – Wien laufen deutlich besser. Dort sind wir 2019 um 20 Prozent gewachsen.

Mehr Fahrgäste sind das eine. Ist das Nachtzuggeschäft für sich genommen denn auch profitabel?
Es gibt mehrere Dimensionen, wie wir Erfolg definieren. Wirtschaftlich ist das Nachtzuggeschäft okay, aber man wird damit nicht reich. Es ist und bleibt ein Nischengeschäft. Wir fahren Hotelzimmer durch die Nacht, das heißt Aufwand und Produktionskosten sind hoch. Der Nachtzug bringt uns aber ein enorm positives Image. Nachtzüge sind rollende Werbung. Das wirkt sich auf andere Geschäftsfelder aus. Wir haben die zufriedensten Kunden in der Europäischen Union.

Das heißt aber, dass der Nachtzug unterm Strich ein Verlustgeschäft ist?
Nicht jede einzelne Linie wäre für sich genommen profitabel zu bewirtschaften. Was uns immer wieder schmerzt sind Änderungen im Betrieb wie Baustellen und Vollsperrungen in der Nacht. Busersatzverkehre sind für den Nachtzug so nicht möglich. Zum Glück kommt das nicht sehr häufig vor. Unterm Strich ist das Geschäft leicht schwarz.

Die ÖBB werden staatlich bezuschusst, um Nachtzüge zu betreiben. Sind Subventionen notwendig, um das Geschäft in Europa auf Dauer erfolgreich zu betreiben?
Die ÖBB erhalten keine Subventionen, sondern klar definierte Leistungsbestellungen auf innerösterreichischen Relationen. Der Staat will damit Pendler unterstützen und ihnen sehr späte beziehungsweise sehr frühe Zugverbindungen ermöglichen. Die Förderung gilt aber nur für die Verbindungen innerhalb Österreichs. Sobald unsere Züge die Grenze überqueren, zahlt der Bund nichts mehr.

Wie wichtig sind diese Subventionen für die Bilanz?
Die Leistungsbestellungen sind ein angenehmes Zubrot. Auf bestimmten Linien etwa von Wien nach Bregenz oder Graz nach Feldkirch gewinnen wir zusätzliche Kunden. Es ist aber nicht entscheidend für die schwarze Null. Was dem Segment deutlich mehr helfen würde, wären niedrigere Trassenpreise, etwa auf dem Niveau der Güterzüge. Europaweit zahlen Personenzüge deutlich mehr Schienenmaut als Güterzüge. Zumindest nachts sollte man Schlaf- und Liegewagen entlasten.

Die Deutsche Bahn hat ihre Nachtzüge 2016 eingestellt. Die ÖBB haben Linien und den Großteil der Flotte übernommen. Was machen Sie besser als Ihr Pendant aus Deutschland?
Wir haben von der Deutschen Bahn damals nur 40 Prozent des damaligen Netzes übernommen, haben uns aber auf die stärksten und zu uns ins Netz passenden Strecken fokussiert. Wir glauben, dass wir unser Nachtzuggeschäft effizienter organisieren. Bei unseren Nachtzügen verbinden wir auf Teilstrecken mehrere Linien. Zusätzlich bieten wir auf einigen Relationen auch Autotransportwagen an. Wir haben damit einen Weg gefunden, wie wir günstiger produzieren als die Deutsche Bahn damals.

Und wohin geht die Nachtzugreise in den nächsten Jahren?
Nachtzüge ergeben erst auf langen Distanzen richtig Sinn. Idealerweise können Kunden am Abend zwischen 20 und 22 Uhr einsteigen und am nächsten Morgen zwischen 7 und 9 Uhr am Zielort aussteigen. Sie können dann gut schlafen, frühstücken und kommen entspannt in den Tag. Die engen Zeitfenster für die perfekte Reise machen das Angebot aber auch komplex.

Sind die Distanzen innerhalb Deutschlands für das Nachtzuggeschäft überhaupt geeignet?
Man braucht schon eine Fahrtzeit von acht bis zehn Stunden, damit das Angebot robust gut angenommen wird. Verbindungen von Berlin bis Freiburg und von München bis Hamburg haben sich gut entwickelt. Wir sehen auch hohe Zuwachsraten aus Düsseldorf, wo wir den Nightjet nach Wien und Innsbruck schicken. Unsere Kunden sind Urlauber und Familien. Der Geschäftsreisende ist ein kleineres Segment, nimmt aber stetig zu. Gerade in Deutschland sind aber die Hochgeschwindigkeitszüge im Tagverkehr eine Alternative zum Nachtzug.

