Tourismus Wie Touristen die Städte übernehmen

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Der Preis ist die empfindlichste Stelle

Experten gehen davon aus, dass dies die Branche an der empfindlichsten Stelle treffen werde: beim Preis. Denn für schlechter bewertete Angebote zahlen Kunden weniger, so einfach ist das. Selbst die Flugzeughersteller wie Airbus könnten demnächst in den Abwärtsstrudel gezogen werden: „Wenn immer mehr Ziele keine zusätzlichen Reisenden aufnehmen können oder wollen, kaufen die Airlines weniger neue Flugzeuge“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt.

Wie stark das Thema derzeit die beliebtesten Ferienregionen verändert, darüber kann man aber weniger mit den Konzernen reden, die Gesprächen dazu ausweichen. Das erlebt man dafür umso intensiver bei Ada Colau in der Plaza Sant Jaume Nummer 1 in Barcelona. Der Kontrast zwischen dem ehrwürdigen Rathaus und der seit Juni 2015 darin amtierenden Herrin könnte kaum größer sein. Der Palazzo aus dem 14. Jahrhundert liegt kaum 400 Meter von der Vorzeigestraße La Rambla. Mit seinen mächtigen Marmorsäulen und den Statuen des katalanischen Künstlers Juan Miró steht er für all die Sehenswürdigkeiten, die das Reiseziel zum drittgrößten Europas gemacht haben. Selbst die Anschläge jüngst haben den Andrang nicht mittelbar gebremst. Nur London und Paris ziehen noch mehr Gäste an.

Drinnen findet man dennoch eine verstörte Stadtherrin vor. Nicht nur, weil Colau die katalanischen Separatisten fürchtet, weil sie den Wohlstand der Stadt zerstören könnten. Der baut auch auf Tourismus auf. Und das ist ihr Problem: Barcelona hat unter allen europäischen Reisezielen das größte Wachstum (siehe Grafik). Die jedes Jahr knapp acht Millionen Übernachtungsgäste sowie die gut zehn Millionen Tagesbesucher haben das Leben in der Stadt zum Ausnahmezustand gemacht. Die 43-Jährige beschreibt das Zentrum ihrer Heimatstadt als „Barcelona-Freizeitpark voller McDonald’s und Souvenirshops, aber ohne echte Identität“.

AirbnBoom: Übernachtungsbesucher beliebter Reiseziele (in Millionen).

Um das zu ändern, will sie Eigentümer oder Investoren, die Ferienwohnungen anbieten und nach Kräften zusätzliche Apartments kaufen, nun Einhalt gebieten. Es dürfen keine neuen Ferienwohnungen mehr angeboten werden. Denn dank der Wohnungsknappheit steigen die Mieten pro Jahr vielerorts um die Hälfte in der Stadt. Viele Einheimische können sich das ebenso wenig leisten wie Kleinbetriebe, Gasthäuser oder Gemüsegeschäfte. Ihre Läden weichen dann Starbucks-Filialen und Zara-Läden. Und wer durchhält, fühlt sich fremd. „Die Miete für Ferienwohnungen in diesem Viertel zerstört das soziokulturelle Geflecht und fördert Spekulation. Darum müssen immer mehr Anwohner wegziehen. Genießen Sie Ihren Aufenthalt!“, grüßen die Anwohner etwa auf vielen Plakaten Besucher.

Bengalo-Nebel und zerstörte Fahrräder

Damit sich die „Stadt nicht auf dem Altar des Massentourismus opfert“, hat Colau nun auch den Bau neuer Hotels und Ferienanlagen gestoppt und Vermittlungsportalen wie Airbnb oder Homeaway für nicht angemeldete Urlauber-Apartments Strafen von bis zu 60 000 Euro aufgebrummt. Nun sollen Sonderabgaben folgen, nicht nur für Übernachtungsgäste, sondern auch für die Kunden von Kreuzfahrtschiffen und Tagestouristen. Ihren Wählern war das noch nicht genug. „Bürgermeisterin, drei Monate ohne Lösung? Los!“, skandierten sie jüngst auf einer Demonstration. Mit einer Kanone simulierten sie einen Schuss auf die örtliche Airbnb-Zentrale.

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