Wirecard-Prozess Heute geht es für Markus Braun um alles

Als Wirecard-Chef zelebrierte sich Markus Braun als Finanz-Guru mit vollem Einblick in seine Firma. Als Angeklagter ließ er sich bislang als Opfer darstellen. Quelle: imago images

Wochenlang hat Markus Braun im Gericht gehört, dass er der Chef der kriminellen Wirecard-Bande war. Jetzt wird er zum ersten Mal seine Story erzählen – und sich als Opfer darstellen.

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Bislang ist Markus Braun in seinem Prozess ein geduldiger Zuschauer und Zuhörer. Von seiner Zelle in der JVA München Stadelheim lässt er sich bereitwillig von Justizbeamten in den Gerichtssaal geleiten, der sich auf dem Gefängnisgelände befindet. Dass vor Beginn jeder Sitzung Fotos und Filmaufnahmen von ihm gemacht werden dürfen, lässt er professionell über sich ergehen. Lässig schlurft er dann zu seinem Platz, setzt sich neben seinen Strafverteidiger Alfred Dierlamm. Und schaut und hört dann zu. Wie es in Markus Braun aussieht, das zeigt er nicht. Ist er nervös? Wütend? Angewidert? Ängstlich? Seine Körpersprache, sein Gesichtsausdruck verraten es nicht.

Dabei wird im Hochsicherheitsgerichtssaal von Stadelheim über sein Leben gesprochen, an jedem Sitzungstag. Denn sein Leben, das war Wirecard. Jene Firma, die aus einem öden Gewerbegebiet des Münchner Vororts Aschheim heraus die Finanzwelt erobern wollte – ein Milliardenkonzern, zwischenzeitlich wertvoller als die Deutsche Bank. Dank Markus Braun.

Seit Juni 2020 aber steht fest: Es war alles eine große Illusion. Rund zwei Milliarden Euro angeblicher Gewinn aus Geschäften mit Drittpartnern im Ausland waren einfach nicht da. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: Das Drittpartnergeschäft gab es nicht – die Ermittler sehen Braun als Chef der Wirecard-Bande, die das Unternehmen erfolgreich erscheinen ließ, um Geld bei Investoren einzusammeln und aus der Firma zu schleusen.

Braun ist angeklagt wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetruges, Untreue, Marktmanipulation und unrichtiger Darstellung. Er weist die Vorwürfe entschieden zurück. Seit Sommer 2020 sitzt er in Untersuchungshaft, sein langjähriger Vertrauter und Ex-Vorstand Jan Marsalek befindet sich seitdem auf der Flucht.

Von seinem Platz aus hat Braun jetzt wochenlang die Aussage seines ehemaligen Mitarbeiters Oliver Bellenhaus verfolgt. Dieser war Dubai-Statthalter von Wirecard – und hat sich nach dem Zusammenbruch des Konzerns gestellt. Auch er sitzt in Untersuchungshaft. Bellenhaus hat vor Gericht gestanden, Belege für die Existenz von Geschäften mit Drittpartnern (TPA) gefälscht zu haben – zusammen mit dem ehemaligen Chefbuchhalter Stephan von Erffa, der ebenfalls angeklagt ist und kriminelle Handlungen bisher bestritten hat; aber auch zusammen mit dem bis heute flüchtigen Ex-Vorstand Jan Marsalek.

Braun habe eine zentrale Rolle im Drittpartnergeschäft gespielt, habe „operative Anweisungen“ gegeben, Umsätze im Nachhinein umcodieren lassen, sagte Bellenhaus. Er habe sich teilweise dagegen gewehrt – sein Vorgesetzter von Erffa habe dann Kontakt zu Braun gesucht, so Bellenhaus. Die Beschwerden hätten aber wenig Erfolg gehabt. Von Erffa habe ihn angerufen und mitgeteilt, dass es bei den Vorgaben bleiben müsse. „Markus will das so“, soll von Erffa gesagt haben.

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Jetzt hat Braun die Chance, die Vorwürfe zu kontern. Sein Strafverteidiger Alfred Dierlamm hat in der vergangenen Woche schon mal vorgelegt: Bellenhaus sei „ein professioneller Lügner“, so der Rechtsanwalt. Die Botschaft: Wer so versiert im Fälschen von Unterlagen ist wie Bellenhaus, der kann auch Staatsanwälte narren. Seinen Mandanten Braun stellt Dierlamm als Opfer dar: Eine Bande um Marsalek und Bellenhaus habe hinter Brauns Rücken Umsätze aus dem Drittpartnergeschäft abgezweigt – das es nach Darstellung von Dierlamm sehr wohl gegeben hat.

Wenn er früher, als er noch Chef der Wirecard AG war, gefragt wurde, wie tief er in den Details der Wirecard-Geschäfte stecke, verzog Markus Braun verächtlich den Mund und antwortete: „Ich habe vollen Einblick.“ Er war es schließlich, der aus dem Start-up zusammen mit seinem Vertrauten Marsalek nach der Jahrtausendwende einen Dax-Konzern geformt hatte. Warum sollte er da nicht vollen Einblick haben?

