




Der Mann ist eine wahre Werbelegende: Der Brite Dave Trott gilt als einer der größten Masterminds der Kreativbranche. In einem Interview sagte er nun aus, der Werbung fehle die Rebellion, sie folge lediglich Trends. Auf die Frage, ob Werbefestivals wie die soeben stattgefundenen Lions Awards in Cannes daran etwas ändern könnten, gab er eine Antwort, die seinen Kollegen nicht gefallen dürfte: Seiner Meinung nach verhindern derartige Preisverleihungen sogar Kreativität.
Man werbe eben nicht für Millionen Menschen auf den Straßen, sondern nur für die zehn Menschen in der Jury. Wer einen Lion mit nach Hause nimmt, bekomme eine Gehaltserhöhung. Und seine Agentur ginge damit auf Jagd nach Neugeschäft. Was, fragt Trott zu Recht, habe das mit der eigentlichen Arbeit der Kreativen zu tun?
Das ist mehr als nur eine schallende Ohrfeige für die 12.000 Kreativen und Werbungschaffenden aus aller Welt, die in der vergangenen Woche nach Südfrankreich zum „Cannes Lions International Festival of Creativity“ pilgerten, sich an den Stränden der Croisette räkelten und abends in den Bars feierten. Es stellt das gesamte Kreativgewerbe an den Pranger.
Löwen für soziale Kampagnen
Bezeichnend ist die Vergabe von allein sechs goldenen Löwen für die Aktion „Rechts gegen Rechts“, bei der ein Aufmarsch von Neonazis auf geniale Weise zu einem unfreiwilligen Spendenlauf umfunktioniert wurde und die „Ice Bucket Challenge“, die der Krankheit ALS eine nie dagewesene Bekanntheit und Spenden in Millionenhöhe einbrachte. Beide Kampagnen sind fraglos sehr kreativ. Es handelt sich dabei jedoch nicht um Wirtschaftswerbung, nicht um Marken, die sich gegen ihre Wettbewerber durchsetzen, sondern um sogenannte soziale Kampagnen. Es sei, so die Kritiker, nun einmal einfacher, eine kreative Kampagne beispielsweise für ein Tierheim in Sao Paulo zu entwickeln, als für eine Joghurt-Marke in den heimischen Regalen.
Einen Grand Prix, die höchste Auszeichnung, erhielt Volvo für die durchaus zweifelhafte Errungenschaft, anderen Automobilherstellern die Aufmerksamkeit der Zuschauer während des Super Bowls zu stehlen. Die Auszeichnung eines Porno-Produzenten hingegen konnte wohl in letzter Sekunde noch verhindert werden.
Löwen für alle
Kritik kommt inzwischen auch von der Werbefachpresse, die sich über die neuerliche Flut von Lions in annähernd 500 Kategorien wundert. Das Frankfurter Fachblatt Horizont schreibt: „Hier stellt sich die Frage, wie weit die Cannes Lions bei ihrem Ziel, immer mehr Einsendegebühren zu kassieren, noch gehen wollen. In den vergangenen Jahren konnte das Festival seine Einnahmen bereits von 11 auf 22 Millionen Euro verdoppeln. Aus rund 300 Kategorien und Subkategorien sind mittlerweile fast 500 geworden.“ Es sei inzwischen ein absurdes System, das den Wert der Trophäe deutlich schmälere. Damit würden lediglich die Einnahmen verdoppelt und verdreifacht - „und die Eitelkeit der Werber doppelt und dreifach befriedigt“. In Cannes gerät die Selbstbeweihräucherung der Werbebranche immer mehr zur Farce.
Angesichts dieser Entwicklung dürfte es auf der Welt bald kaum mehr eine Agentur und einen Kreativdirektor geben, der nicht über einen der ehemals begehrten Cannes Lions verfügt. Dabei hat die Werbebranche derzeit selbst genügend Sorgen und reichlich Baustellen, um die man sich stattdessen kümmern sollte.