Zitter-Comeback für den Urlaub 3 Grafiken verraten, wie es um die Reiselust wirklich bestellt ist

Auf Borkum haben wir eine Auslastung von teilweise 95 Prozent im August, auf Sylt ebenfalls über 90 Prozent“, sagt Michelle Schwefel, Leiterin des Deutschen Ferienhausverband. Quelle: dpa

Nach einem Katastrophenjahr baut die Reisebranche auf eine Erholung im Sommer und warnt bereits laut vor Engpässen. Aber sind die Angebote tatsächlich überall so knapp, wie es sich die Anbieter erträumen?

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Für seine Kunden hat Rewe-Touristik-Chef Sören Hartmann einen guten Rat. „Wir empfehlen eine frühe Buchung – vor allem, wenn man auf die Ferienzeiten angewiesen ist“, lässt der Leiter von Deutschlands zweitgrößtem Reiseanbieter mit Marken wie Dertour, ITS und Maiers Weltreisen ausrichten. „Wir haben derzeit noch Verfügbarkeiten, die Nachfrage nach Deutschlandurlaub hält aber weiter an.“

Mit ähnlichen Worten warnen derzeit auch andere Reisemanager, dass in diesem Jahr die Angebote an Übernachtungsmöglichkeiten knapp werden könnten. Besonders Ferienhausvermittler und Tophotels unken, es gebe stellenweise bereits mehr als doppelt so viele Anfragen wie bis Anfang März 2020. Damals sah es vor der Coronakrise ganz nach einem Rekordjahr für die Reisebranche aus. „Auf Borkum haben wir eine Auslastung von teilweise 95 Prozent im August, auf Sylt ebenfalls über 90 Prozent“, sagt Michelle Schwefel, Leiterin des Deutschen Ferienhausverbandes. Dirk Iserlohe, Aufsichtsratschef der Dorit-Hotels berichtet gar, sein Sol’ring Hof genanntes Haus auf Sylt sei bereits in den zwei Wochen vor Ostern komplett ausgebucht, weil die Kunden ein Ende des Lockdowns erwarten. „Die Leute sitzen auf gepackten Koffern“, freute sich Tui-Chef Fritz Joussen gerade in einer Mitteilung.

Doch so dringend die angeschlagene Ferienbranche auch ein gutes Jahr mit vielen Buchungen braucht: Von Knappheiten oder gar auf breiter Front ausgebuchten Angeboten kann keine Rede sein, weiß Markus Orth, Chef des Reisebüro-Kooperation Lufthansa City Center. „Eine sehr große Nachfrage gibt es lediglich bei ikonischen Angeboten, die schon immer sehr begehrt waren – oder nach allem, was in Corona-Zeiten sicher und gut mit dem eigenen Auto erreichbar erscheint.“

Hierzu zählt vor allem die Insel Sylt. Dort aber war die Nachfrage vor der Krise immer deutlich höher als das Angebot. „Selbst wenn die Anfragen jetzt um ein Drittel oder gar die Hälfte sinken, bleiben genug Kunden, um die Insel zu füllen“, sagt ein Kenner von Deutschlands nobelstem Ferienziel. Ans Limit kommen könnten auch ausgewählte Hotels wie die Robinson Clubs der Tui auf Mallorca oder in der Türkei die Barut Selection Hotels in Antalya.

„Doch bei allem, wo es eine Alternative gibt, ist von Engpässen noch lange keine Spur“, so Orth. Zwar verzeichnen die deutschen Küsten bis zu 40 Prozent mehr Interesse als vor der Krise, manche Orte wie Rerik sogar mehr als doppelt so viele Anfragen (siehe Grafiken). Darum sind laut einer Übersicht des nach eigenen Angaben weltgrößten Ferienhausportals HomeToGo Ziele wie Zingst oder Boltenhagen in Mecklenburg-Vorpommern im August bereits zu 80 Prozent ausgebucht. Doch das bedeutet nicht, dass nichts mehr frei ist.