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von Melanie Bergermann, Florian Güßgen

„Wie der Heilige Geist“

Wenn er öffentlich auftrat, wollte Markus Braun nicht als Vertreter eines Schmuddel-Konzerns rüberkommen. Sondern als kühner Visionär in Sachen Zahlungsverkehr. „Ziel des Vorstands ist es, kraftvoll organisch die Welt zu erobern“, sagte er mal. Bei Auftritten trug er einen Rollkragenpulli zum dunklen Anzug – wie einst Apple-Gründer Steve Jobs. Bei vielen kam das an. Das Handelsblatt schrieb 2018, die „Aufsteigerlegende“ Braun sei „wie der Heilige Geist über die deutsche Finanzszene gekommen“.

Für seine Firma war Braun sieben Tage die Woche im Einsatz – das verlangte er auch von seinen wichtigsten Mitarbeitern. Er habe permanente Einsatzbereitschaft gefordert, sagen mehrere Betroffene. Auch sonntags habe er angerufen, um über die Arbeit zu sprechen. Urlaub oder Feierabend? Wenn Braun etwas wollte, griff er zum Telefon. Büros seiner engsten Leute habe er als die eigenen betrachtet. Wenn er hereinkam, dann hagelte es Befehle. Wer Brauns Vorgaben anzweifelte, so das Gefühl ehemaliger Mitarbeiter, der habe bei ihm keine Chance gehabt.

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Dennoch folgten auch Kritiker bei Wirecard dem Vorstandschef. Weil Braun erfolgreich war – und sein Erfolg auf sie abstrahlte. Für manche Wirecard-Leute war er eine Art Guru, der an die Firma glaubte und Prophezeiungen für die Zukunft machte – die dann auch noch eintraten. Der Kritik an sich abperlen ließ, für sein Wirecard lebte – und andere dazu brachte, ihm zu folgen und seine Ziele zu erfüllen.

Wer Erfolg hat, hat recht

Seit Sommer 2020 ist der Erfolg aus der Karriere des Markus Braun verschwunden. Jetzt hängt vieles davon ab, was er vor Gericht sagt. Seit er in Haft ist, hat sich Braun mit seinen Anwälten akribisch auf den Prozess vorbereitet.

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Es ist nicht nur das Drittpartnergeschäft, dessen Existenz er erklären muss. Nicht nur seine angebliche Unschuld bei der Veruntreuung der Milliarden. Sondern auch seine eigene Öffentlichkeitsarbeit für Wirecard, die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Marktmanipulation war.

Einst trat Wirecard-Vorstand Markus Braun als Techguru auf. 2020 brach das Unternehmen zusammen. Braun sieht sich als unschuldig. Unser Reporter ist am Donnerstag im Gerichtssaal dabei. Lesen Sie hier den Live-Blog.

Als im Herbst 2019 immer mehr Zweifel an der Existenz des Drittpartnergeschäfts aufgekommen waren, beauftragte Wirecard die Prüfungsgesellschaft KPMG mit einer Sonderuntersuchung. Diese informierte Wirecard im April 2020, dass sie keine Beweise für die Existenz des TPA-Geschäfts gefunden habe. Braun veröffentlichte am 22. April eine Ad-hoc-Mitteilung, in welcher er aber erklärte, KPMG habe bislang keine Belege für Bilanzmanipulation oder anderes gefunden, was eine Korrektur der Jahresabschlüsse nötig mache.

Was Braun veröffentlichte, war nicht falsch – konnte aber den Eindruck erwecken, die KPMG-Prüfung werde wohl gut ausgehen. So hatte er etwa nicht gesagt, dass eindeutige Nachweise für Wirecards Geschäfte mit Partnerfirmen wie Al Alam bislang fehlten. Wenn Vorstände von börsennotierten Unternehmen aber lügen oder irreführende Auskünfte erteilen, die den Aktienkurs beeinflussen können, ist das eine Straftat.

Ob Markus Braun sich entschuldigt? Ob er Worte der Reue findet?

Es gibt ausreichend Stoff für Markus Brauns Vortrag am Montag vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts München I. Er will offenbar ganz vorne anfangen und erst mal das Geschäftsmodell von Wirecard erklären. Er will Auskunft darüber geben, wie er die kritischen Monate erlebt und welche neuen Erkenntnisse er nach dem Zusammenbruch beim Aktenstudium gewonnen hat. Er will frei sprechen, Fragen aller Prozessbeteiligten zulassen.

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Das kann Tage dauern. Tage, in denen vielleicht ein bisschen deutlicher wird, wer dieser Markus Braun eigentlich ist.

Die WiWo-Redakteure Melanie Bergermann und Volker ter Haseborg haben ein Buch über den Aufstieg und Fall von Wirecard geschrieben: Lesen Sie hier Auszüge daraus.

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