Breitbeinig sitzt er auf der Rückbank einer Limousine, eingerahmt von zwei leicht bekleideten Damen, gelangweilt auf dem iPhone spielend, als Travis Kalanick, Chef des Taxidienstes Uber, seinen Fahrer abkanzelt: „Du gehörst zu den Leuten, die für ihre Probleme nur die Schuld bei anderen suchen.“ Kalanicks Reaktion auf die Kritik des Fahrers an Preissenkungen Ubers ließ der auf Video festhalten – und so gelangte der wenig sympathische Auftritt des Co-Gründers an die Öffentlichkeit.
Das Video wäre für Unternehmenslenker schon per se kein Ruhmesblatt, selbst für einen mit hemdsärmeligem Ruf wie Kalanick. Für den Uber-Anführer aber kann es ungünstiger kaum kommen: Gerade erst hatte er – theatralisch, mit Tränen in den Augen – besseres Benehmen gelobt, nachdem bei Uber Sexismusvorwürfe aufgetaucht waren. „Ich muss mich als Führungskraft fundamental ändern und endlich erwachsen werden“, murmelte Kalanick.
Das neue Video passt dazu eher bedingt. Es unterstreicht einmal mehr, in welch schwierige Lage der dauerpubertierende Gründer sein Unternehmen gebracht hat. Wie kein anderes Unternehmen aus dem Silicon Valley steht Uber für Expansion und Wachstum um jeden Preis, für den Angriff auf ganze Branchen, auch für Skrupellosigkeit. Seit der Gründung 2009 hat die Mitfahr-App aus San Francisco ihre oft um ein Vielfaches größeren Wettbewerber vor sich hergetrieben: Taxifahrer weltweit bangen um ihre Zukunft; Logistikkonzerne erzittern, sobald der Name Uber nur in einer Branchenstudie auftaucht. Eine Wachstumsstory, die Investoren auf eine Bewertung von fast 70 Milliarden Dollar aufgeblasen haben; kein Unternehmen der Welt, nicht Google oder Facebook, war je schon vor seinem Börsengang so teuer.
Das Wichtigste zu Uber
Uber, eigentlich Uber Technologies Inc, gegründet im März 2009, startete seinen Service 2011 in San Francisco. Zunächst beschränkte sich das Angebot auf einen Chauffeur-Service („UberBlack“), der für einen etwas höheren Preis Limousinen als Alternative zu den im Silicon Valley damals notorisch knappen Taxis bot. Das Unternehmen expandierte aber schnell in andere US-Metropolen, von 2012 an auch international, und erweiterte auch seine Dienste. In vielen US-Metropolen und seit November 2015 auch in London können Uber-Fahrer mehrere Fahrgäste unterwegs aufnehmen und eine Art Sammeltaxi auf Zeit bilden; die Kunden teilen sich den Preis („UberPool“). Der bei Kunden erfolgreichste, aber auch mit Abstand kontroverseste Service ist UberX (In Deutschland bis April 2015 als „UberPop“ im Angebot). Dabei kann der Kunde über sein Smartphone in der Nähe befindliche Privatleute anheuern, die ihn gegen Geld mit ihrem Auto befördern, von Uber vermittelt. In der Regel unterbietet Uber so den Preis einer vergleichbaren Taxifahrt um 25 bis 40 Prozent. Uber gilt als das am höchsten bewertete Start-up der Welt- Der Umsatz soll schnell wachsen, allerdings schreibt Uber noch hohe Verluste.
Der Kunde gibt auf seinem Handy den gewünschten Abholort ein. Nach der Eingabe des Zielorts erscheinen die verfügbaren Uber-Fahrer in der Nähe seines Standortes als kleine Auto-Symbole in der App. Auf Wunsch kann nun der voraussichtliche Fahrpreis angezeigt werden. Nachdem der Kunde die Fahrt verbindlich bestellt hat, bekommen die Uber-Fahrer den Fahrwunsch samt Strecke auf ihrer App angezeigt. Nimmt ein Fahrer an, sieht der Fahrgast dessen Bewertung durch frühere Kunden, den Autotyp und Namen des Fahrers.
