Aufspaltung des Energieriesen Kommt E.Ons Notbremse zu spät?

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Interessen der Kunden werden schon von Anderen bedient

Auch Teyssens Beschwörung des Zukunftsmarktes ist zweifelhaft. E.On werde künftig die Interessen der Kunden „nach sauberer Energie, nach eigener Stromproduktion, nach Speicherung, nach Effizienz, nach Optimierung mit den Nachbarn, nach Digitalisierung“ erfüllen, schwärmt er.

Aber diese Interessen werden schon befriedigt, nämlich von anderen. Nach Einschätzung von EnBW tummeln sich in Europa zum Beispiel bereits 500 Anbieter dezentraler Kraftwerke. Und laut einer Studie der Unternehmensberatung Arthur D. Little wird E.On an dem schätzungsweise rund 18 Milliarden Euro schweren Geschäft etwa mit Dienstleistungen rund um die Energieversorgung im kommenden Jahr zusammen mit RWE, EnBW und Vattenfall nur zu zehn Prozent partizipieren.

Niemand hat auf E.On gewartet

Das sind keine guten Aussichten für die rund 20.000 Beschäftigten des künftig grünen E.On-Konzerns und seine Mitstreiter. „Da wartet niemand auf E.On oder RWE“, sagt Uwe Leprich, Wirtschaftsprofessor und Leiter des Instituts ZukunftsEnergieSysteme in Saarbrücken.

Das Geschäft, in das Teyssen strebe, sei mittelständisch geprägt, etwa durch geringen Kapitaleinsatz und überschaubare Renditen. Hier seien kleine, schnelle, wendige Akteure gefragt, keine schwerfälligen Giganten.

Strommix der großen Stromkonzerne in Deutschland. (Alle Angaben für 2013 in Milliarden Euro; Für eine detailliertere Ansicht klicken Sie bitte das Bild an.)

Tatsächlich läuft nach drei Jahren forcierter Energiewende durch den Atomausstiegsbeschluss von Schwarz-Gelb 2011 das Stromgeschäft immer mehr ohne die Konzerne. So koppeln sich Großunternehmen wie Mittelständler zunehmend oder ganz vom öffentlichen Stromnetz ab. Der Solarspezialist Endreß & Widmann aus Neuenstadt am Kocher bei Heilbronn etwa ist völlig autark. Was er an Wärme und Strom braucht, produziert er mit eigenen Fotovoltaikanlagen und einem Blockheizkraftwerk.

Andere wie der Hersteller von Vakuum-Greifern J. Schmalz im Schwarzwald bleiben zwar zur Sicherheit am Netz, erzeugen mit Windrädern und Solarmodulen übers Jahr gesehen aber bereits mehr Strom, als sie benötigen.

Kaum mehr als ein Zubrot

Sie alle suchen Beratung, wie sie mit möglichst wenig Energie auskommen können. Next Kraftwerke in Köln wiederum schalten Hunderte Biogasanlagen, Solarparks und Windräder deutschlandweit zu einem virtuellen Kraftwerk zusammen.

Das Münchner Start-up Entelios hilft Kunden wie Deutschlands größtem Aluminiumerzeuger Trimet, Geld mit der Regelung der Stromversorgung zu verdienen. Wenn das Stromangebot schwächelt, drosselt das Essener Unternehmen vorübergehend die Aluminiumproduktion und damit den eigenen Stromverbrauch. Gibt es Strom im Überfluss, jagt Trimet die Leistung der Schmelzöfen in die Höhe. Dafür zahlen die Netzbetreiber dem Großverbraucher je bereitgestellter Megawattstunde mehrere 10.000 Euro pro Jahr.

Bilanzzahlen der großen deutschen Stromkonzerne im Überblick. (Alle Angaben für 2013 in Milliarden Euro; Für eine detailliertere Ansicht klicken Sie bitte das Bild an.)

Ebenso steht Teyssens Hoffnung in den Sternen, die neue, noch namenlose E.On-Kraftwerkstochter werde einmal „zu den führenden Unternehmen in Europa gehören“, die für „Stabilität und Sicherheit“ der Stromversorgung sorge. Denn wie nach der sukzessiven Abschaltung der AKWs die Versorgungssicherheit gewährleistet wird, wenn die Sonne nicht scheint und zu wenig Wind weht, ist noch lange nicht entschieden – und überhaupt keine Garantie für erkleckliche sichere Einnahmen der Kohle- und Gaskraftwerksbetreiber.

Wirtschaftsminister Gabriel hat dazu gerade ein Grünbuch vorgelegt, das zwei grundsätzliche Lösungen für das Problem beschreibt, die beide keine Bonanza für die Stromkonzerne verheißen:

  • So könnte die Bundesnetzagentur Kraftwerkskapazitäten oder Stromabschaltungen ausschreiben, für die die Anbieter bezahlt werden. Oder die Kraftwerksbetreiber bieten Zertifikate für Versorgungssicherheit an. Stadtwerke oder Industrieunternehmen können diese erwerben. Wie viel die Anbieter damit einnehmen, ist völlig offen. Experten rechnen mit maximal vier bis sechs Milliarden Euro pro Jahr. Verteilt auf E.On, RWE, EnBW, Vattenfall und die zahlreichen weiteren Kraftwerksbetreiber wäre das kaum mehr als ein Zubrot.
  • Mit weitaus weniger müssen E.On und Konsorten rechnen, entschlössen sich die Politiker, die Versorgungssicherheit allein Angebot und Nachfrage zu überlassen. Stiege der Strompreis, so die Idee, wäre dies ein Anreiz für die Konzerne, Reservekraftwerke vorzuhalten. Selbst kurze Einsatzzeiten wären dann rentabel. Experten erwarten jedoch, dass die Politiker die drohenden kurzzeitig exorbitanten Strompreise fürchten und deswegen zu den teureren Lösungen neigen.
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