Wirecard-Prozess „Es war immer vollkommen klar, dass Dr. Braun das mitträgt“

Angeklagter und Ex-Vorstandsvorsitzender von Wirecard Markus Braun. Vorne: Mitangeklagter und Kronzeuge Oliver Bellenhaus. Quelle: imago images

Ex-Wirecard-Chef Markus Braun hat die Milliarden-Manipulation beim Skandalkonzern operativ gesteuert, sagt der mitangeklagte Ex-Dubai-Statthalter Oliver Bellenhaus und liefert Details aus angeblichen Treffen.

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Es dauert bis zum Nachmittag, ehe es an diesem Tag im Wirecard-Prozess um Markus Braun geht. Um die Frage, ob der langjährige Wirecard-Chef Teil der Bande ist, die nach Auffassung der Münchner Staatsanwaltschaft Milliarden-Geschäfte mit Partnerfirmen im Ausland erfunden hat. Es ist die Kernfrage des Gerichtsverfahrens, entsprechend vehement weisen Braun und seine Verteidigung die Vorwürfe zurück.

Vor Richter Markus Födisch sitzt Oliver Bellenhaus, er war Wirecards Statthalter in Dubai. Er hat vor Gericht bereits gestanden, Belege für die Existenz von Geschäften mit Drittpartnern (TPA) gefälscht zu haben – zusammen mit dem ehemaligen Chefbuchhalter Stephan von Erffa, der ebenfalls angeklagt ist und kriminelle Handlungen bisher bestritten hat. Aber auch zusammen mit dem bis heute flüchtigen Ex-Vorstand Jan Marsalek. Auch sein ehemaliger Chef Markus Braun soll ihm zufolge Teil dieser Gruppe gewesen sein. Braun sitzt im Gerichtssaal keine zwei Meter hinter ihm. Beide würdigen sich keines Blickes.

Bevor es aber um Braun geht, schildert Bellenhaus seinen Weg in den Milliardenbetrug. 2012, im Skiurlaub, sei er vom damaligen Finanzvorstand Burkhard Ley (gegen den noch ermittelt wird) angerufen worden. Ob er nicht nach Dubai gehen und sich dort um das Drittpartnergeschäft kümmern wolle? Bellenhaus wollte. „Dubai war mein Traumziel. Das war eine gute Beförderung. Eine sehr gute“, sagt er.

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Er sei von Ley und von Marsalek damit beauftragt worden, den Drittpartner Al Alam zu gründen – als Ergänzung zu den bereits bestehenden Drittpartnern Senjo und Payeasy. 2013 ging er nach Dubai. Zunächst habe er noch angenommen, dass die Drittpartner so etwas waren wie Verschiebe-Bahnhöfe für Umsätze. Doch spätestens 2016 sei ihm klar gewesen, dass das TPA-Geschäft nicht existent war, so Bellenhaus. Wirecard habe Umsätze gebraucht, weil andere Umsätze aus dem Geschäft mit Porno- und Glücksspielzahlungen eingebrochen waren. Also fälschte er sie.

„Wir haben angefangen, was zu basteln“

Marsalek habe ihm anfangs Daten geschickt, aus denen er Abrechnungen basteln sollte. Später sei von Erffa sein Hauptansprechpartner und Lieferant für die Vorgaben von Zahlen gewesen, die Schnittstelle zu Markus Braun. Zusammen mit von Erffa will Bellenhaus Rechnungen und Belege gefälscht haben. „Irgendwann war klar: Ich bin ein Spieler, wurde aufs Spielfeld gestellt. Und jetzt spielt man mir hin und wieder den Ball zu“, sagt er.

Den Wirtschaftsprüfern habe man das Zahlenwerk vorgegaukelt, sagt Bellenhaus: „Es war ein Riesenchaos. Der Wirtschaftsprüfer brauchte was, dann entstand die Panik. Wir haben angefangen, was zu basteln. Das einzige Ziel, war zu sagen: Ist der Wirtschaftsprüfer glücklich?“

Brauns Verteidigung hingegen will vor Gericht beweisen, dass es das Drittpartnergeschäft sehr wohl gegeben hat– und dass eine Bande um Marsalek und Bellenhaus das Geld hinter Brauns Rücken geklaut hat.