Das Kernprodukt ist, technisch gesehen, das Routing der Fahrer zum möglichst attraktivsten und nächsten Kunden. Da das System mit GPS arbeitet, kann der Fahrtpreis grob vorausberechnet werden und ein Taxameter ist nicht nötig. Nach der Fahrt wird der Kunde seinerseits aufgefordert, den Fahrer zu bewerten. Um die Bezahlung muss er sich nicht kümmern; die Abbuchung erfolgt automatisch von der bei der ersten Anmeldung hinterlegten Kreditkarte oder PayPal.
Vor allem der Peer-to-Peer-Dienst, bei dem Privatpersonen andere Privatleute gegen Geld befördern, ist es, der von Taxiunternehmen heftig bekämpft wird. In Deutschland ist er seit Frühjahr 2015 sogar ganz untersagt, seit Gerichte den Argumenten der Taxibranche folgten. Die argumentierten mit unlauterem Wettbewerb: Bei UberPop (in anderen Ländern UberX) werden die oft nebenberuflichen Fahrer lediglich auf ihr Verkehrspunktekonto und auf ein Polizeiliches Führungszeugnis überprüft, während Taxifahrer einen Personenbeförderungsschein, Gesundheitsprüfungen, besondere Versicherungen und (wenn sie ihr eigenes Unternehmen gründen wollen) in vielen Städten eine teure Lizenz benötigen. Das Uber-Auto muss lediglich jünger als zehn Jahre sein, vier Türen und Kofferraum aufweisen und natürlich verkehrssicher sein, während Taxis speziell geprüft werden.
Doch der Uber-Flieger scheint vom Glück verlassen. Zur Debatte um die Unternehmenskultur hat sich Uber jetzt eine Klage von Google eingehandelt. Patente für selbstfahrende Autos sollen geklaut sein. Ohnehin kämpft Uber gegen Fahrverbote weltweit, strengere Regulierung und erfolgreiche Nachahmer. Nun werden erste Investoren nervös: Sie sehen durch die Probleme den Wert ihrer Anteile in Gefahr, sollte das Start-up bei dem für dieses Jahr geplanten Börsengang nicht den gewünschten Preis einspielen.
Zumal auch das Uber-Kerngeschäft noch immer nicht läuft: Weder dominiert Uber das Vermitteln von Personenfahrten, noch läuft es profitabel. In den ersten neun Monaten 2016 machte Uber aus 3,76 Milliarden Dollar Umsatz 2,2 Milliarden Dollar Verlust; neuere Zahlen veröffentlicht Uber noch nicht, aber sie dürften sich kaum verbessert haben.
Wie viel Potenzial steckt noch im vermeintlich wertvollsten Start-up der Welt?
Die Harte-Jungs-Kultur
Wie sehr sich Uber vom Faszinosum des Silicon Valley zum Krisenherd gewandelt hat, zeigt die Personalie Amit Singhal: Singhal sollte das neue Mastermind für Ubers Software werden. Kalanick feierte 2016 die Neuverpflichtung: Singhal galt nach 16 Jahren an der Spitze der bisher erfolgreichsten Idee des Internetzeitalters – Googles Suchmaschine – als Softwaregenie und Erfolgsgarant. Doch nach wenigen Wochen im Amt muss Kalanick ihn entlassen: Google hatte wegen sexueller Belästigung gegen Singhal ermittelt, wie erst jetzt bekannt wurde. Vor Kurzem hätte Kalanick Singhal vielleicht noch einen Klaps auf die Schulter gegeben. Doch Uber hat gerade selbst einen Belästigungsskandal am Hals.
Weltweiter Boykott
Die Ingenieurin Susan Fowler schrieb Mitte Februar in ihrem Blog, sie sei von Vorgesetzten zum Sex gedrängt und nach einer Beschwerde in der Personalabteilung systematisch gemobbt worden. Hunderte Mitarbeiter haben seitdem die Atmosphäre bei Uber beklagt. Das Gesamtbild: Bei Uber herrsche eine vergiftete und testosterongeladene Arbeitsatmosphäre, in der sich eine Günstlingskaste umso mehr herausnimmt, je näher sie dem Co-Gründer Kalanick steht. Regeln gebe es kaum. Frauen würden als Freiwild betrachtet, Erfolge gerne mit Alkohol und Kokain gefeiert. Kalanick bestreitet all das.
