Weinbau im Klimawandel „Es gibt keine unreifen, kleinen Jahrgänge mehr“

Winzer Wilhelm Weil im Büro des Weinguts Robert Weil in Kiedrich. Weil ist zudem im Präsidium des Verbands der Prädikatsweingüter und Aufsichtsrat der Hawesko AG.

Warme und regenarme Sommer wie in diesem Jahr bescheren den Winzern vermeintlich tolle Weine – jedoch nur, wenn sie einige der althergebrachten Ansichten über Bord werfen, sagt Winzer Wilhelm Weil.

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Herr Weil, der Sommer 2018 gilt als besonders warmer und vor allem regenarmer Sommer, die Ernte steht bevor, teils hat sie schon begonnen. Winzer leben seit jeher mit den Folgen ungewöhnlichen Wetters. Ist 2018 für Sie auch so besonders?
Der Wetterverlauf ist natürlich auch für uns extrem ungewöhnlich. Er ist neben dem Jahr 2003 der wärmste Sommer mit sehr wenig Niederschlag. Wir mussten aber noch keinen Sonnenschirm in unseren Weinbergen aufstellen.

Wie meinen Sie das?
So ein Jahr birgt für uns besondere Herausforderungen. Aber keine Generation zuvor konnte in so einem nördlichen Terroir so zuverlässig gute Qualitäten hervorbringen wie unsere. Unsere Großväter mussten noch alles dafür tun, um die Trauben zur vollen Reife zu bringen – was oft auch nicht gelungen ist. 1976 war ebenfalls ein sehr heißes Jahr, die beiden darauffolgenden Jahre aber wieder kalt. Das passiert heute so nicht mehr.

Also alles prima?
So einfach ist es nicht. Der vielen kühlen Jahrgänge in den letzten Generationen wegen entstand früher ein Maximierungsgedanke, der vielen uns bis heute in den Köpfen steckt. Damals war es nötig, das Höchstmaß an Zucker und Reife zu erzielen – weil es nicht selbstverständlich war. Aber auch die besten Önologen können aus schlechten und unreifen Trauben keine guten Weine machen. Heute müssen wir nicht mehr alles dafür tun, um die maximale Reife zu erreichen. Eine gute Reife ergibt sich automatisch. Die Blüte ist früher, die Trauben reifen früher und in so einem Jahr wie diesem enthalten sie deswegen besonders viel Zucker. Wir müssen heute eher darauf achten, dass die Wachstumsprozesse nicht zu schnell verlaufen.

Sie sehen da eine langjährige Entwicklung?
Ja, es gibt einen klaren Trend zu mehr wärmeren Jahren, wenn man die Jahrzehnte in Summe sieht. Dies führt neben nachhaltiger alljährlich hoher Qualität auch zu wesentlich stabileren Mengenerträgen. In der Gesamtheit haben wir nie so einen Mengenertrag verzeichnen können. Vor 30 bis 40 Jahren war das Blütewetter sehr instabil, wenn man in alten Aufzeichnungen nachschaut. Wenn man richtig weit zurückblickt, gab es nicht selten Totalausfälle.

Was bedeutet das für den Weinbau?
Zunächst einmal ist positiv zu werten, dass wir eine konstante Qualität haben und von einer garantierten physiologischen Reife ausgehen können – das kleine unreife Jahr gibt es nicht mehr. Irgendwann hat das aber, gerade in den wärmeren Weinregionen, seinen Zenit erreicht, was auch zu einer langsamen Rebsortenveränderung führt. Dadurch werden neue Rebsortenstrategien nötig sein. Es werden Weine aus Regionen kommen, die vor Jahrzehnten dafür völlig ungeeignet waren. Ein schönes Beispiel ist England, deren Schaumweine inzwischen eine hohe Qualität haben und denen aus der Champagne Konkurrenz machen können. Gerade dieses Jahr rechne ich mit hervorragenden Ergebnissen von dort. Das sind Evolutionsprozesse, die man gestalten kann. Und muss.

