Werner Knallhart
Quelle: imago images

Nahverkehr: Bitte mehr First Class in Bus und Bahn!

Wenn der öffentliche Nahverkehr populärer werden soll, muss er angenehmer Alltags-Luxus sein. Mehr als das eigene Auto. Sonst lassen wir das nicht stehen.

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Mein Herzschlag beschleunigt sich immer, wenn ich bei der Fahrt mit dem BerlKönig das Wort „Algorithmus“ höre. Es wird meist begleitet von Halbsätzen wie „Das tut mir leid“ oder „Ich kann nichts dafür“. Denn im Sammeltaxi BerlKönig der Berliner Verkehrsbetriebe BVG berechnet eine Software die optimale Route, um auf dem Weg von A nach B noch Leute in C einzusammeln, die nach D wollen. Und auch alle, die ganz woanders hin unterwegs sind.

Die Idee dahinter ist gut: Sechs Leute, die der BerlKönig einsammelt, sparen nicht nur Geld, sondern lassen auch zwei oder drei eigene Autos stehen. Macht abzüglich des Shuttlebusses ein oder zwei Autos weniger auf der Straße. Das wollen wir doch alle: weniger verstopfte Straßen. Diese schöne „Rufbus“-Idee (von der BVG liebevoll so genannt, um den Taxifahrern das gute Gefühl zu geben, nur sie seien Taxi) hat allerdings auch das Potenzial, einen als Fahrgast psychisch fertig zu machen.

Wie mich vergangene Woche. Prognostizierte Fahrtzeit zum Hauptbahnhof laut App: zwölf Minuten. Tatsächliche Fahrtzeit: 32 Minuten. In der DB-Navigator-App verschwinden vor Ankunft die bunten Live-Startzeit-Zahlen: Der ICE ist weg. Meinem Fahrer tat das sehr leid: „Ey! Ich weiß auch nicht, warum der Algorithmus uns so gelotst hat. Da ist immer voll der Stau.“ Warum wusste das verdammte System das nicht?

Manchmal lässt einen der Algorithmus auch 200 Meter von zuhause entfernt im Regen aussteigen und dann rauscht der BerlKönig von einem weg an der Haustür vorbei. Oder er schickt die Fahrer in lange bekannten Baustellen-Umleitungen an ihren Fahrgästen vorbei.

Es ist also noch nicht alles perfekt an diesem Rufbus-System. Aber es ist geil! Weil es trotz aller Macken ein guter Grund ist, das eigene Auto stehenzulassen – oder sogar abzuschaffen.

In Berlin steht der Rufbus BerlKönig von den städtischen Verkehrsbetrieben vor dem Aus. Quelle: imago images

Aber Berlin ist eben Deutschland und in Deutschland gilt: Entweder es lässt sich mit Studien von mindestens fünf renommierten Unis aus den USA belegen, dass etwas Neues schon längst perfekt funktioniert und die Vorteile nachrechenbar sofort alle Nachteile überwiegen – oder wir machen weiter wie bisher. Und deshalb droht dem BerlKönig schon weit vor dem eigentlich angedachten Ende der Testphase das Aus. Ende April könnte schon Schluss sein: Die rot-rot-grüne Koalition will den BerlKönig nicht finanzieren. Das haben die Fraktionen von SPD und Linken am Dienstag in ihren Sitzungen beschlossen. Die Argumente: zu teuer im Betrieb, zu kleines Einsatzgebiet und vor allem zu wenig Effekt im Sinne der Verkehrswende. Es würden eher die Leute aus den Bussen und Bahnen in den BerlKönig gelockt, als dass die Leute ihr Auto stehen ließen.

Öffentlicher Personenverkehr kann so schön sein

Ich sage: Gebt nicht so schnell auf!