Eine „Kultur mangelnden Respekts, exklusiver Cliquen und der Duldung von Mobbing und Belästigung jeder Art“ werfen Mitch und Freada Kapor den Uber-Bossen vor. Das prominente Investorenpaar gehört zu den ersten Geldgebern Ubers. Mitch Kapor, der mit Lotus Software selbst ein Milliardenunternehmen hochzog, ist es leid, immer nur Entschuldigungen von Kalanick zu hören: „Real verändert sich nichts“, sagt er.
Dass sich Investoren der Schar der Kritiker anschließen, mag auch damit zu tun haben, dass Ubers Machokultur nicht mehr folgenlos bleibt fürs Geschäft: Weltweit rufen vor allem Frauen zum Boykott auf. Auch weil Kalanick sich, wie Elon Musk, Peter Thiel und andere Silicon-Valley-Alphamänner, im Beraterstab Donald Trumps engagierte, hagelte es Kritik. Der Kundenprotest eskalierte, als Taxifahrer in New York geschlossen wegen Trumps Einreiseverbot für Muslime streikten und Uber den Streikbrecher gab. Tausende Kunden löschten daraufhin die Uber-App von ihren Smartphones. Uber soll zudem Handy- und Kreditkartendaten auswerten, die auf Polizisten schließen lassen. Damit die nicht den Uber-Fahrern Verstöße nachweisen können, werden sie als Fahrgäste abgelehnt.
Uber fehlten „der moralische Kompass und die Strukturen, um einen solchen zu etablieren“, meint Silicon-Valley-Wagnisfinanzierer Ram Srinivasan. In so einer Atmosphäre sei es schwierig, dauerhaft Erfolg zu haben, weil man gute Mitarbeiter kaum halten könne. Lise Buyer, die Architektin von Googles Börsengang, warnt: „Wenn die Kultur als vergiftet oder unfair empfunden wird, ist das im Silicon Valley, wo ein harter Konkurrenzkampf um Ingenieure und Programmierer tobt, nahezu unmöglich.“
Während die Uber-Manager noch damit beschäftigt sind, den Imageschaden einzudämmen, kommt die nächste Breitseite: Google hat Uber nun verklagt. Die Google-Mutterholding Alphabet ist, wie die Kapors, einer der ältesten Uber-Geldgeber: 2013 investierte Google Ventures 250 Millionen Dollar in Uber. Nun aber beklagt Google, Ubers Technologie für selbstfahrende Autos, erst 2016 für 680 Millionen Dollar von einem Start-up namens Otto gekauft, beruhe auf geklauten Google-Patenten. Stimmt das, wäre dies für Uber ein empfindlicher Schlag: Selbstfahrende Taxis und Lieferwagen sind Kern von Ubers Geschäftsvisionen. Kalanick bestreitet auch diese Vorwürfe. Doch Google wird in seiner Klageschrift sehr konkret. Der Ex-Google-Manager und Otto-Gründer Anthony Levandowski habe kurz vor seiner Kündigung 14.000 technische Dokumente Googles entwendet.
Google als Gegner
Überhaupt wird der einstige Partner zum Konkurrenten. Mit seiner Navigations-App Waze greift Google sogar Ubers Herzstück an, den in Deutschland verbotenen Amateur-Mitfahrdienst UberPool. Seit Anfang vergangener Woche können sich Autofahrer mit Waze zu Fahrgemeinschaften zusammentun; die Mitfahrer bezahlen die Fahrer – wie bei UberPool. Und: Anders als viele erfolgreiche Start-ups, etwa AirBnB, Palantir oder Spotify, dominiert Uber auch acht Jahre nach seiner Gründung noch immer nicht sein Kerngeschäft. US-Konkurrent Lyft läuft Uber in einigen US-Städten inzwischen gar den Rang ab. Weltweit gerät das Kerngeschäft an Wachstumsgrenzen: In China musste Uber sich dem staatlich gestützten Konkurrenten Didi Chuxing geschlagen geben, verkaufte dort sein Geschäft gegen eine Finanzbeteiligung von 20 Prozent an Didi. Noch vor Kurzem wurde China Investoren als großer Wachstumsmarkt präsentiert. In Indien, dem diese Rolle nun zugefallen ist, hinkt man der ebenfalls bestens politisch verdrahteten Ola hinterher. „Wir müssen schlicht den besseren Service bieten“, gibt sich Uber-Indien-Manager Christian Freese kämpferisch. In einigen europäischen Ländern, darunter Deutschland, sind große Teile der Uber-Dienste bereits ganz verboten.
