Vor einiger Zeit tischte mir ein Kellner die Quittung auf. „Bei Kartenzahlung berechnen wir allerdings einen Aufschlag von drei Prozent“, sagte er.
In der deutschen Gastronomie herrscht leider oft immer noch die Haltung gegenüber den Gästen: Nervt uns nicht mit euren Karten. Kartenzahlung gilt offenbar als etwas vom Zeitgeist Reingewürgtes. Da können die Restaurant-Betreiber nicht selber entscheiden, was hipp ist. Sondern da kommen die Kunden mit eigenen Erwartungen von außen.
Dagegen wehren sich viele Gastronomen auf psychologisch perfide Weise: Sie erheben die Barzahlung zum Kult. Cash ist demnach genauso rustikal sympathisch wie dampfend frisches Sauerteigbrot aus dem eigenen Steinofen. Wer als Gast seine Karte hinhält, ist ein limitierter Spießer, der keine Ahnung hat von Seele baumeln lassen. Noch frecher: Sie wälzen die Kosten gnadenlos auf die Kunden ab. Diese ungehobelte Variante ist allerdings eher selten. Das ist dann so, als würde man (wie ganz ganz früher mitunter in der Hotellerie üblich) einen Warmwasserzuschlag fürs Händewaschen verlangen. Heute absurd.
Genauso absurd ist heute die Kartenverweigerungs-Mentalität. Zwar hängen viele Deutsche noch an ihren Münzen und Scheinen, aber eben viele auch nicht. Einem Restaurantgast den Weg zum nächsten Geldautomaten zu beschreiben, statt das Kartenlesegerät zu zücken: Das ist schon ein starkes Stück. Genauso könnte man den Gast zum Pinkeln den nächsten Baum an der Straße empfehlen.
Kartenlesegeräte fürs Tablet gibt es für einmalig zwischen 40 und 80 Euro. Die Gebühren liegen etwa beim Abrechnungs-Dienstleister SumUp pro Zahlung durch den Kunden bei 0,95 Prozent für EC-Cash-Karten und 2,75 Prozent für Kreditkarten (ohne fixe Grundgebühr). Wer keine Karten akzeptiert, spart dieses Geld auf Kosten der Kundenzufriedenheit.
Gut zu wissen. Denn hier setzt der Hebel von König Kunde an: Trinkgeld kürzen. Sagen wir mal, Sie gehen mit zwei, drei Kollegen mittags essen. Die Rechnung beträgt am Ende 47 Euro. Der Kellner zuckt mit Blick auf die Bezahlkarte nur mit den Schultern. Dann fix gerechnet: Normalerweise hätten Sie wohl großzügige drei Euro Trinkgeld gegeben und damit auf fünfzig Euro aufgerundet.
Mit Würde kürzen
Bei einer Zahlung per Kreditkarte hätte dies den Gastronomen am Ende 1 Euro 38 gekostet. Die will er sparen. Darüber können Sie sich empören. Das ist schlecht für die Pumpe. Oder Sie handeln ganz entspannt. Sagen Sie etwa: „Dass Sie keine Karten akzeptieren, ist doch wirklich nicht mehr zeitgemäß. Sie sparen damit jetzt zwar ein paar Euro auf meine Kosten. Dafür bekommen Sie jetzt aber nur einen Euro Trinkgeld wegen des schlechten Services.“ Freundlich und mit Würde ohne peinliche Szene, aber klar und mit Wumms als selbstbewusster Kunde.
Sie fühlen sich mit so einer konsequenten Ansage zum Abschied unwohl und würden am liebsten gar nichts sagen, einen Euro liegen lassen und einfach verschwinden? Das wäre ein Fehler! Denn so wirken Sie geizig. Und der schwarze Peter liegt bei Ihnen. Nein, Sie haben allen Grund, mit dem Trinkgeld knausrig zu sein. Aber nur, wenn Sie Ihrem Dienstleister erklären warum, werden Sie was bewegen. Wenn auch nur drei Kunden pro Woche das Trinkgeld wegen verweigerter Kartenzahlung kürzen, und das auch klar erklären: Das hallt nach. Wenn nämlich am Ende stehen bleibt: Schlechter Service lohnt sich nicht.