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„Gab es TPA-Geschäft, das veruntreut wurde?“, fragt Richter Markus Födisch. „Nein“, sagt Bellenhaus. Ihm zufolge hat Braun eine zentrale Rolle im Drittpartnergeschäft gespielt. „Es war immer vollkommen klar, dass Dr. Braun das mitträgt“, sagt Bellenhaus. Braun habe „operative Anweisungen“ gegeben, ab 2016 habe er regelmäßig deshalb mit Braun zu tun gehabt. Er erinnere sich an ein Gespräch, in dem Braun mehr Volumen im TPA-Geschäft gefordert habe. Und „anderes Business“. Zum Beispiel einen geringen Anteil von Umsätzen aus dem Porno-Bereich, weil das nach außen schlecht aussah. Es ging also um Zahlen, die im Nachhinein auf Brauns Geheiß geändert wurden. Und um Umsätze, die im Nachhinein umcodiert wurden, sagt Bellenhaus.

Brauns Direktiven seien teilweise über einen Mitarbeiter an Bellenhaus‘ Vorgesetzten von Erffa herangetragen worden. Er habe sich teilweise dagegen gewehrt – von Erffa habe dann Kontakt zu Braun gesucht, sagt Bellenhaus. Die Beschwerden hätten aber wenig Erfolg gehabt. Von Erffa habe ihn angerufen und mitgeteilt, dass es bei den Vorgaben bleiben müsse. „Markus will das so“, soll von Erffa gesagt haben.

„Es war eine reine Verarschungs-Aussage“

Binnen weniger Tage habe er die Zahlen der Drittpartner umbauen müssen. Umsatz und Ertrag wurden Knall auf Fall ständig geändert. „Geht nicht. Markus will das so“, hätte von Erffa oft gesagt, wenn er aus Gesprächen mit Braun zurückkam.

Am 24. Oktober 2019 sei es zu einem Gespräch in Brauns Büro in Aschheim gekommen. Auch Marsalek und von Erffa seien dabei gewesen. Damals hatten die Prüfer von KPMG gerade mit ihrer Sonderuntersuchung des Drittpartnergeschäfts begonnen. Bellenhaus sagt heute, er und von Erffa hätten sich mehr als skeptisch gezeigt, ob es gelingen würde, Belege für das Drittpartner-Geschäft zu beschaffen. „Ich dachte, wir werden das nicht schaffen.“ Braun jedoch habe beschwichtigt, von einem „semiforensischen Audit“ gesprochen und davon, dass er schon mit dem KPMG-Management gesprochen habe. „Es war eine reine Verarschungs-Aussage“, sagt Bellenhaus. Er habe gefragt, warum Wirecard die Untersuchung überhaupt veranlasst habe. Braun habe geantwortet, man wolle mit der Untersuchung – die natürlich positiv für Wirecard ausfallen werde – die Kapitalmärkte „managen“ und so für einen steigenden Aktienkurs sorgen.

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Von 2015 bis 2020 habe er mindestens einmal im Quartal mit Braun gesprochen oder ihn getroffen. „Wir haben oft telefoniert“, sagt Bellenhaus. E-Mails habe es nicht gegeben, ein Großteil der Kommunikation sei über die Messengerdienste Telegram und Signal gelaufen.

Sein letztes Gespräch mit Braun habe er im Juni 2020 kurz vor dem Zusammenbruch von Wirecard geführt. Er habe nochmal Volumendaten für die Pressekonferenz zum Jahresabschluss 2019 zusammenstellen müssen. Eine Pressekonferenz, die nie stattgefunden hat, weil der Skandal aufflog und EY Wirecard kein Testat erteilte. Braun habe ihn zuvor aufgefordert, die Zahlen zu liefern, sagt Bellenhaus. Eine Hälfte habe er dann noch geliefert – die andere Hälfte nicht mehr, sagt Bellenhaus. Weil er mit Wirecard abgeschlossen hatte, keine Lust mehr hatte – und nur noch wegwollte. Wenig später reiste er nach München und stellte sich den Behörden.

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Wäre der Milliarden-Betrug ohne Braun möglich gewesen? „Nein, unmöglich“, sagt Oliver Bellenhaus. Fortsetzung folgt. An diesem Donnerstag geht die Verhandlung weiter.


Lesen Sie nachfolgend das WirtschaftsWoche-Live-Blog vom Prozesstag:




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