Zurück in den Vorwärtsgang
Uber-Manager sprechen nun von Arabien, Pakistan oder Iran als „Riesenchancen“. Weil in einigen muslimischen Ländern Frauen nicht Auto fahren dürften und der öffentliche Nahverkehr oft unsicher für sie ist, verspricht sich Uber Potenzial. In Saudi-Arabien ging diese Taktik nach hinten los. Frauen brachen einen neuerlichen Proteststurm gegen Uber vom Zaun: Mit seinem Angebot festige das Unternehmen die Diskriminierungen. Uber tritt nun in fast allen wichtigen Märkten auf der Stelle. Wie wieder in den Vorwärtsgang kommen?
Artverwandte Dienste, haben sich Kalanick und seine Manager überlegt, könnten ein gutes Geschäft sein. Motto: „Wenn der Fahrer X eh mit Passagieren von A nach B unterwegs ist, kann er gleich noch eine Pizza oder ein Couvert mitnehmen.“ Klingt bestechend logisch, aber der Teufel steckt im Detail. UberEats, der Service, bei dem die Uber-Fahrer und Fahrradkuriere Essen ausfahren, ist weltweit in 67 Städten verfügbar. Doch das Geschäft ist kaum skalierbar, weil zu den Stoßzeiten mittags und abends sehr viel mehr Fahrer gebraucht werden als den ganzen Rest des Tages. In dem Markt sind neben den traditionellen Pizzafahrern schon Amazon und zahlreiche Start-ups wie Lieferando und Foodora unterwegs. Auch der Logistikmarkt ist umkämpft. UberRush, der Kurierdienst, konkurriert mit Amazon, Post, FedEx, UPS sowie lokalen Diensten.
Kürzlich veröffentlichte Uber ein 98-seitiges Whitepaper mit dem Titel „Fast-Forwarding to a Future of On-Demand Urban Air Transportation“. Darin skizziert Uber seine Pläne für die Luftlogistik, UberElevate. Dazu will Kalanick Senkrechtstarter und fliegende Autos bauen lassen. „Man muss sich fragen, ob Uber sich nicht heillos verzettelt“, schimpft ein Investor aus Menlo Park. Uber will noch 2017 Anteile für Milliarden von Dollar an die Börse bringen. Nun sorgen sich seine Investoren, dass sie mit ihren teuer eingekauften Anteilen dabei Verluste einfahren – wenn es überhaupt gelingt.
Investor Srinivasan hält einen Börsengang zwar für möglich. „Aber bei der hohen Bewertung ist er schon kompliziert genug; nun ist er bestimmt nicht einfacher geworden.“ Vor allem habe Uber „keine echte technische Barriere gegen neue Wettbewerber mehr“, sagt Srinivasan.
Aber als diese Woche Snap, die Mutter von Snapchat, an die Börse ging, sprachen die Zahlen auch gegen einen Erfolg. Aber der defizitäre Videodienst aus Los Angeles erlöste 3,4 Milliarden Dollar, ist 24 Milliarden Dollar wert. Noch zu wenig, dachten Börsianer, trieben die Aktie am ersten Handelstag um 44 Prozent nach oben. Offenbar wissen viele Investoren derzeit nicht, wohin mit ihrem Geld – und hoffen auf eine Wende defizitärer Techkonzerne, so wie Travis Kalanick auf seinen Imagewandel.