Freuen Sie sich also ein wenig über den Klimawandel?
Wir akzeptieren die Veränderung. Aber wir als Winzer sind uns natürlich auch der Verantwortung bewusst und müssen unseren Beitrag leisten, den Klimawandel ernst zu nehmen. Wir sind uns der dramatischen Folgen für die Umwelt bewusst.

Sie haben unlängst Ihre Gutsweine – also das Einstiegsprodukt – aus 30 Jahren an einem Abend probiert. Welche Erkenntnisse haben Sie dabei über das Wetter gewonnen; was hilft, was schadet?
Früher war die maximale Reife das limitierende Element. Wir stellen fest, dass die mittelreifen Jahrgänge besser sind als die Extreme. In Zeiten der globalen Erwärmung bevorzugen wir endgültig die mittelwarmen beziehungsweise mittelreifen Jahrgänge. Bei der Probe konnten aber der kühlste Jahrgang 2001 und der wärmste Jahrgang 2003 ganz vorne mitspielen, was zeigt, dass wir die Natur nur richtig und sensibel begleiten müssen.

Hat das schon Konsequenzen?
Wir entwickeln uns in langsamen Schritten. Noch mussten wir keine drastischen Maßnahmen ergreifen. Wir sind weit davon entfernt, die Weinberge beispielsweise anders aufzustellen. Auch müssen wir nicht in die Höhe ausweichen. Noch werden die Trauben in höheren Lagen nicht reif – wir im Rheingau hätten aber das Glück, noch nach oben ausweichen zu können. Zwar spüren wir einen langsamen Trend in höhere Weinberge, aber als Berglagenwinzer kommt uns das ja entgegen und wir haben bei weitem die Höhe im Rheingau noch nicht ausreizen müssen. Der Weinbau im Rheingau ist gerade mal bis 300 Meter über NN derzeit möglich. Da haben nachfolgende Generationen noch viel Spiel nach oben.

Was bedeutet diese Entwicklung für den deutschen Wein?
Wir haben inzwischen Sorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot oder Syrah, die in der Vätergeneration nicht reif geworden wären. Chardonnay und Sauvignon Blanc sind schon fast zu Standardsorten geworden. Wenn Sie meinem Vater erzählt hätten, dass Chardonnay und Sauvignon Blanc in Deutschland angebaut werden, hätte er gesagt „dummes Geschwätz“. Sie gehören nicht zu den Ur-Sorten, das hat sich ganz leise über die letzten 20 Jahre entwickelt. Es sind heute mehr als Spezialitäten, gute Ergänzungssorten, mit teils hervorragenden Ergebnissen. Der Sauvignon Blanc wird noch Karriere machen in Deutschland. Und wir können uns im Rheingau im Riesling weiterentwickeln und damit in die Höhe gehen. Neue Anbaugebiete werden entstehen, Rebsorten und Anbaumodalitäten werden sich ändern und wir werden das im Rückblick als selbstverständlich ansehen. All das wird sich evolutionär über mehrere Generationen abspielen.

Kein Grund zur Sorge also?
Wir sind in einer äußerst gemäßigten Situation. Wir haben ja endgültig keine Wasserknappheit. Selbst in diesem trockenen Jahr. Das darf uns nicht verleiten, da nachlässig zu sein. Wir haben die Verantwortung, die Herausforderungen richtig zu begleiten.

Und obwohl noch kein Wein fertig ist – wie wird der Jahrgang 2018?
Vieles gleicht dem Jahrgang 2003, nur dass wir es heute besser können. Der Jahrgang 2018 ist extrem, aber richtig begleitet und rechtzeitig mit hoher Schlagkraft geerntet, werden wir auch die Typizität unserer Weinregionen und die feine Säure in den Weinen erhalten können.

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