ÖPNV darf nicht sein wie trocken Brot. Das macht zwar auch satt, schmeckt aber nicht. Das eigene Auto stehenzulassen muss das Leben auch schöner machen. Sonst machen wir es nur im ungünstigen Fall, wenn es nicht anders geht. Aber die Mobilitätswende soll uns ja nicht in einen dauerhaften Notfallmodus lotsen, sondern in eine glitzernde, rosige Zukunft.

Dass öffentliche Verkehrsmittel glücklich machen können, zeigt der ICE. Ja, genau, der ICE. Denn so oft wir alle auch über die Deutsche Bahn mit ihren Verspätungen und Unbeholfenheiten lästern: Keiner sagt: „Der ICE ist ein richtig blöder Zug.“

Keiner, der es sich aussuchen kann, fährt freiwillig mit dem Auto vier Stunden von Berlin nach Bielefeld, wenn er das auch mit dem ICE in gut zweieinhalb Stunden erledigen kann. Dabei einen Kaffee trinken, gemütlich aus dem Fenster gucken, Deutschlands grün-blau-graue Landschaft zieht vorbei. Unter den sich friedlich drehenden Windkraftturbinen weiden Wildgänse auf ihrer Rast, die Porta Westfalica bäumt sich auf, die Tageszeitung auf dem Tablet. „Wollen Sie noch ein Croissant?“ Das ist entspannender Reiseluxus. Herrlich!

Stadtbus, U- und S-Bahn hingegen sind oft rumpelig, überfüllt und so schlecht belüftet, dass mitunter die Atemfeuchte die Fenster runterläuft, sich unten am Fenstergummi sammelt und in die Winterjackenärmel der Fenstersitzer einsickert. Ein einziges überfordertes Deo kann schnell zwanzig Leuten den Start in den Tag zum Horror machen. Nur, weil wir es von Kindheit an nicht anders kennen, hinterfragen wir diese Zustände kaum mehr.

Sitzplätze für alle!

Stehen in Bus und Bahn gehört abgeschafft. Also: mehr Busse und Bahnen bitte. Im Winter angenehm gewärmt, im Sommer frisch gekühlt. Modern beleuchtet mit gut gemachten Info-Ansagen und -Anzeigen. Mit Handyempfang in allen unterirdischen Haltestellen und in allen Tunneln bundesweit. Technisch geht das seit jeher. Machen bitte! Das klingt vielleicht nach Luxus. Aber das ist nicht mehr als das bisschen Komfort, das wir haben, wenn wir Auto fahren.

Die Entscheidung für eine Fahrt im ÖPNV darf nicht nur etwas für Vernünftige sein, die bereit sind, einen Teil ihrer Lebenszeit abzuschreiben. Der öffentliche Nahverkehr muss auch die Genießer locken, die Lebensqualität steigern. Auch wir wollen unsere Innenstädte und das Klima retten.

Ja, dieser Komfort ist teuer. Aber wir wollen doch die Wende hin zum Schöneren. Schönes kostet! Wir brauchen ein öffentliches Sammeltaxi-System. Wenn man mal mit Gepäck oder Einkaufstüten unterwegs ist. Wenn es regnet oder stürmt. Es ist der eine Luxus-Baustein, der einen komischen Gedanken erzeugen kann: Bin ich eigentlich bescheuert, dass ich noch ein Auto in der Garage stehen habe?

Anders als das Carsharing-Fahrzeug ist das Sammeltaxi im Idealfall mit sieben Leuten voll besetzt. Und das Beste: kein Parkplatzsuchverkehr mehr. Ein gewichtiger Teil des Stadtverkehrs fällt weg. Das ist dann Luxus auch für Radfahrer, Fußgänger und E-Scooter-Fahrer.

Nun gibt es offenbar neue Zahlen, die belegen: Im Januar 2020 waren die BerlKönig-Rufbusse so gut ausgelastet, dass der Autoverkehr in der Tat leicht reduziert wurde. Na also. Ein Hoch auf den umweltfreundlichen Luxus im ÖPNV. Dafür verpasse ich gerne auch nochmal meinen ICE.

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