Die ÖBB haben 13 neue Nachtzüge bei Siemens bestellt. Es gibt weiterhin drei Klassen. Was ändert sich sonst?
Die ÖBB betreiben derzeit 18 eigene Nightjet Linien und acht weitere Nachtzugstrecken mit Partnern. Unser Netzwerk verbindet europäische Städte von Hamburg und Berlin im Norden, Rom und Mailand im Süden und Zürich und Düsseldorf im Westen. Ab Januar 2020 werden wir zwei Mal pro Woche von Wien und Innsbruck nach Brüssel fahren. Dann können auch Münchener über Nacht in Europas Hauptstadt fahren. Ende 2020 verbinden wir auch Amsterdam mit Wien und München

Die Deutsche Bahn hat sich zwar aus dem Nachtzuggeschäft zurückgezogen, doch zuletzt gab es wieder Überlegungen, als Partner mit den ÖBB einzusteigen. Wie ist der Stand?
Wir sind in Gesprächen und würden es begrüßen, wenn die Deutsche Bahn als Kooperationspartner einsteigen würde. Unsere Partnerschaft mit den SBB zeigt, wie erfolgreich eine Kooperation laufen kann. Wir fahren zusammen von Zürich nach Berlin beziehungsweise Hamburg. Jedes Jahr transportieren wir auf diesen beiden Strecken rund 100.000 Passagiere - mit Zuwachsraten von zuletzt deutlich über zehn Prozent. Das Beispiel zeigt: Das Nachtzuggeschäft kann funktionieren.

Und wie könnte die Deutsche Bahn einsteigen?
Wir diskutieren derzeit unterschiedliche Kooperationsmodelle. Wir könnten stärker beim Ticketvertrieb zusammenarbeiten oder Nachtzüge gemeinsam betreiben. Wir könnten auch über eine gesellschaftliche Verschränkung nachdenken, um gemeinsam die Expansion der Nachtzüge in Europa voranzutreiben. Die Marke Nightjet ist heute in Europa gut etabliert. Da sind wir stolz drauf.

Welche Zukunft sehen Sie für den Nachtzug in Europa?
Nachtzüge haben eine große Zukunft in Europa, sie wären eine wunderbare Botschaft für die weitere Vertiefung Europas. Wir haben einige Länder und Strecken definiert, die für Nachtzugreisen interessant sind. Paris wäre ein spannendes Ziel – zum Beispiel ab Berlin. Auch Stockholm-Hamburg oder Zürich-Barcelona sind interessant. Es darf keine Denkverbote geben. Die Klimadebatte spricht für die Eisenbahn. Ein Zug verursacht 31 mal weniger CO2 als ein Flieger. Wir müssen aber schnell entscheiden, ob und inwieweit wir gemeinsam mit anderen Bahnen wie den SBB oder der Deutschen Bahn das Nachtzuggeschäft in Europa ausbauen und stärken wollen. Wir brauchen Vorlaufzeit, um in neue Züge zu investieren und Trassen zu beantragen.

In den Nachtzügen setzen Sie auf drei Klassen: die klassische Schlaf-Kabine, die Liegewagen und die Sitzwagen. Wird das Geschäft dadurch nicht überkomplex?
Wir bieten drei unterschiedlichen Zielgruppen unterschiedliche Reisemöglichkeiten an und erreichen damit preissensible und Premiumkunden. Der Schlafwagen ist sehr gut gebucht, da gibt es oft Wochen zuvor schon keine Plätze mehr. Im Liege- und Sitzwagen schwankt die Auslastung je nach Verkehrskonkurrenz. Sobald Billigflieger die Städte verbinden, spüren wir das in den Buchungszahlen. Wir werden aber zukünftig mit den MiniSuites auf noch mehr Komfort im Liegewagen setzen.

Mehr zum Thema: Seit Jahrzehnten fahren Nachtzüge durch Europa. Der spezielle Charme des Nischenangebots ist bis heute erhalten geblieben. Doch plötzlich steht die rollende Schlafkabine vor einer Renaissance – vor allem aus einem Grund.

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