Trinkgeld zu kürzen muss also einhergehen mit offenen Worten. Wenn Sie als König Kunde durchregieren wollen. Sonst dürfen Sie sich nicht beklagen, wenn sich nichts ändert.
Andere Beispiele, bei denen man mit Trinkgeldkürzung Politik machen kann:
Der Gastronom sagt: „Kartenzahlung gerne, aber das Trinkgeld leider nur bar, das kann ich nicht über die Karte abrechnen.“ Ja, sollen wir noch in 20 Jahren mit einem Säckchen mit Münzen umherlaufen, nur um denen Trinkgeld geben zu können, die es gerne umständlich mögen? Dann eben kein Trinkgeld.
Verrauchte Taxis. Rauchen im Taxi ist verboten aber irgendwie stinkt die Kiste wie eine Kellerbar am Sonntagmorgen? Das ist mittlerweile selten, aber nicht vorbei. Wenn kein anderes Taxi dasteht, in das man wechseln könnte, bleibt am Ende der Fahrt nur die freundliche Trinkgeld-kürz-Keule. Mit Begründung.
Geldteller vor Toiletten. Selbst Edelkaufhäuser wie das Berliner KaDeWe schämen sich nicht, Reinigungsfrauen und Kunden beim Wühlen mit noch feuchten Händen nach Kleingeld in Verlegenheit zu bringen. Im Erdgeschoss stehen Armbanduhren für Tausende von Euro zum Verkauf, oben gibt es Veuve Clicquot und Austern an Stehtischen, aber dann die werten Kunden um fünfzig Cent bitten? Genauso könnten sie eine Gebühr für die Benutzung der Aufzüge verlangen. Wenn das KaDeWe der Meinung ist, dass die Reinigungsmannschaft mehr Geld verdient hat, dann sollen die das denen fairerweise auch bezahlen. So wie den Kollegen an den Kassen zwischen Armani, Ermenegildo Zegna und Tiger of Sweden, die auch keinen Teller mit Münzen vor sich stehen haben.
Wer sich in der Delikatessabteilung des KaDeWe vorm Essen die Hände waschen will, soll also bitte extra bezahlen. Wie in den meisten Kaufhäusern und Einkaufszentren. Aber jetzt wird es kompliziert: Wie können Sie hier als König Kunde gekonnt das Zepter schwingen?
Gehen Sie einfach stumm am Geldteller vorbei, sieht es wieder geizig aus. Grüßen Sie freundlich, wirkt es arrogant. Aber wollen Sie das Problem mit der armen Putzfrau diskutieren?
Oder wollen Sie dafür etwa extra den Geschäftsführer oder Centermanager antanzen lassen? Och, warum eigentlich nicht? Wenn er dann mit Anzug und Krawatte vors Klo gerannt kommt und den schlimmsten Ärger erwartet und Sie drücken ihm die Münze in die Hand: „Hier, Ihre fünfzig Cent. Das haben Sie ja offenbar nötig hier.“ Trinkgeld geben, gerade um sich zu beschweren. Das geht auch. Man muss sich nur überwinden.
Immerhin mache ich es so: Ich frage die Dame oder den Herrn am Tellerchen: „Dürfen Sie das Kleingeld eigentlich selber behalten?“ Lautet die Antwort ja, berappe ich die Kohle. Sammeln die Leute für ihre Firma, dann nö! Aber das mit dem Geschäftsführer, das nehme ich mir jetzt echt mal vor.
Trinkgeld ist in Deutschland kein Muss. Sondern ein besonderes Dankeschön. Wer sich nicht traut, mit ihm als Geste des anspruchsvollen Kunden zu spielen, gibt sein flexibelstes Druckmittel aus der Hand. Man muss sich ja klarmachen: Wir betreten den Laden nicht, um es dem Dienstleister recht zu machen.
Nur wer mit Würde und Wumms unterstreicht, was er erwartet, hat guten Service richtig verdient.