Zum einen ist gerade bei den Ferienhäusern mit dem Boom der vergangenen Jahre das Angebot deutlich gewachsen. Es gibt sowohl mehr Wohnungen oder Häuser in den bekannten Zielen, wie auch neue bislang kaum bekannte Orte, die wie Rerik in Mecklenburg-Vorpommern auf den Tourismus setzen. Und die Unterkünfte sind leichter zu finden. Sowohl die großen Portale wie HomeToGo, Airbnb oder Booking haben das Angebot ausgebaut und zeigen die Ergebnisse auf Landkarten statt in den etwas unübersichtlichen Listen. Darauf haben sich die Kunden eingestellt. „Sie suchen generell nach mehr Orten oder gleich nach ganzen Regionen wie Nordsee“, so HomeToGo-Sprecher Jonas Upmann. Damit verteilt sich die Nachfrage besser.

Dazu dürfte die Auswahl bald noch deutlich wachsen. „Die Regale sind noch gar nicht komplett bestückt“, sagt Reisebürochef Orth. Wegen der unsicheren Aussichten haben viele Veranstalter, Hoteliers und selbst Ferienhausbesitzer ihr Angebot noch zurückgehalten. Das gilt besonders in Flugzielen wie Griechenland oder Mallorca, die in der Lockdown-Zeit deutlich weniger gesucht werden (siehe Grafik). Das liegt nicht zuletzt daran, dass die angehenden Urlauber, nachdem sie sich für ein Ziel entscheiden haben, zuerst den Flug suchen. Wenn sie den nicht finden, bleibt die Suche nach einer Unterkunft aus. Das spüren gerade gut besuchte Ziele, zu denen wegen der vielen Reisebeschränkungen nur ein Bruchteil der bis 2019 üblichen Verbindungen. Darum gründen etwa auf Teneriffa die Hoteliers sogar eine eigene Airline, die Urlauber in ihre Betten bringen soll.

Diese Zusatzangebote dürften nicht nur viele bislang unentschlossene Urlauber anlocken, sondern auch viele Kunden, die bereits gebucht haben. Viele von denen haben sich ihre bisherigen Unterkünfte auch gesichert, falls im Sommer die Grenzen geschlossen bleiben und Auslandsurlaub mehr oder weniger unmöglich ist. „Sobald die aktuellen Beschränkungen fallen, werden viele ihre Reservierungen streichen und nach den Erfahrungen mit dem unsicheren deutschen Sommerwetter statt mit dem Auto nach Friesland doch lieber mit dem Flieger ans Mittelmeer gehen“, sagt ein führender Touristikmanager. Dann gibt es auch in vielen jetzt noch sehr gut gebuchten Unterkünften wieder mehr freie Zimmer. „Und das ist anders als früher auch möglich, weil wir Veranstalter in diesem Jahr fast alle Buchungen praktisch kostenfrei stornierbar angeboten haben“, so der Manager.

Damit wird der Sommer für die Branche wieder zu einer Zitterpartie. Unterm Strich werden wahrscheinlich nicht nur deutlich weniger Menschen einen Veranstalter-Urlaub buchen als in früheren Jahren. In den Jahren vor der Krise bis zum Ende der Osterferien machen die Anbieter rund 40 Prozent ihres Jahresumsatzes. Wegen der anhaltenden Reisebeschränkungen ist der jedoch weitgehend verloren. Wer reist, könnte die günstigen Stornierungsmöglichkeiten auch nutzen, um ein besseres Angebot zu buchen, etwa weil die Veranstalter oder Ferienhausbesitzer leere Unterkünfte zu Kampfpreisen verschleudern.

Mehr zum Thema: Für alle, die nicht bis zum Herbst auf einen Termin für einen Covidschutz warten wollen, versprechen immer mehr Unternehmen Reisen rund um eine Immunisierung. Die Angebote sind teuer und unsicher.

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