Tourismus Wie Touristen die Städte übernehmen

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„Tourist = Terrorist“

Noch sind solche Aktionen und Wandparolen wie „Tourist = Terrorist“ die Ausnahme. Doch Experten wie der ehemalige TUI-Vorstand Born fürchten, dass die Stimmung irgendwann ganz kippt. Denn das Problem schwillt weltweit an.

Immer mehr Singles und wohlhabende Pensionäre in den Industriestaaten verschieben die Nachfrage weg von Familienurlauben hin zu mehr Kurzreisen. Irgendwer ist übers Jahr so immer irgendwo unterwegs. Und die Globalisierung tut ihr Übriges dazu: In China werden spätestens im nächsten Jahr erstmals mehr Menschen Auslandstrips buchen als im traditionellen Reiseweltmeisterland Deutschland. Laut einer Studie des WTTC genannten Weltverbands der großen Touristikunternehmen wird die Zahl der Reisenden von 1,2 Milliarden im vorigen Jahr bis 2026 auf 1,8 Milliarden anwachsen.

Besonders heikel: „Ein großer Teil will vor allem die heute schon überlasteten schönsten und wichtigsten Orte in Europa sehen“, sagt Tourismusexperte Born. Und weil es fast keine neuen Ziele gibt und durch Terrorangst und politische Probleme viele Gebiete wie die Türkei oder Teile Indonesiens ausfallen, drängt sich die ganze Welt noch enger in den verbliebenen sicheren und schönen Regionen zusammen.

Wo Tourismus in Deutschland funktioniert
Küste Quelle: dpa
Küste Quelle: imago images
Ein Blick in den Osten Quelle: dpa
Osten Quelle: dpa
Das Ruhrgebiet – Kultur als Anschub Quelle: dpa
Ruhrgebiet Quelle: dpa
Sachsen-Anhalt hofft auf Nachhall Quelle: dpa

Das gibt einem regelrechten globalen Touristenhass Auftrieb: In Mallorca etwa ziehen die Einheimischen in Großdemonstrationen gegen die Touristen zu Felde. Vor knapp drei Wochen erst gab es auf der Plaça d’Espanya im Nordwesten der Inselhauptstadt Palma eine der größten Kundgebungen überhaupt. Mehrere Tausend Einheimische begrüßten die vorbeiflanierenden Touristen am nahen Busbahnhof mit Pfeifkonzerten und Plakaten, auf denen Parolen wie „Tourismus tötet“ zu lesen waren. Und immer wieder zünden auf der Insel Vermummte vor Restaurants gleißende Bengalo-Nebel, wie sie sonst Hooligans in Fußballstadien einsetzen. Andere stoppten gar einen Bus, besprühten die Fenster, zerstachen die Reifen. „Wir dachten: Das ist ein Anschlag“, so einer der Passagiere später.

Auch Venedig meldet gewalttätige Proteste, Einheimische blockierten Kreuzfahrtschiffe auf dem Weg in die Lagune. In Barcelona wiederum stießen empörte Anwohner Touristen von ihren Fahrrädern und zerstörten diese vor deren Augen. Selbst am Jakobsweg von Südfrankreich nach Spanien geht es zunehmend unchristlich zu. „Pilger, haut ab“ oder „stinkende Hipster“ rufen die Anwohner schon mal Wanderern zu. Und im Ihwa Mural Village in Koreas Hauptstadt Seoul zerstörten Bewohner gar einen Teil ihrer in ganz Asien geschätzten Wandmalereien, bloß um die Touristen fernzuhalten.

Der Unmut birgt längst politische Sprengkraft. „Wachsende Besucherzahlen und ihre Nebenwirkungen könnten ein Hauptthema der Kommunalwahlen im März 2018 werden“, sagt etwa Frans van der Avert, Chef von Amsterdam Marketing, einer Agentur, die das Image der Stadt vermarktet. So könnten bei den anstehenden Kommunalwahlen die fremden- und europafeindliche Partei PVV und ihr Chef Geert Wilders wieder Auftrieb erhalten, fürchtet Avert. Die Wut auf die Touristen beeinflusst längst auch die Willensbildung in Deutschland. „Bei der Volksabstimmung über die Zukunft des Berliner Flughafens Tegel stimmten viele Anwohner für eine Offenhaltung, weil der Fluglärm ihrer Meinung nach den Zuzug von Touristen, Besserverdienern und Hipstern aufhält“, sagt der Berliner Medienberater Felix Zimmermann.

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